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Fußballplätze
Krebsgefahr im Kunstrasen?

Auf jedem zweiten Kunstrasenplatz in Deutschland liegen Gummikügelchen aus alten Reifen. Berichten zufolge ist das Granulat mit krebserregenden Schadstoffen belastet - eine mögliche Gefahr für die Gesundheit von Sportlern, insbesondere Kindern und Jugendlichen. Doch verboten ist der Füllstoff bislang nicht.

Von Moritz Cassalette | 03.01.2017
    Training an der Grünwalderstraße (TSV 1860 München). Arbeiter verlegen den Kunstrasen auf Platz Zwei.
    Sogar der Deutsche Fußball-Bund empfiehlt, statt der Gummikugeln aus alten Autoreifen als Füllmasse für den Kunstrasen lieber kleine grüne Kügelchen aus Neugummi zu wählen. (imago sportfotodienst)
    "Jetzt wird hier gekickt und alle sind bisher zufrieden." Hauke Schmidt guckt erleichtert auf das satte Grün des Fußballplatzes in Ahrensburg. Er ist Landschaftsarchitekt der Stadt und läuft am Rande des neuen Kunstrasens über die kurzen Plastikstoppel. Direkt neben der weiß strahlenden Außenlinie. Anderthalb Monate lang mussten die Fußballer des SSC Hagen auf andere Plätze in der Umgebung ausweichen. Die Stadt Ahrensburg bei Hamburg hatte den Kunstrasen erneuern lassen.
    Berichte aus den Niederlanden stoppten das Vorhaben
    Der grüne Teppich lag schon, da fehlten nur noch die kleinen Gummikügelchen. Die werden zwischen die Plastikhalme gestreut, damit sich so ein Kunstrasenplatz unter den Füßen möglichst ähnlich weich anfühlt wie echter Rasen: "Wir waren kurz davor, das Material einzubauen. Die Säcke mit dem Material standen schon bereit hier neben dem Platz. Dann erreichte uns die Nachricht, dass in den Niederlanden extrem hohe Schadstoffwerte in einem SBR-Granulat aufgetaucht sind."
    In den Niederlanden sind die allermeisten Kunstrasenplätze Gummigranulat aus geschredderten Autoreifen bestreut. Ein Fernsehsender hatte berichtet, dass darin zu viele sogenannte PAK enthalten sind - Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe. Die gelten als krebserregend.
    Alte Reifen sind die günstigste Lösung
    In Deutschland liegen auf etwa jedem zweiten Kunstrasenplatz Gummikügelchen aus alten Reifen. Schließlich sind sie die günstigste Lösung. "Man weiß ja nicht, wie weit setzt sich dieses PAK denn frei aus diesem Granulat?", sagt Schmidt. "Und geht das tatsächlich über auf die Haut, wenn die Spieler mit nackten Beinen auf dem Rasen mal sitzen? Das ist nicht letztendlich geklärt."
    Die Stadt Ahrensburg hat ihr Granulat von einem Labor in Hamburg untersuchen lassen. Das Büro für Geologie und Umwelt fand heraus, dass Grenzwerte zwar eingehalten werden, hatte aber große Bedenken: "Es ist davon auszugehen, dass Gummigranulat nicht abriebstabil ist und Sporttreibende, insbesondere Jugendliche und Kinder, den schadstoffbelasteten Stäuben ausgesetzt sind", heißt es in der Expertise.
    DFB rät zu Kügelchen aus Neugummi
    Auch Behörden raten davon ab, das schwarze Granulat aus alten Autoreifen zu verwenden. Sogar der Deutsche Fußball-Bund empfiehlt, stattdessen lieber kleine grüne Kügelchen aus Neugummi zu wählen. So, wie es die Stadt Ahrensburg auf dem Sportplatz des SSC Hagen letztlich auch getan hat.
    Es gibt in Deutschland aber keine genauen Regelungen. Das Umweltbundesamt spricht von einer Grauzone. Ute Kalbe von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung beschäftigt sich seit Jahren mit den gefährlichen PAK: "Es gibt grundsätzlich eine ganze Reihe von Studien dazu - auch international, die sind aber durchaus unterschiedlich in ihrer Aussage. Die meisten Studien kommen zu dem Ergebnis, dass es eher keine spezifischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen gibt. Aber es gibt durchaus Studien, die auch andere Aussagen treffen."
    Kunstrasenverband: keine Studien, die Krebsrisiko belegen
    Kunstrasenhersteller aus Deutschland verweisen darauf, dass sie nur zertifiziertes Gummigranulat verwenden. Das Institut Fresenius etwa meint, dass die PAK in den kleinen Reifenteilen nicht wasserlöslich seien, also auch nicht gefährlich. Und der Europäische Kunstrasenverband schreibt: "Es gibt keine Studien, die eine Exposition von SBR direkt mit Krebs in Verbindung bringen."
    Alfred Ulenberg überzeugt das nicht. Der Landschaftsgärtner baut seit rund 40 Jahren Sportplätze und kann die Aufregung in den Niederlanden verstehen: "Übertrieben ist das nicht. In Autoreifen sind PAKs enthalten. Durch die UV-Strahlung altert das Gummi und da wird das freigesetzt. Ich bin kein Chemiker, aber wenn Kinder mit schwarzen Händen vom Platz kommen, dann haben die Hautkontakt über einen längeren Zeitraum mit diesem Granulat gehabt."
    EU-Agentur soll Klarheit schaffen
    Die EU will nun Klarheit haben. Sie hat die Europäische Chemie Agentur beauftragt, noch in diesem Monat einzuschätzen, wie bedenklich die kleinen schwarzen Gummikügelchen tatsächlich sind. Die Folgen sind nicht absehbar. Aber unter anderem auch deswegen ist die Stadt Ahrensburg auf Nummer sicher gegangen. "Wenn wir ein Material einbauen, was vielleicht schon im nächsten Jahr die Grenzwerte nicht mehr einhält, dann werden wir eines Tages eventuell ja sogar gezwungen sein, das Material auszutauschen", sagt Schmidt. "Deshalb haben wir gesagt, wir tragen jetzt die deutlich höheren Kosten und sind dafür auf der sicheren Seite."