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Frankreich: Hoffen auf den "Präsident der Jugend"

Frankreichs neuer Staatspräsident hat sich vor allem eine Aufgabe gestellt: Er will der Jugend neue Chancen geben. Da gibt es viel zu tun: Jeder vierte junge Erwachsene ist arbeitslos, jeder fünfte lebt unter der Armutsschwelle. Und auch das Bildungssystem ist reformbedürftig.

Von Bettina Kaps | 15.05.2012
    Das Jobcenter liegt in einer Nebenstraße der westfranzösischen Stadt Nantes. Fast alle Arbeitssuchende, die hier ein und ausgehen, sind jung. Wie Jessica. Die akkurat geschminkte Frau mit den langen blonden Haaren hat eine Ausbildung zur Kosmetikerin absolviert. Seit drei Monaten ist sie arbeitslos.

    "Ich war auf einer Privatschule, dafür habe ich einen Kredit aufgenommen. Jetzt muss ich meine Schulden abbezahlen. Inzwischen suche ich auch nach anderen Jobs. Außerdem müssen mir meine Eltern aushelfen. Es ist nicht einfach."

    Jessica ist erst 22 Jahre alt, das macht ihre Lage besonders prekär. Denn Sozialhilfe gibt es in Frankreich erst ab 25 Jahren. Damit will der Staat verhindern, dass die Jugend eine Almosenmentalität entwickelt. Auch Sandy, eine 20-jährige Friseuse, ist zu jeder Arbeit bereit, weil es in ihrer Branche keine Stellen gibt. Trotzdem hat sie nur einen Aushilfsjob als Serviererin gefunden, neun Stunden am Wochenende. Davon kann sie nicht leben.

    "Die Arbeitgeber verlangen alle ein Diplom und Erfahrung. Eins davon reicht ihnen nicht."

    Die gleiche Erfahrung hat Jiovanna gemacht. Die hübsche junge Frau mit den dunklen Locken stammt aus Kolumbien. Sie ist ausgebildete Bodenstewardess, spricht fünf Sprachen und hat bereits in London im Hotel gearbeitet. In Frankreich zählt das alles nicht, sagt sie.

    "Hier verlangen sie zu viele Diplome. Niemand gibt einem die Chance, sein Können zu beweisen. Ich könnte sehr gut als Empfangsdame im Hotel arbeiten. Aber alle Ausschreibungen fordern das Diplom einer Hotelfachschule. Dabei glaube ich kaum, dass es viele französische Bewerber gibt, die so viele Fremdsprachen beherrschen wie ich."

    Mehr als 22 Prozent aller jungen Franzosen zwischen 18 und 25 Jahren sind arbeitslos, Tendenz steigend. Schlimmer noch: Die Kluft zwischen Arm und Reich unter den Jugendlichen wird immer größer und das elitär ausgerichtete Schulsystem vertieft den Graben noch. Das bescheinigt auch die jüngste PISA-Studie der OECD: Frankreich ist nicht in der Lage, die schwächeren Schüler zu fördern und vor dem Scheitern zu bewahren. So kommt es, dass Jahr für Jahr 150.000 Jugendliche ohne Abschluss von der Schule abgehen.

    Während gut diplomierte junge Leute nach einigen harten Jahren fast immer eine feste Stelle finden, bleiben ihre weniger gut ausgebildeten Altersgenossen zunehmend auf der Strecke. Nicolas Sarkozy hat während seiner Amtszeit kaum etwas unternommen, um dieses Problem zu lösen.

    Gaetan Mortier ist Mitglied des Protestkollektivs "Génération Précaire", das seit Jahren vehement gegen die Ausbeutung von Studenten und Berufsanfängern kämpft. Das Kollektiv hat aufgehorcht, als der neue Staatspräsident Francois Hollande schon am Abend nach der Wahl versprach, er wolle ein "Präsident der Jugend" sein. Gaetan ist jetzt vorsichtig optimistisch.
    "Hollande hat gute Vorschläge gemacht, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Er hat einen Generationen-Vertrag angekündigt und sogenannte Zukunfts-Verträge versprochen."

    Der Generationen-Vertrag sieht vor, dass Unternehmen ein Teil der Sozialabgaben erlassen werden, wenn sie junge Arbeitnehmer einstellen und zugleich Ältere im Unternehmen halten. Generation Precaire befürchtet allerdings, dass es dabei zu Missbrauch kommen wird.

    "Das kann einen Mitnahmeeffekt auslösen. Die neue Regierung muss ausschließen, dass die Unternehmen den Generationen-Vertrag für die Einstellung von Berufsanfängern benutzen, die sie ohnehin beschäftigen wollten."

    Hollande will außerdem 150.000 subventionierte Jobs schaffen, um die Jugendarbeitslosigkeit zu drosseln. Viele Experten halten diese Maßnahme für teuer und wenig effektiv. Aber "Generation Precaire" findet sie besonders für junge Leute ohne Schulabschluss und für Geringqualifizierte interessant, sagt Gaetan Mortier.

    "Wir fragen uns allerdings, welche Lebensdauer diese Jobs haben können. Doch selbst wenn die Betroffenen anschließend nicht übernommen werden, so erlaubt ihnen dieser Vertrag wenigstens, erste Berufserfahrungen zu sammeln, und das ist für junge Leute unheimlich wichtig. Wenn es diesen Zweck erfüllt, bewerten wir es positiv."

    "Generation Précaire" jedenfalls will die neue Politik der Sozialisten genauso kritisch begleiten wie die ihrer Vorgänger, sagt Gaetan Mortier, und immer dann lautstark Alarm schlagen, wenn die Arbeitskraft junger Menschen missbraucht oder ausgebeutet wird.