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Fußball, naturwissenschaftlich gesehen

Man sollte die heute beginnenden Vorrundenspiele der Fußball-WM genießen. Denn die Spiele ab dem Viertelfinale dürften keine Fußballfeste werden, warnte der Experimentalphysiker Metin Tolan, weil die guten Mannschaften die Räume sehr eng machen müssten. Immerhin werde Deutschland aber wahrscheinlich Weltmeister.

Metin Tolan im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Heute beginnt die Fußballweltmeisterschaft und am 11. Juli, in genau einem Monat, werden wir wissen, wer Fußballweltmeister geworden ist. Viele tippen auf Brasilien und Spanien, aber das sind alles nur Tipps. Sie basieren schon gar nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Über die aber verfügt Metin Tolan. Er ist Professor für experimentelle Physik an der Technischen Universität Dortmund und er hat ausgerechnet: Laut Kosinuskurve wird Fußballweltmeister: Deutschland. Guten Morgen, Herr Tolan.

    Metin Tolan: Guten Morgen!

    Meurer: Wie sieht Ihre Kosinuskurve aus?

    Tolan: Ja. In dieser hochseriösen Berechnung habe ich halt festgestellt, dass Deutschland im Durchschnitt den Platz 3,7 bisher bei Weltmeisterschaften belegt hat, und um diesen durchschnittlichen Wert schwankt die deutsche Leistung periodisch hin und her. Mal sind die Deutschen besser gewesen, mal sind sie schlechter gewesen, und das passiert mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Eine Kosinusfunktion beschreibt eine solche Regelmäßigkeit und da können wir halt dann die Platzierungen versuchen, mit einer solchen Formel wiederzugeben, und diese Formel sagt uns jetzt für 2010 ganz eindeutig, dass wir den Titel holen werden.

    Meurer: Das wollen wir natürlich gerne glauben, Herr Tolan. - In Ihrem Buch "So werden wir Weltmeister - die Physik des Fußballspiels" schreiben Sie physikalische humorvolle Weisheiten über den Fußball. Was raten Sie als Physikprofessor Joachim Löw, damit Ihre statistischen Berechnungen auch in Erfüllung gehen und Deutschland Weltmeister wird?

    Tolan: Ja. Man kann konkret eigentlich Hinweise geben zum Beispiel für eine Situation wie das Elfmeterschießen. Da könnte Joachim Löw sozusagen, wenn er jetzt fünf Spieler ausgeguckt hat, diese fünf Spieler in einer optimalen Reihenfolge schießen lassen. Das kann er ja beeinflussen. Er kann ja sagen, du schießt als Erster und du schießt als Letzter. Er sollte eben den als Ersten schießen lassen, der der Schwächste ist, und er sollte den stärksten Schützen an der fünften Stelle haben. Das können Sie sich wirklich auch ausrechnen mit entsprechenden Modellen, die sie dahinter bauen. Das liegt einfach letztlich daran, dass Sie an der fünften Stelle den Nervenstärksten brauchen, weil der fünfte Elfmeter sicherlich entscheidend ist, während Sie an der ersten Stelle, wenn Sie da schießen, können Sie sowieso nur die Siegwahrscheinlichkeit ihrer eigenen Mannschaft um sechs Prozent erhöhen. Da können Sie gar nicht für so viel Sicherheit sorgen. - Also das könnte er wirklich verändern!

    Meurer: Eine andere physikalische Variante ist es natürlich, wieder einen Zettel in den Strumpf zu stecken. - Sie sagen, Herr Tolan, physikalisch sei ab dem Viertelfinale die Luft raus, weil die guten Mannschaften die Räume wahnsinnig eng machen. Also ab dem Viertelfinale sollten wir sofort Elfmeterschießen machen, ab der ersten Minute?

    Tolan: Na ja. Erst mal ist das so. Der Fußball hat sich so entwickelt, dass wenn Sie zwei sehr körperlich gute Mannschaften gegeneinander spielen lassen, sind die Spieler halt so schnell, dass in der Tat die Räume sehr, sehr eng werden.

    Meurer: Haben Sie das nachgemessen?

    Tolan: Ja, das können Sie mit der Zeit messen, die sie sozusagen durchschnittlich zur Verfügung haben als Spieler, um den Ball anzunehmen und weiterzuspielen. Die ist da natürlich sehr, sehr klein. Das bedeutet dann halt, dass Sie nicht mehr so ein planvolles Spiel sehen.

    Wenn Sie sich an das Spiel Deutschland-Argentinien zurückerinnern, was jetzt vor ein paar Monaten war, das Freundschaftsspiel, das war natürlich grausam. Beide Mannschaften waren sehr fit und durch einen Fehler ist das Spiel halt entschieden worden. Das werden wir ab Viertelfinale wieder erleben. Das haben wir auch bei der letzten WM gesehen, da waren nicht mehr die richtigen Fußballfeste zu sehen. Das kann man einfacher lösen dadurch, dass der Herrenfußball irgendwann in nächster Zukunft sich mal dazu entscheiden sollte, einen Feldspieler zu streichen.

    Meurer: Sie waren 1966 ein Jahr alt bei dem berühmten Wembley-Tor in London und sagen jetzt, wenn ich Sie richtig verstehe, ein Ball kann hinter der Linie im Tor sein und ist es aber doch nicht. Wie erklärt sich das?

    Tolan: Das erklärt sich ganz einfach. Wenn wir uns erst mal das Wembley-Tor angucken und uns auf die Linie selber konzentrieren, an dem Punkt, an dem der Ball wirklich auf dem Rasen auftrifft - ich meine, da sind wir uns hoffentlich alle einig -, dass das sicherlich auf der Linie war oder der Ball irgendwie die Linie berührt hat. Wenn Sie das bestreiten, dann haben Sie eine sehr dicke englische Brille auf. Aber wenn der Ball die Latte trifft, dann bewegt er sich gar nicht gerade zu Boden, sondern dann wird er ja in ganz starke Rotation versetzt, er dreht sich ja ganz schnell, und ein Ball, der sich ganz schnell dreht und durch die Luft fliegt - das kennen Sie von der Bananenflanke -, der bewegt sich ja im Bogen durch die Luft. Jetzt könnte es so gewesen sein, dass der Ball sich so schnell dreht, dass dieser Bogen so groß geworden ist, dass der Ball sich in der Luft hinter der Linie befindet.

    Meurer: Dann war es Tor, Herr Tolan. Was tun Sie uns an?

    Tolan: Dann wäre es ein Tor gewesen, so muss man das sagen. Aus den Fernsehaufnahmen können Sie das leider nicht genau sehen. Sie können sich nur umgekehrt ausrechnen, unter welchen Bedingungen hätte es passieren können, und da hätte Geoff Hurst den Ball mit mehr als 90 Kilometer pro Stunde gegen die Latte donnern müssen. Das erscheint wiederum aus dieser Situation zwar möglich, aber schwierig. Deswegen kann man sagen, es gibt eine Möglichkeit, dass es so gewesen ist ...

    Meurer: Aber wahrscheinlich war es kein Tor?

    Tolan: Aber die Wahrscheinlichkeit ist gering.

    Meurer: Herr Tolan, hoffen wir, dass Sie mit allen Ihren Berechnungen recht haben. - Metin Tolan ist Professor für experimentelle Physik an der TU Dortmund. Herr Tolan, danke schön und auf Wiederhören.

    Tolan: Bitte, bitte! Auf Wiederhören!