Archiv

Terroranschläge
"Die Machtlosigkeit ist den Franzosen bewusst"

In Frankreich gebe es Befürchtungen, dass weitere Terroranschläge passieren könnten, sagte der Chefredakteur des deutsch-französischen Magazins "Dokumente/Documents", Gérald Foussier, im DLF. Noch seien die Menschen aber nicht bereit, deshalb ihren Lebensstil zu ändern. Ihnen sei bewusst, dass solche Taten nicht immer verhindert werden könnten.

Gérald Foussier im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Die französische Nationalflagge auf halbmast.
    Die französische Nationalflagge auf halbmast. (AFP PHOTO / MAXIM MALINOVSKY)
    Foussier sagte weiter, er erwarte eine politische Reaktion der Menschen, und zwar bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr. Die Regierung sei derzeit in einer schwierigen Position. "Es ist unmöglich, vor 40.000 Kirchen Soldaten zu stellen." Die Möglichkeiten für Attentäter seien enorm. "Man kann nicht wissen, was morgen noch passieren könnte." Deshalb gebe es Befürchtungen in der Bevölkerung.

    Dirk-Oliver Heckmann: Das schwere Attentat in Nizza war noch keine zwei Wochen her, da erschütterte die nächste Gewalttat unser Nachbarland. Diesmal überfielen Terroristen, die sich zum sogenannten Islamischen Staat bekannten, eine katholische Kirche bei Rouen im Norden Frankreichs. Sie nahmen die Gläubigen als Geisel und ermordeten den Pfarrer auf brutale Art und Weise. Der Islamische Staat reklamierte die Mordtat für sich. - Am Telefon dazu ist uns jetzt zugeschaltet Gérard Foussier, Chefredakteur der Zeitschrift "Documents". Guten Morgen, Herr Foussier.
    Gérard Foussier: Guten Morgen, Herr Heckmann!
    Heckmann: Erstmals überfallen Islamisten eine katholische Kirche. Wie sehr steht das Land unter Schock, oder hat man sich mittlerweile schon fast an solche Nachrichten gewöhnt?
    Foussier: Gewöhnt ist vielleicht etwas übertrieben, denn Frankreich - ich würde nicht von Angst sprechen, aber von Befürchtungen, Befürchtungen, dass es so weitergeht und dass man auch machtlos ist gegenüber von solcher Gewalt, die nicht berechenbar ist. Man kann nicht wissen heute, was morgen noch kommen könnte. Die Bevölkerung hat, wie ich sagte, die Befürchtung, dass das nächste Ziel ein ganz anderes sein wird, nachdem jetzt eine Kirche angegriffen worden ist, nachdem Leute bei einem Feuerwerk angegriffen worden sind, oder in einem Kaufhaus. Es gibt so viele Möglichkeiten. Auch in einer Schule, es sind auch Kinder angegriffen worden, das war schon 2012. Das heißt, die Möglichkeiten für die Attentäter sind so enorm, dass es unmöglich aussieht, dass die Polizei, dass die Staatsmacht Wege findet, gegen diesen Terror zu kämpfen.
    "Die Methoden sind jedes Mal anders"
    Heckmann: Die Befürchtung ist das eine. Das Verhalten der Bevölkerung ist das andere. Wie reagieren denn die Menschen? Wie reagieren Sie? Ändern Sie Ihr Verhalten, oder machen Sie weiter wie bisher?
    Foussier: Natürlich hört man immer wieder, das Leben geht weiter und man sollte nicht den Terroristen Rechten geben und jetzt den Lebensstil ändern. Ich war gestern in einer Stadt, da wo ich im Moment im Urlaub bin, wo man jedes Jahr das sogenannte Annafest feiert, und das ist das Fest von Knoblauch und Basilikum, also was Harmloses. Zwei Straßen sind gesperrt, zum ersten Mal, ich bin fast jedes Jahr da. Es ist ganz nett, da kann man auch was essen auf offener Straße, da kann man natürlich auch Knoblauch kaufen und so was, also wirklich was Gemütliches. Zum ersten Mal seit Jahren, seitdem ich da bin, waren direkt am Ende der beiden Straßen Gendarmen und Soldaten mit Maschinengewehren. Das ist schon ein komisches Gefühl. Wenn man zu einem Fest geht, was mit politischem Hintergrund ist, könnte man das noch verstehen, oder mit religiösem Hintergrund könnte man das verstehen. Aber hier wegen Knoblauch, dass die Leute bewaffnet dastehen? Die Leute reden auch mit diesen Soldaten. Man hat den Eindruck, na ja, das ist schon ganz gut, da wird man das nicht wiederholen können, Terroristen werden nicht das wiederholen können, was in Nizza passiert ist, dass einer mit einem Lastwagen durch die Menge fährt. Aber die Methoden sind jedes Mal anders.
    "Einzige Reaktion wird eine politische Reaktion bei den Präsidentschaftswahlen sein"
    Heckmann: Herr Foussier, viele glauben ja, die Regierung tue nicht genug, um die Menschen zu schützen. Was sagen die Menschen, mit denen Sie reden? Teilen die diesen Eindruck? Und Sie selbst, denken Sie das auch?
    Foussier: Es ist wirklich ein schwieriges Problem für die Regierung. Es gibt genug Gesetze. Und man darf auch nicht vergessen: Frankreich befindet sich schon im Wahlkampf. Nächstes Jahr gibt es Präsidentschaftswahlen. Und am Ende des Jahres gibt es diese Vorwahlen in den großen Parteien, um den richtigen Kandidaten zu finden. Zweitens: Am 4. Juli, am Nationalfeiertag hatte Hollande den Franzosen klar gemacht, uns geht es besser und wir haben die richtigen Gesetze und wir werden das abschaffen, die ganzen antiterroristischen Initiativen werden wir reduzieren. Und keine zwölf Stunden später passierte das wie Sie wissen in Nizza. Wenn die Regierung heute sagt, wir müssen jetzt unsere Politik ändern, wird die Opposition, werden die anderen Parteien sagen, siehst Du, haben wir immer gesagt, alles war die falsche Politik. Wenn er aber bei dieser Politik bleibt und nichts erreicht hat, dann heißt es, diese Regierung ist machtlos. Es ist für die Regierung sehr schwierig, wobei die meisten wissen - ich spreche jetzt nicht von den Politikern, sondern von der öffentlichen Meinung -, dass es unmöglich ist, vor 40.000 Kirchen Soldaten zu postieren, dass es unmöglich ist, hinter jedem Menschen einen Polizisten zu haben, der aufpasst, dass jeder Rucksack keine Bombe enthält. Diese Machtlosigkeit ist den Franzosen bewusst. Noch wollen sie den Lebensstil auch nicht ändern. Nur irgendwie wird es ein bisschen zu viel des Guten und ich glaube, die einzige Reaktion wird nächstes Jahr eine Reaktion, eine politische Reaktion sein bei den Präsidentschaftswahlen.
    "Die Lösung heißt, mit diesen Leuten reden"
    Heckmann: Ich wollte gerade sagen, die werfen ja ihre Schatten ganz deutlich voraus. Es hat ja keine 24 Stunden gedauert nach Nizza, da hat sich Marine Le Pen hingestellt und massive Kritik an der Regierung geübt. Jetzt Nicolas Sarkozy. Er hatte ein ganzes Bündel an Forderungen aufgestellt. Inwieweit spielen diese ständigen Anschläge in Frankreich Marine Le Pen oder auch Sarkozy in die Hände?
    Foussier: Sarkozy weniger, denn Marine Le Pen sagt das auch selber gestern noch in der ersten Reaktion und auch zum ersten Mal. Seitdem es Anschläge gibt in Frankreich, hat die politische Macht, die Opposition vor allem, keine Stunde nach dem Anschlag schon reagiert. Das ist außergewöhnlich. Und Marine Le Pen hat gesagt, das ist nicht die Schuld der Regierung, das ist die Schuld der Regierungen seit 30 Jahren. Das heißt, die kämpfen auch gegen Sarkozy und Konsorten. Innerhalb der Republikaner, der neogaullistischen Partei, sind auch die Vorschläge, die Ratschläge sehr unterschiedlich. Und viele sind auch der Meinung: Gestern redete ich noch mit meinem Nachbarn. Der sagte, ja wie wollen die das machen. Wenn einer sagt, ich glaube, es war Sarkozy, man müsse alle verhaften, die Gefängnisse in Frankreich sind voll, übervoll. Das heißt, man müsste Gefängnisse bauen. Was passiert, wenn die Leute ein, zwei, drei, meinetwegen zehn Jahre im Gefängnis bleiben und die kommen raus und wollen trotzdem wie der Attentäter von gestern unbedingt nach Syrien? Es gibt keine Lösung in diesem Sinne. Die Lösung heißt, mit diesen Leuten reden, was aber wiederum auch geschehen ist. Im Süden von Rouen, die Moschee in diesem Ort - das ist mehr als ein Dorf; da sind 20, nein 30.000 Einwohner -, die Moschee ist auf einem Grundstück der katholischen Kirche gebaut worden.
    Heckmann: Und trotzdem hat es dieses Attentat gegeben.
    Foussier: Und trotzdem hat der Dialog zu nichts geführt.
    Heckmann: Gérard Foussier war das, Chefredakteur der Zeitschrift "Documents", über das Klima in Frankreich nach dem jüngsten Anschlag in der Normandie. Herr Foussier, ich danke Ihnen für dieses Gespräch und wünsche Ihnen trotz allem einen guten Tag.
    Foussier: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.