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Frankreich
Sexismus-Debatte um Kinderbuch

Wie sollte man Kindern im Alter von fünf Jahren ihre Geschlechtsorgane und deren Funktion am besten erklären? In Frankreich wird darüber gerade heftig gestritten. Anlass ist das Kinderbuch eines bekannten Fernseh-Arztes, genauer: das Kapitel über die Geschlechtsorgane. Eltern und Feministinnen werfen Michel Cymes vor, die Vagina als eine Art Loch zu degradieren. Das sei sexistisch und könne schwerwiegende Folgen haben.

Von Anne Tepper | 25.05.2017
    Eine Mutter liest ihren Kindern aus einem Buch vor
    Um ein Kinderbuch ist in Frankreich eine Sexismus-Debatte entflammt (Symbolbild) (imago/ Niehoff)
    Während der Autor relativ ausführlich Penis, Vorhaut, Eichel, Hoden und Harnblase sowie deren Funktionen erklärt, bleibt er bei den weiblichen Geschlechtsorganen vage – einzig Harnblase und Harnleiter werden dargestellt. Und während Cymes für den "Schniedel" auch die erwachsene Bezeichnung "Penis" benutzt, schreibt er bei den Mädchen, die dürften sich aussuchen wie sie "diese besonders intime Region" ihres Körpers nennen wollten – und hält dann eine Reihe von Verniedlichungsformen parat.
    Elf Zeilen für den Penis, fünf für die Vulva
    Die Facebook-Initiative "The Nasty Uterus" zeigte sich empört und kritisierte, während die Erklärungen zu den männlichen Geschlechtsorganen auf elf Zeilen Text kämen, seien es bei der Seite für die Mädchen nur fünf – wie bei einem Nebenprodukt. Wenn man sich die Zeichnung der Vulva anschaut, könne man denken, die sei lediglich ein Loch. "Verschwunden die Vagina, verschwunden der Uterus, verschwunden die vier Lippen, verschwunden die zwei Eierstöcke, verschwunden die Klitoris!"
    Diese Kritik teilen in Frankreich offenbar viele Menschen. Eine Online-Petition, mit der die Initiative Autor und Verlag auffordert, das entsprechende Kapitel zu überarbeiten, hat mittlerweile mehr als 11.000 Unterzeichner. In den sozialen Netzwerken gab es nach Erscheinen des Buchs im März heftige Diskussionen. Auf Twitter schrieb eine Kritikerin zum Beispiel: "Für Michel Cymes dient die Vulva nur dazu, Pipi zu machen und sich Mycosen zu holen". Eine andere wirft dem Arzt Verachtung vor.
    Den weiblichen Geschlechtsorganen einen Namen geben!
    Vor einigen Tagen hat die Autorin und Feministin Maia Mazaurette in der "Le Monde" einen Kommentar zu dem Kinderbuch geschrieben. Ihrer Ansicht nach ist die Darstellung der Geschlechtsorgane ein Beispiel dafür, dass die Gesellschaft widersprüchlich mit dem Thema umgehe. "Niemand regt sich über einen kleinen Jungen auf, der an seinem Penis zieht, während einem kleinen Mädchen oft verboten wird, sich ‚da‘ anzufassen." Der Vulva Namen aus dem Tierreich zu geben wie "minou" (übersetzt "Muschi") oder sie mit "fefesse" (übersetzt "Popo") gänzlich falsch zu bezeichnen, führe zu Verwirrung. Für eine gesunde Sexualität sei es wichtig, schon Kindern beizubringen, ihre Geschlechtsorgane beschreiben zu können. "Nommer donc", fordert sie: "Benennen wir sie".
    Unverständnis bei Autor und Verlag
    Autor und Verlag reagierten mit Unverständnis auf die Kritik. Michel Cymes twitterte, zuerst denke man, es handele sich um einen Witz. Manche Menschen seien wirklich krank. Sein Twitter-Konto ist inzwischen gelöscht.
    Herausgeberin Maureen Dor verteidigte das Buch auf Facebook und im Magazin Buzzfeed gegen Kritik: "Ich finde das total deplatziert, wenn man gegenüber einem fünfjährigen Kind von der Klitoris spricht." Es gehe in dem Buch um die Probleme von Kindern. Ein kleines Mädchen habe keine Probleme mit den Eierstöcken oder seiner Gebärmutter. "Wenn wir mehr über das Organ des kleinen Jungen sprechen, dann weil es außen liegt." Die Vorwürfe bezeichnete sie als dumm. Sie sei selbst so feministisch, dass sie niemals etwas sexistisches durchgehen lasse. Sie lehnte es ab, die entsprechenden Seiten überarbeiten zu lassen.