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Frankreichs Haftanstalten
Die Probleme von morgen

In Frankreich leben derzeit fast 70.000 Häftlinge in Gefängnissen, die für 60.000 Menschen gebaut sind - unwürdig, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gerügt hat. Dass die Zustände außerdem Zeitbomben für die französische Gesellschaft sind, weiß die französische Regierung. Und will Abhilfe schaffen.

Von Anke Schäfer | 20.09.2016
    Maroder, enger, mit Graffiti besprühter Gefängnisinnenhof im französischen Gefängnis von Loos-lez-Lille.
    "In unseren Gefängnissen kündigen sich die Probleme von morgen an", weiß Frankreichs sozialistischer Justizminister Jean Jacques Urvoas. (imago /Panoramic/Vansteenkiste)
    Frankreichs sozialistischer Justizminister Jean Jacques Urvoas redet nicht drumrum, wenn es um das Thema "Überbelegung in Frankreichs Gefängnissen" geht:
    "In unseren Gefängnissen kündigen sich die Probleme von morgen an. Wir haben ein großes Problem mit der Überbelegung. Wenn ich nur mal die acht Gefängnisse im Großraum Paris nehme, dann habe ich in jedem einzelnen von ihnen eine Überbelegung von 163 Prozent. Das ist äußerst schlimm."
    Dabei gibt in Frankreich ein Gesetz, 140 Jahre ist es alt, in dem steht, klipp und klar, dass in Frankreichs Gefängnissen nur ein einzelner Häftling in jeder Zelle sitzen sollte. So war es nie. Aber so sollte es sein.
    Heute bedeutet "radikal" etwas anderes als früher
    "Nur ein Häftling pro Zelle – das ist für mich ein Gebot der Sicherheit." Sagt Minister Urvoas. Es weiß, dass sich in Gefängnissen leicht das Virus der radikal-islamischen Hassbotschaften verbreitet. Bereits radikalisierte Häftlinge holen ihre Zellengenossen mit ins Boot. Je dichter man zusammenlebt, umso leichter geht es. Kann man dagegen was tun?
    "Wir tun schon was. Aber die Radikalität wirklich aufzuspüren, das ist nicht so einfach. Wir haben gutes Personal, das ist schon aufmerksam und sensibilisiert, aber wir müssen die Leute weiter schulen. Denn heute bedeutet "radikal" etwas anderes, als früher."
    Justizminister Jean Jacques Urvoas hat Psychologen und Soziologen eingesetzt, eine Gruppe von Wissenschaftlern, die Recherchen und Daten aus dem ganzen Land zusammen tragen sollen.
    "In 27 Haftanstalten wird es neue Programme zur Vorbeugung gegen Radikalisierung geben. Die wir entwickelt haben aus den Erfahrungen, die wir bereits gemacht haben. Das braucht halt Zeit. Wir müssen die Leute da erst mal arbeiten lassen. Bevor wir unsere Schlüsse ziehen."
    1.500 Häftlinge schlafen auf Matratzen auf den Fußböden
    186 Gefängnisse gibt es in ganz Frankreich, viele davon sind sehr alt, die meisten Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut. Sie müssten dringend modernisiert werden. Derzeit schlafen rund 1500 Häftlinge auf Matratzen auf den Fußböden. Auch von Neubauten ist seit 30 Jahren schon die Rede. Sollten sie jetzt beschlossen werden – wird es lange dauern, bis sie stehen.
    Auch wenn er das Problem also sieht und es gerne sofort lösen würde – Jean Jacques Urvoas betont – es wird in jedem Fall Zeit brauchen. Dabei geht es ja hier nicht nur um die Frage, wie man die Radikalisierung der Häftlinge verhindern kann, es geht schlicht auch um Würde:
    Mehrfach schon ist Frankreich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügt worden wegen der entwürdigenden Lebenssituation für Häftlinge in französischen Gefängnissen. Insofern wird mit Spannung erwartet, was Frankreichs Justizminister heute ankündigt.
    Erste Zahlen wurden schon genannt: 10.000 Plätze sollen nach dem Willen der Regierung in den kommenden zehn Jahren geschaffen werden – drei Milliarden Euro sollen dafür bereitgestellt werden. Nicolas Sarkozy, Kandidat der Konservativen, der sich als Präsidentschaftskandidat in Stellung bringt, hat schon das Doppelte gefordert. Er will mindestens 20.000 neue Plätze für Häftlinge in französischen Gefängnissen.