Archiv


Frieden in Afghanistan - Die Grenzen des Militärischen (1/3)

Bis Ende des Jahres 2014 sollen alle Kampftruppen Afghanistan verlassen haben. Was zunächst vielversprechend klingt, die Wiederherstellung staatlicher Souveränität, lässt etliche Fragen offen. Um diese Fragen geht es in der Serie bei Essay und Diskurs.

Mit Christoph Burgmer |
    Zu Gast ist der Globalisierungsforscher Michel Chossudovsky.

    Christoph Burgmer: Am 7. Oktober 2001 begann der Krieg in Afghanistan, der publizistisch effektvoll als Operation Enduring Freedom bekannt wurde. Nur etwa einen Monat vorher, am 9. September, war Ahmad Shah Massoud, der Führer der Nordallianz der Opposition gegen die Taliban, ermordet worden. Am 11. September 2001 gab es die Anschläge auf das World Trade Center. Innerhalb von nur vier Wochen hatte sich die Welt verändert. Der Krieg gegen den Terror war ausgerufen, Osama Bin Laden als Drahtzieher ausgemacht, alle Militärstrategie für den Einsatz in Afghanistan umgesetzt. Gemeinsam, Herr Chossudovsky, wollen wir in unserem Gespräch die militärstrategischen globalen und regionalen Veränderungen seit dem Ausruf des Kriegs gegen den Terror durch die Bush-Administration in den Blick bekommen. Dazu zunächst einmal die Frage, wie die US-Strategie bis zum Einmarsch in Afghanistan aussah. Welche Militärstrategie für den Nahen und Mittleren Osten existierte auf amerikanische Seite und auf welchen rechtlichen und militärstrategischen Grundlagen wurde der Krieg in Afghanistan begonnen?

    Michel Chossudovsky: Die Abfolge der Ereignisse in den Wochen vor der Invasion und Besetzung Afghanistans am 7. Oktober 2001 ist entscheidend, um die Neuausrichtung der US-Außenpolitik und deren Strategie zu verstehen. Der Krieg gegen Afghanistan wurde tatsächlich schon am Abend des 11. September erklärt. Wir sollten uns die Ereignisse dieses Tages noch einmal ins Gedächtnis rufen. Am späten Nachmittag des 11. September wurde ein Kriegskabinett gebildet. Zuvor hatte es so etwas in den USA nicht gegeben. In diesem Kriegskabinett waren zentrale Regierungsmitglieder, Berater und einige andere Personen vertreten. Am späten Abend dann wurde der Krieg gegen Afghanistan mit der Begründung erklärt, der afghanische Staat fördere den Terror und würde die El-Kaida-Operationen gegen die USA unterstützen. Es gab keinerlei Beweise und es hatte keine Polizeiuntersuchung gegeben, ob Osama Bin Laden für die Anschläge verantwortlich gewesen ist. Aber man bezog sich auf die Aussage des CIA-Direktors George Tennet, der um 11 Uhr morgens, zwei Stunden nach den Anschlägen, erklärt hatte, dass man Beweise dafür hätte, dass El Kaida und Osama Bin Laden hinter den Anschlägen stecken würden.

    Woher diese Beweise kamen, ist ein eigenes Thema. Das Kriegskabinett jedenfalls erklärte Afghanistan den Krieg mit der Begründung, der Verteidigungsfall sei eingetreten. Am darauffolgenden Morgen europäischer Zeit, also eigentlich nur einige Stunden später, traf sich der Nordatlantikrat in Brüssel und berief sich erstmalig auf Artikel 5 des Nordatlantikvertrages. Er besagt, dass der Angriff auf einen Mitgliedsstaat der NATO wie ein Angriff auf alle Mitgliedsstaaten der NATO anzusehen ist. So wurden die Anschläge vom 11. September als Angriff Afghanistans auf einen NATO-Staat eingestuft. Grundsätzlich mag es viele unterschiedliche Ansichten zu den Anschlägen geben, klar ist jedoch, dass es keine afghanischen Kriegsflugzeuge über New York gegeben hat. Es lagen keinerlei Beweise für den Angriff einer anderen Macht auf die USA vor, auch keine Beweise für den Angriff eines verarmten mittelasiatischen Landes wie Afghanistan. Es war klar und definitiv ein terroristischer Anschlag. Am 12. September erklärte die NATO jedoch Afghanistan den Krieg. Man machte zwar noch den Vorbehalt, dass dies keine offizielle Kriegserklärung sei und man zunächst den Untersuchungsbericht durch das US-Außenministerium abwarten wolle. Darin sollte der Verdacht untersucht werden, ob Afghanistan und El Kaida hinter den Anschlägen stecken würden. Dieser sogenannte Frank-Taylor-Bericht wurde den NATO-Mitgliedern vier Tage vor dem Angriff auf Afghanistan übergeben. Und er ist, obwohl niemals veröffentlicht, die Grundlage für die dann offiziell gemachte Kriegserklärung der NATO. Es gibt einen weiteren Einwand und jeder Militärexperte wird dies bestätigen. Man kann niemals in drei oder vier Wochen eine groß angelegte militärische Operation in einem mehrere Tausend Kilometer entfernten Land organisieren. Dies und andere Hinweise legen nahe, dass der Krieg gegen Afghanistan schon längst vorbereitet gewesen war und die Anschläge vom 11. September lediglich die Begründung lieferten. Entscheidend sind jedoch die Auswirkungen durch die Ausrufung des NATO-Verteidigungsfalls. Denn damit akzeptierten alle NATO Mitgliedsstaaten, dass die Anschläge vom 11. September der Angriff einer ausländischen Macht gewesen war. Die afghanische Regierung, damals die Taliban, die offiziell als Regierung gar nicht anerkannt wurde, übermittelte zwischen dem 12. September und dem 7. Oktober auf diplomatischen Kanälen zwei Mal ihre Bereitschaft, dass, wenn die Bush-Administration zweifelsfreie Beweise über die Beteiligung von Osama Bin Laden an den terroristischen Anschlägen vorlegen würde, man bereit sei, ihn auszuliefern. Die Antwort der Bush-Administration war, dass man mit Terroristen nicht sprechen würde. Zur Chronologie der Ereignisse gehört auch der 10. September. An diesem Tag, einen Tag vor den Terroranschlägen, wurde Osama Bin Laden in ein pakistanisches Militärkrankenhaus in Rawalpindi eingeliefert. Der US-amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld behauptete allerdings einige Tage später, man wisse nicht, wo Bin Laden sich versteckt hielte und es sei die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Nun ist Pakistan ein Verbündeter der USA und Rawalpindi voller amerikanischer Militärberater gewesen. Außerdem stellt sich die Frage, wie Bin Laden die Anschläge von einem Bett in einem Militärkrankenhaus koordiniert haben soll. So gründete sich der Krieg gegen Afghanistan auf zwei falschen Behauptungen: erstens, dass Afghanistan die USA angegriffen hätte und deshalb der Verteidigungsfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages in Kraft zu setzen sei und zweitens, dass Afghanistan El Kaida und Osama Bin Laden unterstützen würde, was die Taliban vehement verneinten. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 wurden also für den schon längst vorbereiteten Krieg gegen Afghanistan instrumentalisiert. Nun erhielt man die notwendige öffentliche Unterstützung, denn alle waren von den Anschlägen geschockt. Diese Ereignisse sind ein entscheidender Wendepunkt in der amerikanischen Außenpolitik und Militärstrategie. Denn dieser Krieg war illegal und kriminell. Der Kriegsgrund, der Casus Belli, ist konstruiert gewesen. Natürlich können wir die Geschichte auf den Kopf stellen und uns einen humanitären Grund für den Krieg ausdenken. Bis in die Gegenwart werden noch zahlreiche andere Gründe dafür genannt, dass man die militärische Besetzung Afghanistans immer noch nicht beenden kann. Im Kern ist und bleibt die Invasion Afghanistans jedoch bis heute illegal. Die wahren Gründe dafür waren geostrategische und wirtschaftliche. Die Eroberung Afghanistans war Teil einer umfassenderen Militärstrategie.

    Burgmer: Es stellt sich natürlich die Frage, abgesehen davon, dass Osama Bin Laden meinetwegen die Anschläge auch schon Monate vorher hätte geplant haben können, wieso wurde Afghanistan so bedeutsam, dass man einen Krieg so schnell erklären wollte.

    Chossudovsky: Die Taliban selbst sind mithilfe der US-Regierung 1995/96 an die Regierung gekommen. Ohne die verdeckte Unterstützung der US-Regierung wäre es ihnen nicht gelungen.

    Burgmer: Sie meinen, durch Pakistan, durch die pakistanischen Militärs?

    Chossudovsky: Die Taliban waren eine späte Folge des CIA-Programms, dass die Mudschaheddin während des sowjetisch-afghanischen Krieges unterstütze. Ronald Reagan nannte sie sogar "Freiheitskämpfer". Im Grunde waren es El Kaida Leute. Selbst Osama Bin Laden ist vom CIA für den Krieg in Afghanistan angeworben worden. Aber die Bezeichnung El Kaida existierte damals nicht. Die Unterstützung dieser Leute wurde mithilfe des pakistanischen Geheimdienstes organisiert. Später wurden die Medresen, die Koranschulen der Taliban in Pakistan von den USA unterstützt. So flog man saudiarabische wahabitische und salafistische Prediger ein und selbst die islamistischen Lehrbücher wurden in Omaha, Nebraska, als Teil eines Universitätsprojektes publiziert. Es waren amerikanische Bücher mit islamistischen Inhalten, die in den Koranschulen benutzt wurden. Gleichzeitig wurden die säkularen afghanischen Verwaltungen und Bildungseinrichtungen, die in den 70er Jahren existiert hatten, nach und nach abgeschafft. Man sollte wissen, dass Afghanistan in den 70er Jahren ein säkularisierter islamischer Staat war und das der Prozentsatz gebildeter Frauen in öffentlichen Institutionen außergewöhnlich hoch gewesen ist. Dies wurde genau ab dem Zeitpunkt rückläufig, als die USA begannen, die Islamisten zu unterstützen und islamistische Missionare ins Land zu schleusen. Die Islamisierung Afghanistans wird allgemein im Rahmen des sogenannten politischen Islams beschrieben. Im Kern ist der politische Islam in Afghanistan jedoch ein US-amerikanisches politisches Projekt. Natürlich haben in Afghanistan islamistisch-radikale Sekten existiert. Aber ihre Bedeutung ist gering gewesen. Das änderte sich erst durch ihre Instrumentalisierung für die Ziele der US-amerikanischen Außenpolitik. Die Islamisierung der Bildung war Teil dieser Strategie. Ihr Ziel bestand darin, den Übergang von einer mit der Sowjetunion verbündeten säkularen islamischen Gesellschaft hin zu einer islamistischen Gesellschaft zu bewerkstelligen. Afghanistan ist ein eminent wichtiges geopolitisches Drehkreuz in Mittelasien. Es hat direkte Grenzen mit China, Pakistan und Iran. Es liegt zwischen Zentralasien, dem Mittleren Osten und Südasien und es ist reich an wichtigen und raren Bodenschätzen, die bislang nicht gefördert sind."

    Burgmer: Aber warum hatte man in Afghanistan dann, nachdem die Sowjetunion sich zurückgezogen hatte aus Afghanistan, warum hatte man es dann in den 90er Jahren so vernachlässigt?
    Chossudovsky: Die USA waren offiziell natürlich nicht militärisch engagiert in Afghanistan. Ich glaube eine der wichtigen Faktoren ist, dass, als die Taliban eine Regierung bildeten, sie sich plötzlich nicht mehr wie ein Marionettenregime der USA verhielten. Die Karzai-Regierung ist ein solches Marionettenregime. Man muss sich nur die Geschichte anschauen, wie er zum Präsidenten wurde. Aber obwohl die Taliban mithilfe der USA an die Macht gekommen waren, stellten sie sich als unabhängiger vom Westen heraus, als man sich das wünschte. Zwei Ereignisse können das belegen. Einmal ging es um die transafghanische Pipeline von Mittelasien nach Karachi. Das US-Öl- und Gaskonglomerat UNICEL sollte die Pipeline bauen, aber die Taliban verhandelten auch mit dem argentinischen Konzern Bridas. Sie suchten also Alternativen. So traten in den Verhandlungen, die in den USA geführt wurden, die ersten Differenzen auf. Eine andere Geschichte, die erwähnt werden muss und die ich nur ganz allgemein erläutern möchte, ist, dass Afghanistan der größte Opiumproduzent der Welt ist und damit auch den Grundstoff für Heroin bereitstellt. Im Jahr 2000 lieferte das afghanische Hochland 90 Prozent des weltweiten Heroins. Der Handel damit ist ein Milliardengeschäft und ähnelt dem Handel mit Öl. Ich habe auf Grundlage der Daten aus den Jahren 2004 und 2005 berechnet, dass der Handel damals etwa 200 Milliarden Dollar umfasste, nimmt man den Verkaufswert in Europa und den USA als Grundlage. Das Geld ist in Banken im Westen deponiert, die Banken stellen einen großen Teil der finanziellen Liquidität des Handels her. In gewisser Weise sind die Banken damit Komplizen des internationalen Drogenhandels. Zum Beispiel die Hongkong and Shanghai Bank und JPMorgan Chase, denen man nachweisen konnte, dass sie, wenn sie auch nicht aktiv am Drogenhandel beteiligt, so doch große Summen aus dem Drogenhandel akkumuliert und gewaschen haben. Ein wichtiges politisches Ziel der Taliban ist es gewesen, den Drogenhandel abzuschaffen. Sie begründeten es mit der Scharia. Die Vereinten Nationen haben dieses Ziel unterstützt. 1999, 2000 haben sie mit der Umsetzung begonnen und 2001 sank die Opiumproduktion tatsächlich um 90 Prozent. Kurz vor der militärischen Invasion am 7. Oktober 2001 kam die Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York zusammen und man besprach das afghanische Antidrogenprogramm sogar öffentlich. Die Konsequenz der Maßnahmen war der Zusammenbruch des Drogenmarktes in den Abnehmerländern und ein Zusammenbruch der Geldwäsche. Aber die Lobbygruppen spielen eine bedeutende Rolle und haben gute Beziehungen zur US-Regierung und auch zu Mitgliedsstaaten der NATO. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch dies eine wichtige Rolle in Bezug auf den Afghanistankrieg gespielt hat. Natürlich ist es äußerst schwierig, diese Problematik zu analysieren. Offensichtlich ist, dass unmittelbar nach dem Einmarsch in Afghanistan die Opiumproduktion von ca. 180 Tonnen jährlich auf die vorherigen Höchstwerte von 4800 Tonnen hochschnellte. Der Anbau von Opium wurde erlaubt. Es gab keine Bemühungen, den Anbau von Opium auf dem Niveau, wie ihn die Taliban erreicht hatten, einzufrieren. In den nächsten Jahren erhöhte er sich weiter auf 6800 Tonnen jährlich. Heute ist es wahrscheinlich noch mehr. Und das bedeutet Milliarden und Abermilliarden Dollar für das westliche Bankensystem und die Drogenkartelle.

    Burgmer: Ich möchte noch mal auf einen Punkt zurückkommen. Sie haben gesagt, dass der Krieg gegen Afghanistan letztlich illegal ist. Bis heute hat man den Eindruck, der Krieg ist legal, in der Öffentlichkeit wird das auch so dargestellt, der Krieg erscheint als Hilfsmission, um einen neuen afghanischen Staat, nachdem er durch den islamischen Fundamentalismus durch die Taliban so zerstört wurde, wieder aufzubauen. Mit welchen Mitteln ist es gelungen, in der Öffentlichkeit so einen Krieg, der eigentlich auf juristisch illegalen Voraussetzungen, Grundlagen beruht, einen legalen Krieg zu machen, dass jeder denkt, auch dass es so diskutiert wird in der Öffentlichkeit, als nur noch eine technische Frage, wie gut Militärstrategien eigentlich sein können, damit eine Gesellschaft wieder auf die Beine kommt und ein Staat gerettet werden kann?

    Chossudovsky: Die Nürnberger Charta definiert, was ein illegaler Krieg ist. Demnach sind alle Kriege Verbrechen gegen den Frieden. Dieses Dokument ist sehr mächtig. Es lässt keinerlei Ausnahmen zu. Die einzigen Kriege, die in gewisser Weise legitimiert sind, sind Verteidigungskriege. Wenn ein Land von einem anderen Land überfallen wird, hat es das Recht, sich zu verteidigen. Der afghanische Widerstand hat also das Recht, sich zu verteidigen. Der irakische Widerstand hat das Recht, sich zu verteidigen. Ihre Handlungen sind legal.

    Burgmer: Aber die Administration Bush hat es ja so hingestellt, als sei es ein Verteidigungsfall, der eingetreten sei.

    Chossudovsky: Impliziert in diese Kriegserklärung ist die Erwähnung des Verteidigungsfalles von den USA und des Nordatlantischen Rates, des Führungsgremiums der NATO. Mit Bezug auf Artikel 5 erklären sie, wie erwähnt, ihr Recht, sich selbst zu verteidigen. Wenn man sich die Erklärung genau anschaut, steht darin, dass Afghanistan die nordatlantische Region, also die USA angegriffen hat und vielleicht auch noch die Europäische Union hätte angreifen wollen. Das ist die von ihnen verwendete Sprachregelung. Fragen Sie jemanden, ob er davon weiß, dass Afghanistan die USA angegriffen hat. Das ist doch völlig absurd. Die Leute haben den genauen Ablauf der Ereignisse im September 2001 einfach vergessen. Sie haben die fabrizierten Lügen der Regierungen akzeptiert, sie akzeptieren die Behauptungen eines globalen Krieges gegen den Terror, insbesondere gegen El Kaida. Das geht einher mit der Vorstellung, dass Länder, in denen El Kaida angeblich dominant ist, demokratisiert werden müssen, wie Afghanistan. In diesem Zusammenhang werden die Dinge auf den Kopf gestellt und die Lüge ist zur Wahrheit geworden. Wahr ist, dass Afghanistan niemals die USA angegriffen hat, wahr ist, dass die radikalen Islamisten erst durch die USA und ihre Geheimoperationen entstanden sind. Jetzt verbreitet man, dass Afghanistan eine Demokratie werden müsse und das es einer langen Übergangsphase bedürfe und man deshalb mit Militär präsent sein müsse. Dieser Krieg ist illegal und kriminell. Und diejenigen Staats- und Regierungschefs, die sich auf den Artikel 5 des Nordatlantikvertrages berufen, sind Kriminelle. Es sind Kriminelle in hohen Staatspositionen. Die NATO ist eine kriminelle Vereinigung, wenn sie sich selbst eine Art humanitärer Funktion zuweist. Es ist ein krimineller Akt der NATO, den Inhalt des Frank-Taylor-Berichtes nicht öffentlich zugänglich zu machen, und die Beweise nicht vorzulegen, dass Afghanistan die transatlantische Region angegriffen hat. Sie unterstützt somit den Krieg gegen ein verarmtes Land. Es geht nicht nur um das Töten von Menschen, sondern um die Zerstörung einer Nation mit der Begründung, dass die Frauenrechte geschützt werden müssen. Historisch sind diese Frauenrechte deshalb beschädigt, weil eine amerikanische außenpolitische Initiative die Islamisten vom ersten Tag ihres Bestehens an unterstützte.

    Burgmer: Wir sollten bezüglich der NATO vielleicht noch einmal ein wenig tiefer gehen und schauen, wie sich das entwickelt hat in den letzten zehn, elf Jahren, weil man könnte vermuten, dass sich die Rolle und die Funktion der NATO, auch das Zusammenspiel der Partner untereinander, der NATO-Staaten untereinander, komplett verändert hat durch den Casus Belli Afghanistan.

    Chossudovsky: Es ist sehr deutlich, dass die Entscheidung der NATO, an dem von den USA geführten Krieg teilzunehmen, ihre Rolle verändert hat. Einige sprechen von einer inzwischen globalen NATO, weil sie weltweit an mehreren militärischen Operationen beteiligt ist. Sie war am Jugoslawienkrieg beteiligt und in Afghanistan, in einer Region, die definitiv nicht zur atlantischen Region gehört. Denn das NATO-Mandat entstand aus dem Kalten Krieg und bestand darin, sich gegen einen etwaigen Angriff der Sowjetunion zu stellen. Ihre strategische Ausrichtung bezog sich auf die Grenze zum Ostblock. Aber in der Folge der Eroberung Afghanistans und der Stationierung von NATO-Truppen hat sich ihr Mandat verändert hin zu dem, was manche als "globalen Krieg" bezeichnen. Die USA benutzen den Terminus "der lange Krieg". Dieser "lange Krieg" besteht aus einzelnen Etappen militärischer Aktivitäten. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund und deshalb kann man in den militärischen Dokumenten nachlesen, was für jede einzelne dieser Etappen an militärischen Operationen in verschiedenen Teilen der Welt nötig ist.

    Burgmer: Sind die NATO-Partner, die europäischen NATO-Partner, ein Teil der amerikanischen globalen Militärstrategie geworden, nach dem Ende des Kalten Kriegs?

    Chossudovsky: Zunächst muss man dazu die Position der USA in der NATO kennen. Hier ist klar, dass diese von den USA beherrscht wird. Sie sind das Schwergewicht und es gibt keine wirklichen Unterschiede in militärischen Strategien und in außenpolitischen Positionen. Durch die neuen Technologien der Kriegsführung ist die Entscheidungsfindung miteinander vernetzt. Die Flugabwehr, die Logistik, die Kommunikationsnetzwerke sind zwischen den USA und seinen Alliierten global miteinander verwoben. In Wirklichkeit bilden USA und NATO eine ineinander verwobene Entscheidungsstruktur. Es existieren keine davon unabhängigen Kriegs- oder überhaupt militärischen Prozesse. Dazu bedarf es der aktiven Koordination. Mit einbezogen ist auch Israel. Israel ist zwar kein NATO-Mitglied. Aber es hat ein Protokoll unterzeichnet. So ist Israel, wenn auch nicht offiziell, so würde ich doch behaupten, seit 2004 ein De-facto-NATO-Mitglied. Israel ist zwar dazu in der Lage, eigene militärische Operationen durchzuführen. Aber Israel kann dies niemals ohne das "grüne Licht" der USA und der NATO durchführen. Das hat mit der Integration der Systeme der Logistik, der Luftabwehr, der Militärtechnologie zu tun.

    Burgmer: Können Sie das, dieses integrierte System, noch etwas genauer beschreiben?

    Chossudovsky: Lassen Sie mich ein Beispiel geben. Vor einigen Jahren hat Israel mithilfe der USA damit begonnen, seine Luftabwehr zu modernisieren. Sie wurde in die der Vereinigten Staaten und der NATO eingebunden. Das heißt aber, dass jede größere militärische Operation Israels die aktive Koordinierung mit dem US-Militär nötig macht. Und diese Entscheidungen werden im sogenannten US Strategic Command gefällt. Es befindet sich in Omaha, Nebraska.

    Burgmer: Ich möchte noch mal drauf zurückkommen, auf diese neue Art eines globalen Kriegsszenarios, ja, oder einer globalen militärischen Gesamtstrategie. Welche Rolle spielt da in der heutigen Zeit Afghanistan?

    Chossudovsky: Das globale Kriegsszenario ist Bestandteil militärischer Planungen. Die Hauptziele sind Iran, Nordkorea, Russland und China. In diesem Szenario spielt die Einkreisungsstrategie der globalen Hauptkonkurrenten der USA, China und Russland, eine wichtige Rolle. Aber auch Afghanistan kommt darin eine zentrale Bedeutung zu. Es hat Grenzen mit China, einigen ehemaligen russischen Republiken und mit Iran. Und deshalb ist Afghanistan eine wichtige geopolitische Drehscheibe.