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"Ganz reibungslos wird es nicht sein"

Deutschland und Frankreich würden auch nach der Wahl von Francois Hollande ziemlich beste Freunde bleiben, sagt der französische Germanist und Politologe Henry Ménudier. Hollandes Stil sei ganz anders als der von Sarkozy, aber er verfüge über langjährige politische Erfahrung.

Henry Ménudier im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Heinemann: Guten Morgen wünscht Ihnen Christoph Heinemann an diesem Sonntag direkt aus dem Sendestudio 1 des Deutschlandfunks im verregneten Köln. Wir blicken heute früh westwärts, die Französinnen und Franzosen haben die Wahl zwischen Nicolas Sarkozy, dem konservativen amtierenden Staatspräsidenten, und dem Sozialisten Francois Hollande. Und es gibt eine Trendmeldung. Schon zum Auftakt berichten die ersten Wahlbüroleiter von einem starken Andrang. Die Leute gehen also zur Wahl. Im Studio ist Professor Henry Ménudier, Politikwissenschaftler, hat lange Zeit an der Pariser Universität, der alt-ehrwürdigen Sorbonne, gelehrt. Guten Morgen.

    Ménudier: Guten Morgen.

    Heinemann: Henri Ménudier, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die haben wir hier, "Berlin stellt sich auf Hollande ein". Bestehen noch Zweifel an einen Wahlsieg des Herausforderers?

    Ménudier: Ich würde sagen ja und nein. Überraschungen sind immer möglich bei Wahlen. Ich bin Politologe, es gibt Prognosen und Wahlumfragen. Aber Wahlumfragen sind keine Prognosen. Gerade, was Sie erwähnt haben, diese starke Wahlbeteiligung könnte eventuell das Kräfteverhältnis ändern. Deswegen muss man etwas vorsichtig sein. Es wurde zuvor gemeldet, dass der Abstand der Wahlabsichten zwischen Sarkozy und Hollande kürzer geworden ist. Der Vorsprung von Hollande ist also kürzer geworden. Letzte Meinungsumfragen, die wir noch gestern in Paris hatten, war 52,5 für Hollande und 47,5 für Nicolas Sarkozy. Deswegen sage ich also "vorsichtig". Aber "ja" insofern – man kann doch beobachten: Seit Monaten ist eigentlich immer Francois Hollande in der Führung geblieben, immer mit ein paar Punkten voraus. Und warum sollte das sich jetzt ei der Endrunde ändern?

    Heinemann: Man sagt, in einem Wahlgang wählen die Bürger, in einem anderen eliminieren sie. Was findet heute statt, die Wahl oder die Abwahl, die Eliminierung?

    Ménudier: Es wird beides stattfinden.

    Heinemann: Beides?

    Ménudier: Weil natürlich jede Partei ihren Kandidaten wählen wird. Aber worauf es ankommt, das ist die Stimmenübertragung der anderen Parteien – beispielsweise für Francois Hollande, er wird also ohne große Schwierigkeiten die Stimmen bekommen von seinen Verbündeten – von den Linken – Mélenchon, von den Grünen- Eva Joly und eventuell auch zum Teil von den Linksextremisten, den Trotzkisten, die zwei Kandidaten hatten.

    Heinemann: Und etwas Spannendes ist passiert, etwas Ungewöhnliches. Francois Bayrou, der eigentlich als Christlich-Liberaler ja zur Rechten dazugehört, zum bürgerlichen Lager, er hat gesagt, er persönlich werde Hollande wählen, hat keine Wahlempfehlung abgegeben. Werden viele Leute seiner Klientel, er hat immerhin neun Prozent erreicht, werden sie dieser Wahlempfehlung folgen?

    Ménudier: Nicht alle. Also hier haben wir einige Meinungsumfragen über diese Frage. Seine Wählerschaft wird sich in etwa in drei Teile teilen, etwa ein Drittel wird zu Sarkozy gehen, ein Drittel zu Francois Hollande, ein Drittel wird sich der Stimme enthalten oder einen weißen Zettel abgeben. Und hier liegt schon das Problem für Nicolas Sarkozy. Er brauchte eigentlich viele Stimmen gerade von den Zentristen, und wenn sie jetzt nicht mehr mitmachen, dann ist das natürlich eine schlechte Perspektive für Nicolas Sarkozy.

    Heinemann: Warum hat sich Bayrou, der zum bürgerlichen Lager gehört, für Hollande ausgesprochen?

    Ménudier: Bayrou hat für seine Person gesprochen und hat keine direkte Wahlempfehlung abgegeben für seine Partei, weil er gesagt hat: Die Parteimitglieder, meine Wähler, sind ja erwachsen und sollen selber entscheiden. Das hat er gemacht – einmal, weil das Verhältnis zwischen Sarkozy und Francois Bayrou immer schwieriger geworden ist, und vor allem weil Bayrou damit nicht einverstanden war, dass Nicolas Sarkozy so stark auf die Thematik der extremen Rechten, auf die Thematik der Wähler von Marine Le Pen, von Front National eingegangen ist. Und das war so ein bisschen der große Widerspruch für Nicolas Sarkozy, er braucht die Stimmen von beiden Seiten, von der extrem Rechten und von der Mitte. Und wenn er eine Seite zu sehr hofiert, dann verliert er natürlich Unterstützung von der anderen Seite.

    Heinemann: Damit sind wir schon beim Wahlkampf. Wenn Sie den Wahlkampf der zurückliegenden Wochen und Monate einmal mit den Kriterien des französischen Weines messen sollten, war das dann ein Landwein, ein Vin de Pays, oder war das ein richtig edler Tropfen, ein Grand Cru?

    Ménudier: Grand Cru will ich nicht sagen, aber bestimmt in der Mitte. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die gesagt haben, es war ein langweiliger Wahlkampf. Natürlich hat es relativ lange gedauert und jeden Tag gab es nicht immer große Diskussionen. Aber im Großen und Ganzen ist doch über sehr viele Probleme sehr ernsthaft diskutiert worden, und wir konnten auch sehen, dass die Franzosen wirklich interessiert waren, weil es viele Veranstaltungen gegeben hat mit Zehntausenden von Teilnehmern. Das ist schon enorm. Und dann der Höhepunkt war dieses Fernsehduell zwischen Nikolas Sarkozy und Francais Hollande. Ich muss wirklich sagen, es war eine Diskussion von hohem Niveau mit sehr großer Qualität. Und hier hat man auch das Problem gesehen. Natürlich war das Hauptthema in diesem Wahlkampf die Bekämpfung der Wirtschaftskrise, der Finanzkrise. Wenn man sich aber speziell damit beschäftigt, dann wird es also ein bisschen schwierig mit den Zahlen – wie man sie interpretiert und mit den möglichen Lösungen. Und deswegen war es nicht immer ganz einfach, die Diskussion zu verfolgen. Aber im Großen und Ganzen wissen aus vielen Auseinandersetzungen die Franzosen etwas besser und etwas mehr über die wirkliche Lage ihres Landes.

    Heinemann: Es war auch deshalb manchmal nicht einfach, diese Diskussion zu verfolgen, weil häufig beide gleichzeitig gesprochen haben. Das tun wir hier heute nicht. Francois Hollande hat eigentlich immer wieder und offenbar erfolgreich Nicolas Sarkozys schlechte Bilanz hervorgehoben. Ist die wirklich so schlecht?

    Ménudier: Ich würde sagen, auch nicht so schlecht, wie sie immer dargestellt wird. Aber es gibt ja eine ganze Reihe von Vorwürfen, die Sarkozy gemacht werden – also über sein privates Leben, über seine Nähe zu den Reichen und Superreichen, dann die Tatsache, dass er viele Reformen versprochen hat, einige hat er durchgesetzt, aber man weiß nicht ganz genau, was heute eigentlich angewendet wird. Vor allem hat er viele Versprechungen gemacht, die nicht eingehalten wurden.

    Heinemann: Zum Beispiel?

    Ménudier: Ja, in einer ganzen Reihe von Bereichen. Beispielsweise wollte er also das Wahlrecht für Ausländer einführen. Das hat er mehrfach gesagt, er sagte: Intellektuell habe ich nichts dagegen. Und nun hat er festgestellt, dass natürlich die extreme Rechte dagegen ist und dass es innerhalb seiner Partei, der Regierungspartei UMP, auf der rechten Seite eine ganze Reihe Stimmen gab, die dagegen waren. Also hat er das Thema nicht weiter verfolgt. Das ist zu einem Streitthema geworden zwischen ihm und Francois Hollande ...

    Heinemann: ... der das in sein Programm jetzt reingeschrieben hat ...

    Ménudier: Ja, Francois Hollande hat das reingeschrieben, und in diesem Fernsehduell hat er auch sehr klug gesagt: Ja, früher haben Sie sich dafür eingesetzt, und es gibt heute eine ganze Reihe von Ländern in Europa, in der Europäischen Union, wo das Wahlrecht für Ausländer angewendet wird. Warum nicht in Frankreich?

    Heinemann: Wir haben eben schon beide darüber gelacht: Der "Figaro", das ist so die Prawda des bürgerlichen Lagers, schrieb gestern in einem Leitartikel: eine Präsidentschaftswahl, das ist kein Schönheitswettbewerb, und es geht auch nicht darum den Sympathischeren oder den Sympathischsten zu wählen. Sie haben es angedeutet: Scheitert Nicolas Sarkozy ein bisschen auch an seinem Stil, wenn er heute nicht wiedergewählt werden sollte?

    Ménudier: Ja, an dem Stil natürlich, dieser Stil hat ihm auch viele Gegner, viele Feinde gebracht. Der Stil blendet ein wenig, diese Nähe zu den Superreichen . . .

    Heinemann: Protzige Uhren ...

    Ménudier: Diese Uhren, die sehr teueren Sonnenbrillen usw. Aber was man ihm auch vorgeworfen hat, was den Stil angeht, das ist die Frage, wie er regiert hat. Der Präsident der Republik in Frankreich besitzt schon laut Verfassung sehr viel Macht. Aber dazu hat Nicolas Sarkozy versucht, noch mehr daraus zu machen, indem er beispielsweise alles selber machen wollte. Er hat den Hyperpräsidenten oder Superpräsidenten gespielt. Er hat seinen Premierminister zum einfachen Mitarbeiter degradiert. Er hat die Minister direkt kommandiert. Und man hat gesehen, er hat einfach zu viel gemacht. Und viele Franzosen sind ein bisschen schockiert, dass der Geist der Institutionen der Fünften Republik nicht wirklich beachtet wurde.

    Heinemann: Sie kennen, haben Sie mir eben im Vorgespräch gesagt, Francois Hollande persönlich. Wie ist er?

    Ménudier: Oh, ich würde sagen, er ist ein sehr sympathischer und jovialer Mensch, sehr einfach in seinem Lebensstil. Und es ist jemand, der gut ausgebildet ist, was sein Universitätsstudium angeht. Und trotz aller Vorwürfe, die ihm gemacht wurden, besonders natürlich von der konservativen Seite: Er hat sehr viel politische Erfahrung, weil – seine politische Karriere hat eigentlich 1981 angefangen, also mit Francais Mitterand als Präsident der Republik. Er war damals einer der Berater, aber kein sehr großer Berater. Und seitdem hat er sehr viel gemacht, indem er Mandate gewonnen hat. Und vor allem war er elf Jahre lang von 1997 bis 2008 Generalsekretär oder Premiersekretär der Sozialistischen Partei. Und in dieser Funktion hat er natürlich sehr viel gelernt.

    Heinemann: Aber er hat noch nie ein Ministerium geleitet.

    Ménudier: Ja, das hing zum Teil damit zusammen: Er hätte schon Minister werden können, er besitze also ohne Zweifel die Fähigkeiten dafür. Er konnte aber kein Minister werden in der Zeit von Francais Mitterrand, weil seine Lebensgefährtin Segolène Royal schon in der Regierung war. Und Mitterand hat gesagt, das geht nicht. Segolene Royal hat ja versucht bei Mitterrand, dass Francois Hollande zum Minister ernannt wird, aber Mitterrand hat das abgelehnt. Aber in der Zeit, in der Hollande Generalsekretär bzw. Premiersekretär der Sozialistischen Partei war, besonders in den Jahren zwischen 1997 und 2002, wo Lionel Jospin Regierungschef war, hat es da eine sehr enge Zusammenarbeit gegeben zwischen Jospin, dem Premierminister und Hollande, weil Hollande dafür sorgen musste, dass die Regierungspolitik von der Partei unterstützt wird. Also insofern kann man sagen, er war praktisch die Nummer zwei der damaligen Regierung.

    Heinemann: Und seinen Spitznamen 'Pudding', würden Sie sagen, trägt er zu Unrecht?

    Ménudier: Ja, Pudding, weil er ist nicht jemand, der auf Konfrontation geht. Er ist jemand, der mehr den Konsens sucht. Und ich finde, dass das nicht schlecht ist. Das ist einer der Vorwürfe, die man gegen Sarkozy gemacht hat. Er wollte zu sehr selber entscheiden, sehr autoritär. Und wenn nötig ist er ganz auf den Konfrontationskurs gegangen. Das ist in einer Demokratie nicht immer gut.

    Heinemann: Interview der Woche im Deutschlandfunk mit dem Politikwissenschaftler Professor Henri Ménudier. Wir sprechen über die Präsidentschaftswahlen, über die wir heute ausführlich berichten werden wie auch über die Parlamentswahlen in Griechenland und natürlich die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, und zwar ab 17.55 bis 21 Uhr hier im Deutschlandfunk, also Fünf vor Sechs bis Neun heute Abend unsere ausführliche Wahlberichterstattung. Herr Ménudier, schauen wir uns Francois Hollandes Wahlprogramm an: Keine Schuldenbremse in der Verfassung, EU-Fiskalpakt neu verhandeln, da ist er ja ein bisschen zurück gerudert in den letzten Tagen, aber aktive Wachstums- und Beschäftigungspolitik. Und Wolfgang Schäuble, der Bundesfinanzminister, hat jetzt in einem Interview gesagt, kreditfinanzierte Wachstumsprogramme in der Eurozone, die kommen überhaupt nicht in die Tüte. Also, hat Francois Hollande da Erwartungen geweckt, die er nur schwer wird erfüllen können?

    Ménudier: Ich würde sagen, Wahlversprechen sind eine Sache, Regierungspolitik ist eine andere Sache. Das heißt, das Problem von Francois Hollande war, sich wirklich als linker Politiker zu bestätigen, um die Unterstützung seiner gesamten Partei, besonders des linken Flügels zu bekommen, und dann die Unterstützung besonders von der Partei von Mélenchon von der Linken. In dem Moment, wo er an der Macht sein wird, wenn er Präsident wird, wird er schon die Dinge etwas anders sehen. Was die Schuldenbremse angeht, hat er sich nicht dafür ausgesprochen, aber er hat gesagt, es wird eine der ersten Aufgaben sein der neuen Nationalversammlung, dass ein Gesetz verabschiedet wird, das genau die Verschuldungspolitik definieren wird, also bis wann werden wir beispielsweise mit unseren Schulden über den Berg sein. Ein ausgeglichener Haushalt sollte bei Nikolas Sarkozy bis 2016 erreicht werden, bei Francois Hollande sollte das 2017 sein, also ein Jahr später, bis zum Ende seines Mandats oder der Legislaturperiode. Also das bedeutet nur, dass er nicht gegen eine Bekämpfung der Verschuldung ist.

    Heinemann: Und das, obwohl er 60.000 neue Lehrerstellen schaffen will. Er möchte zurück zur Rente ab 60 für diejenigen, die besonders lang eingezahlt haben. Das hören wir in Deutschland natürlich besonders gern, wo wir ja über die Rente mit 67 jetzt diskutieren. Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" spricht heute davon - sein Programm kostet in etwa 20 Milliarden Euro - sobald er sich daran machen werde, das zu verwirklichen, werde Francois Holland – und jetzt zitiere ich – "den Eishauch des Kapitalmarktes spüren". Hat er überhaupt Spielraum?

    Ménudier: Sein Spielraum ist sehr begrenzt. Über die 60.000 neu Eingestellten im Bereich der Erziehung hat er gesagt, das soll nicht zu einer Neufinanzierung kommen, sondern das sind Stellen, die wir von anderen Verwaltungszweigen nehmen werden. Wie das genau finanziert wird, da war er nicht so sehr genau.

    Heinemann: Gut. Aber ein Finanzbeamter kann ja nicht Lehrer werden. Das ist ja ein bisschen schwierig.

    Ménudier: Nein. Die 60.000 bedeuten, es werden Lehrer oder Kräfte für die Schulen, Gymnasien und so weiter, neu eingestellt. Es sind Personen, die neu eingestellt werden als Beamte. Und der Vorwurf, der ihm auch gemacht wurde, sie werden nicht nur in den fünf nächsten Jahren eingestellt, sondern es sind Beamte, das heißt, sie werden auf Lebenszeit eingestellt. Aber gut, das ist ein Problem. Er hat gesagt, die Zahl der Beamten wird aber die gleiche bleiben. Das heißt, in anderen Bereichen der Verwaltung wird es keine neuen Einstellungen geben, und so weit es möglich ist, werden sogar Stellen gekürzt. Was die Renten angeht, ich glaube, da muss man etwas differenzieren. Sein Programm bedeutet nicht, dass es für alle eine Rückkehr geben wird zu 60 Jahren. Nur diejenigen, die genug Jahre eingezahlt haben, die beispielsweise mit 18 Jahren angefangen haben zu arbeiten und wirklich auch genug Rentenzeit erreicht haben, nur diese Menschen dürfen früher in Rente gehen. Das ist also ein Punkt. Aber es ist klar, dass die Finanzierung dieses Programms etwas undeutlich ist. Er wollte sich nicht so genau festlegen. Sein erstes Ziel wird sein, eine genaue Bestandsaufnahme der Staatsfinanzen zu machen. Und dann wird er über das Programm entscheiden. Wahrscheinlich wird er auch folgendes machen: Er sagt, ich habe mir das so und so vorgestellt, aber nachdem wir festgestellt haben, dass die Finanzlage so katastrophal ist, müssen wir einige unserer Versprechungen zurück nehmen.

    Heinemann: Und dann sind die Franzosen spätestens im Herbst auf der Straße, wahrscheinlich. Sie haben eben angedeutet, dass nach der Präsidentschaftswahl vor der Parlamentswahl ist, die findet im Juni statt. Ist auszuschließen, dass im Juni eine andere Mehrheit zustande kommt als die des Präsidenten, das heißt, dass Frankreich abermals auf eine Kohabitation zusteuert?

    Ménudier: Ja, ich habe mehrfach auf diese Problematik hingewiesen. Also, wenn Francois Hollande gewählt wird, dann ist es ein Sieg der gesamten Linken. Und ich glaube, dieser Sieg wird dann bei den Parlamentswahlen bestätigt. Das haben wir immer wieder erlebt, denn die Franzosen wollen auch eine Änderung. Wir dürfen ja nicht vergessen, die Konservativen führen den Vorsitz in der Présidence de la République, seit 1995 mit Jacques Chirac zunächst und dann mit Sarkozy. Es hat fünf Jahre gegeben der Kohabitation mit Lionel Jospin, die Jahre, die ich erwähnt habe zwischen 97 und 2002, aber die Konservativen sind seit längerer Zeit an der Macht. Und deswegen ist schon ein Wechsel zu wünschen. Aber nehmen wir an, dass jetzt Nikolas Sarkozy gewählt wird – es könnte nur mit knapper Mehrheit sein – dann könnte es zu einer sehr starken Mobilisierung in Frankreich kommen, besonders auf der linken Seite. Und dann wäre eine linke Mehrheit in der Nationalversammlung durchaus möglich.

    Heinemann: Sie haben eben gesagt, Francois Hollande sei kein Mann der Konfrontation. Sprachlich ist es nicht sehr schwierig, Merkozy zu Merkollande zu ändern. Wird das politisch genau so reibungslos funktionieren?

    Ménudier: Ganz reibungslos wird es nicht sein, denn beide müssen ja zu einer Absprache kommen. Es gibt beispielsweise diesen Fiskalpakt, der wird schon zum Teil in einigen Ländern ratifiziert. Natürlich ist Frau Merkel nicht dafür, dass dieser Pakt, dieser Vertrag neu verhandelt wird. Wahrscheinlich wird es aber zu einer Einigung kommen, in der man sich irgendwie darüber verständigen wird, dass man irgendeinen Text über die Wachstumspolitik verabschieden wird. Auch in der Bundesregierung ist man heute näher daran. Ich glaube nicht, dass man die Lage der deutsch-französischen Beziehungen dramatisieren sollte, denn die Linke weiß ganz genau, dass diese enge Zusammenarbeit von Paris und Berlin von großer Bedeutung ist. Das ist ungefähr, wenn Sie so wollen, die Wirbelsäule der Europäischen Union. Die Sozialisten früher in der Zeit, als sie an der Macht waren, unter François Mitterrand oder unter Lionel Jospin haben eigentlich mit der Bundesrepublik sehr positiv zusammen gearbeitet. Und Francois Hollande selber hat keinen Zweifel darüber gelassen, dass er diese gute deutsch-französische Zusammenarbeit fortführen möchte.

    Heinemann: Trotzdem gab es ja gerade im Lager der Sozialisten sehr deutschlandfeindliche oder deutschlandkritische Äußerungen von Hollande selbst auch.

    Ménudier: Ja, von Hollande gab es ein paar kritische Stimmen. Aber ich würde sagen, das gehört ein bisschen zum Wahlkampfgetöse. Es gab ein bisschen Irritation, dass Frau Merkel in bestimmten Fragen der Europapolitik vielleicht nicht nachgegeben hat. Aber inzwischen hat er das korrigiert. Und ich sagte Ihnen, ich kenne Francois Hollande persönlich und weiß, wie sehr er sich für die deutsch-französische Zusammenarbeit engagiert. Sie dürfen ja nicht vergessen, dass Francois Hollande eigentlich von Jacques Delors stark beeinflusst wurde.

    Heinemann: Dem früheren Wirtschafts- und Finanzminister und späterem EU-Kommissionsmitglied ...

    Ménudier: Und ich würde fast sagen, Jacques Delors war der geistige Ziehvater von Francois Hollande. Er hat sich für seine Europapolitik sehr stark engagiert und ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er auf dieses europäische Ideal irgendwie verzichten möchte. Nur das Problem von Francois Hollande ist, dass, wenn er gewählt wird, er natürlich seine eigenen Akzente setzen will. Und hier wird es irgendwie zu einer Einigung kommen mit Frau Merkel.

    Heinemann: Das heißt, Sie rechnen damit, Frankreich und Deutschland – um es mit einem Filmtitel zu sagen – bleiben ziemlich beste Freunde?

    Ménudier: Ja, sie werden ziemlich beste Freunde bleiben, nur mit einem anderen Stil. Vor allem, ich wünsche mir, dass wir aus dieser Zweisamkeit ein bisschen heraus kommen. Ich wünscht beispielsweise, dass wir mit Polen enger zusammenarbeiten. Es gibt ja dieses Weimarer Dreieck. Und leider hat sich Nikolas Sarkozy dafür nicht besonders interessiert. Ich habe das mit Francois Hollande einmal besprochen, und ich hoffe, dass er sich mit diesem Thema auseinandersetzen wird, dass er verstehen wird, dass die Zusammenarbeit mit Osteuropa von großer Bedeutung ist. Wir sind nicht mehr in dem kleinen Europa der Sechs oder der Fünfzehn, wie früher, sondern wir haben das Europa der Siebenundzwanzig mit vielen osteuropäischen Ländern. Und es ist sehr wichtig, dass wir gute Partner im Osten haben.

    Heinemann: Ganz kurz, gibt es in Hollandes Mannschaft Leute, die Deutschland gut kennen, außer Jean-Marc Ayrault vielleicht, dem Fraktionschef der Sozialisten?

    Ménudier: Ja, Jean-Marc Ayrault ist sowieso ein Deutschlehrer. Und vielleicht wird er Premierminister oder wird wahrscheinlich sonst eine andere wichtige Position bekommen. Herr Moscovici war Europaminister und kennt sich auch sehr, sehr gut aus. Und ich weiß, dass er auch gute Deutschlandberater hat.

    Heinemann: Wir sind gespannt. Im Interview der Woche im Deutschlandfunk sprachen wir mit dem Politikwissenschaftler Professor Henri Ménudier. Vielen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.