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Fremdenfeindlichkeit
Ein neuer Rechtsterrorismus in Deutschland?

Rechtsextreme Organisationen in Brandenburg und Sachsen haben Zulauf. Die Agitation gegen Flüchtlinge als gemeinsames, einigendes Thema - die rechte Szene macht mobil wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Nach Mahnwachen und Demonstrationen kommt es oft zu Brandanschlägen. Ein Rechtsextremismus-Experte sieht die Szene im Krieg.

Von Michael Götschenberg | 15.10.2015
    Ein Anhänger der Partei "Die Rechte" in Goslar (Niedersachsen). Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Die Rechte" und hält eine Flagge.
    Ein Anhänger der Partei "Die Rechte" in Goslar (Niedersachsen). (Swen Pförtner, dpa picture-alliance)
    Nauen in Brandenburg am 12. Februar: Rund 150 rechtsextreme und fremdenfeindliche Randalierer legen eine Stadtversammlung lahm. Es geht um die geplante Unterkunft für Asylbewerber in einer Turnhalle an der Robert-Bosch-Straße. In der Versammlung sitzt auch Volker Müller, Sprecher der Willkommensinitiative Nauen.
    "Mich hat diese Veranstaltung im Februar daran erinnert, wie ich das aus historischen Berichten kenne, wie die SA bestimmte Veranstaltungen Anfang der 30er Jahre aufgerollt hat."
    Die fremdenfeindliche und rassistische Hetze geht in den folgenden Wochen weiter, mit Demonstrationen und Mahnwachen. In der Nacht zum 25. August schließlich brennt die Turnhalle und wird vollkommen zerstört. Markus Klein vom Mobilen Beratungsteam Brandenburg hat Nauen im Umgang mit der rechtsextremistischen Agitation beraten und die Entwicklung aus der Nähe verfolgt.
    "Das war eine Kette und man kann das fast wie eine Eskalationskurve aufzeigen: das war gezielt und bewusst gesteuert in diese Richtung, aus meiner Perspektive."
    Gesteuert - von der NPD, in Verbindung mit der Initiative "Nein-zum-Heim in Nauen" – auch dahinter verbirgt sich die NPD. Auf dem Facebook-Profil der Initiative posten regelmäßig NPD-Funktionäre.
    Dabei ist die NPD nicht alleine, stellt Carlo Weber fest, Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes:
    "Da sieht man also Leute von der NPD, vom Dritten Weg und von freien Kameradschaften bei Demonstrationen und Aktionen gemeinsam auftreten."
    Rechte Szene macht mobil wie seit Jahrzehnten nicht mehr
    Die Agitation gegen Flüchtlinge als gemeinsames, einigendes Thema - die rechte Szene macht mobil wie seit Jahrzehnten nicht mehr und ruft düstere Erinnerungen wach: an Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, an die massiven Angriffe auf Migranten Anfang der 90er Jahre. Der Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner von der Aussteiger-Initiative EXIT sieht die rechte Szene im Krieg:
    "Die sind im Geiste tatsächlich zusammengerückt, das heißt sie befinden sich alle im Kriegszustand. Es ist jetzt hohe Zeit und jetzt im Partisanenkampf angesagt."
    Heidenau in Sachsen am 22. August: Zwischen Rechtsextremen und der Polizei kommt es in der sächsischen Kleinstadt an diesem Wochenende zu schweren Ausschreitungen, die bundesweit Schlagzeilen machen. Auch in Heidenau gab es über Wochen eine gezielte Eskalation der Proteste gegen die Asylbewerberunterkunft in der Stadt. Auch hier in der Schlüsselrolle ein NPD-Funktionär: Rico Rentzsch, Stadtrat in Heidenau. Gleichzeitig pflegt die NPD ihr Biedermann-Image. So auch am 16. September in der NPD-Parteizentrale, Berlin-Köpenick, Werner-Seelenbinderstraße. Parteichef Frank Franz hat zur Pressekonferenz geladen.
    Man kritisiere lediglich die Zustände, wiegelt Franz ab, und deshalb ...
    "... tragen wir nicht die Verantwortung dafür, wenn Bürger irgendwo meinen, was weiß ich tun zu müssen".
    Die Wahrheit sieht anders aus, meint Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner: Die NPD betreibe eine doppelte Kommunikation: Nach Außen pflege die Partei ihr ein Biedermann-Image, suche Anschluss ans bürgerliche Lager, allerdings:
    "Dann gibt's noch ein Internes, was dann bei Saufabenden in entsprechenden Parteikreisen - das berichten uns Aussteiger aus der Führungsebene immer wieder, dass dann der Spieß auch anders gedreht wird. Dann wird auch hart gepiekt und das Gewaltthema durchaus positiv besetzt."
    Rechte schaffen Klima, das zu Gewalt führt
    Tatsächlich ist die Verbindung von Partei und freien, gewaltorientierten Kameradschaften in vielen Regionen sehr eng.
    Andere rechtsextreme Parteien, wie Die Rechte oder der Dritte Weg, sind nach Einschätzung des Verfassungsschutzes sogar überwiegend ein Sammelbecken für Neonazis, deren Kameradschaften verboten wurden. Mit ihrer rassistischen Agitation schaffen sie das Klima, in dem es schließlich zu Anschlägen auf Unterkünfte und zu Gewalt gegen Asylbewerber kommt.
    "Wir sehen eben, dass rechtsextremistische Organisationen, selbst wenn sie diese ganzen Übergriffe nicht steuern, so aber doch immer radikaler werden in ihren Äußerungen und deswegen Angst und Fremdenhass schüren. Und das hat eine bestärkende Wirkung auf die Szene, insbesondere auf kleine Gruppen, die meinen, sie müssten jetzt die Sache selbst in die Hand nehmen."
    Sagt Burkhard Freier, Chef des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen. Von rechtem Terror will Freier nicht sprechen.
    "Im Strafrecht spricht man eben erst dann von Rechtsterrorismus, wenn das eine auf eine gewisse Dauer angelegte Vereinigung ist, von mindestens drei Personen, und diese Vereinigung muss planvoll und systematisch vorgehen und nicht nur situativ, und sie müssen ein gemeinsames Ziel haben."
    Erst im Mai hatten die Sicherheitsbehörden eine solche Gruppe ausgehoben, die sich den Namen "Old School Society" gegeben hatte. Sie soll unter anderem Anschläge auf Asylbewerberheime und Moscheen zum Ziel gehabt haben, die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Einige Mitglieder sollen vorher in der NPD und in Neonazi-Kameradschaften aktiv gewesen sein. Zurzeit gibt es laut Verfassungsschutz keine Erkenntnisse, dass derartige rechtsterroristische Zellen für die Anschläge auf Unterkünfte und die Gewalt gegen Asylbewerber verantwortlich sind. Die Entstehung solcher Zellen hält man jedoch jederzeit für möglich.