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Forschung in den USA
Wandelbare Werkstoffe

Material wird im selben Produkt oft in mehreren Varianten für unterschiedliche Funktionen benötigt, doch von selbst verwandelt es sich natürlich nicht. Bislang nicht - denn genau daran arbeiten nun Forscher von der Harvard-Universität. Material, das beispielsweise zunächst Schall isoliert, könnte ihn später durchlassen.

Von Piotr Heller | 27.01.2017
    Das Gelände der Harvard University in Boston (USA)
    Das Gelände der Harvard University in Boston (USA) (imago stock&people)
    Seit einigen Jahren untersuchen Physiker und Ingenieure sogenannte Metamaterialien. Das sind Werkstoffe, deren Eigenschaften stark von ihrer geometrischen Struktur abhängen und nicht von ihrem chemischen Aufbau. Sie sind zum Beispiel so strukturiert, dass sie Licht um ein Objekt herumlenken und dadurch als eine Art Tarnkappe wirken. Oder sie leiten Stoßwellen eines Erdbebens von wichtigen Trägern in Gebäuden weg.
    Aus hart wird weich
    Katia Bertoldi von der Harvard University reicht das nicht. "Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein System, das seine Struktur und damit auch Funktion verändern kann. Also: Wie kann man ein Material bauen, das Licht zunächst auf eine bestimmte weise lenkt und dann auf eine andere? Oder nehmen wir Schall: Wie kann ein Material einen Raum zunächst vom Schall isolieren, aber zu einem anderen Zeitpunkt den Schall durchlassen? Man kann auch an mechanische Eigenschaften denken: Ein Material, das hart ist, sich aber in ein weiches verwandeln kann", sagt Bertoldi.
    Für all das bräuchte man Metamaterialien, die ihre mechanische Struktur - etwa dank winziger Scharniere - verändern können, und dadurch auch ihre Eigenschaften. Das ist leicht gesagt. Aber die Materialien, um die es geht, sind kompliziert aufgebaut. Sie haben verwinkelte, ineinander verschachtelte Strukturen, die sich ständig wiederholen.
    Zwei Strukturen für ein Material
    Bertoldi sagt: "Wenn man ein Material will, das Schall zunächst durchlässt und dann isoliert, braucht man zwei Strukturen: Eine mit offenen Tunneln und eine mit verschlossenen. Und zwischen diesen Strukturen muss man irgendwie mechanisch hin- und herschalten können. Und wir haben eine Strategie entwickelt, die es erlaubt, die dafür nötige Geometrie zu finden."
    Diese Strategie haben Katia Bertoldi und ihr Team im Magazin "Nature" veröffentlicht. Die Grundlage ist eine Art dreidimensionales Origami. Der Aufbau ist eigentlich simpel, aber schwer vorzustellen: Das Origami besteht im Grunde aus vielen Polyedern - also zum Beispiel Würfeln - deren Seiten verlängert und miteinander verbunden sind. Durch geschicktes Umklappen der Kanten, kann man die einzelnen Würfel und damit auch die gesamte Struktur verändern. Die Forscher haben ihr Origami zunächst aus Pappe gebaut und damit experimentiert und schließlich ein Computerprogramm geschrieben.
    "Es berechnet die Freiheitsgrade der Struktur. Dann charakterisiert es die Verformungen. Das machen wir für Millionen verschiedene Modelle und untersuchen deren Eigenschaften", sagt Bertoldi. Was die Forscher jetzt haben, kann man sich als eine Art Landkarte aller möglichen, veränderbaren 3D-Origami-Strukturen vorstellen. "Was wir jetzt entwickeln wollen, ist eine Art Navigationssystem für diese Karte. Also eine Art Algorithmus, dem man sagt: Ich möchte folgende Funktionen und er spuckt die dafür notwendige Struktur aus."
    Bislang entwickeln die Wissenschaftler lediglich Baupläne für theoretische, wandelbare Werkstoffe. Es ist noch nicht klar, aus welchen Grundmaterial man sie bauen wird oder wie man sie dazu bringt, ihre kleinen Strukturen zu ändern: Soll man das elektrisch machen, mechanisch oder pneumatisch? Jetzt wo die Baupläne da sind, kann man anfangen, sich diese Fragen zu stellen.