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Gasstreit Ukraine-Russland
"Moskau handelt sehr zielgerichtet"

Russland wolle die Ukraine schwächen, habe aber auch ein Interesse daran, Europa weiter mit Gas zu beliefern, sagte Ruprecht Polenz, CDU-Politiker und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, im Deutschlandfunk. Das gebe der Ukraine einen "gewissen Hebel in die Hand".

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Porträtbild von Ruprecht Polenz, dem ehemaligen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages.
    Ruprecht Polenz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    Polenz, der in der vergangenen Legislaturperiode Vorsitzender der Auswärtigen Ausschusses des Bundestags war, äußerte sich im Deutschlandfunk zuversichtlich, dass sich der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine "mit Vernunft" lösen lasse. Er erklärte, Kiew sei bei den Verträgen über die Gaslieferungen aus Russland über den Tisch gezogen worden: Noch unter Regierungschefin Julia Timoschenko habe sich die Ukraine verpflichten müssen, eine bestimmte Menge Gas aus Russland auch dann zu bezahlen, wenn man diese Menge gar nicht abnehme.
    Die Europäische Union sollte weiter versuchen, im Konflikt zu vermitteln und Kompromisse vorzuschlagen, sagte Polenz. Man dürfe aber nicht einfach zuschauen, wie Russland gegenüber der Ukraine das Gas als politischen Hebel einsetze. Angesichts der andauernden russischen Unterstützung gewalttätiger Separatisten in der Ukraine werde die EU sich zudem überlegen müssen, wie sie "härter auf die unverändert interventionistische Politik Russlands" reagiere.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Wir reden in diesen Tagen viel über den Krisenherd Irak und über den Terror der Isis-Milizen. Eine andere Krisenregion, die uns sehr viel näher liegt, die rutscht da leicht ein bisschen weiter nach hinten in der Aufmerksamkeit: die Ukraine nämlich. Das Land gerät immer tiefer in den Konflikt mit Russland. In dieser Woche hat Moskau auch noch die Gaslieferungen eingestellt. Das könnte die Ukraine im kommenden Winter vor große Probleme stellen. – Am Telefon ist jetzt Ruprecht Polenz, er war im vergangenen Bundestag noch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, inzwischen ist er ausgeschieden aus dem Bundestag und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Schönen guten Morgen, Herr Polenz.
    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Polenz, woher soll die Ukraine jetzt ihr Gas bekommen?
    Polenz: Nun, es ist nicht das erste Mal, dass im Konflikt mit Russland Russland den Gashahn zudreht. Wir haben das schon mal erlebt. Es hat dann Verhandlungen gegeben und letztlich wieder einen Kompromiss. Es ist zu hoffen, dass es auch diesmal dazu kommt. Die Lage ist insofern kompliziert, als natürlich auch Europa von Gaslieferungen abhängt, die durch eine Pipeline zu uns kommen, die durch die Ukraine führt.
    Armbrüster: Müssen wir uns dann in Europa vielleicht ein bisschen wärmer anziehen in den kommenden Wintern, die kommen?
    Polenz: Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass Russland ein Interesse daran hat, dass Europa mit russischem Gas weiterhin beliefert wird. Schließlich ist Russland auch auf die Einnahmen angewiesen. Das gibt auch der Ukraine einen gewissen Hebel bei den Verhandlungen in die Hand. Vielleicht muss ich das so erklären: Es kommen noch andere Faktoren hinzu. Russland muss auch in der Ukraine gelegene Erdgasspeicher jetzt in den Sommerzeiten auffüllen, damit die Lieferspitzen in Europa bedient werden können im Winter, und damit ist Russland auch auf eine bestimmte Kooperation der Ukraine angewiesen. Also mit Vernunft sollte sich der Konflikt lösen lassen. Aber die Interessenlage und vor allen Dingen, wie Russland das Gas als politischen Hebel gegen die Ukraine einsetzt, lassen jedenfalls schwierige Verhandlungen erwarten.
    Armbrüster: Sie gehen jetzt in Ihren Erklärungen davon aus, dass Russland vernünftig, möglicherweise auch rational handelt. Aber haben uns nicht die vergangenen Monate gezeigt, dass da ein gehöriges Maß an Irrationalität auch auf Seiten Moskaus vorhanden ist?
    Polenz: Moskau handelt sehr zielgerichtet. Es handelt einmal in dem Interesse, die Ukraine weiter zu schwächen. Andererseits will es den Konflikt möglichst nicht auf Europa ausweiten. Vor allen Dingen was das Gas angeht, ist man eben auch auf die Einnahmen angewiesen. Zu den Verträgen mit der Ukraine muss man wissen, dass Russland immer darauf verweist, dass noch große Schulden von der Ukraine bisher nicht bezahlt worden sind. Aber neben der Frage, wie hoch ist der Gaspreis – darüber wird in unseren Medien berichtet -, wird weniger darüber geschrieben, dass die Verträge, die Russland mit der Ukraine abgeschlossen hat, sogenannte Take-or-Pay-Verträge sind. Das heißt, die Ukraine hat sich damals unter Julia Timoschenko verpflichten müssen, eine bestimmte Abnahmemenge abzunehmen und die in jedem Fall zu bezahlen, auch wenn sie sie nicht abnimmt. Und die letzten Jahre hat die Ukraine etwa nur 80 bis 70 Prozent der vereinbarten Menge abnehmen müssen, um selber klar zu kommen. Trotzdem will Russland entsprechend der Verträge das ganze Geld.
    "Russland benutzt Gas als politischen Hebel"
    Armbrüster: Wie könnte man diesen Konflikt nun lösen?
    Polenz: Die Europäische Union hat ja in den bisherigen, erst mal gescheiterten Verhandlungen versucht, Kompromisse vorzuschlagen. Auf dem Weg wird man weiter arbeiten müssen. Aber man muss als Europäische Union den Russen auch deutlich machen, dass wir nicht einfach zuschauen, wie Russland hier das Gas gegenüber der Ukraine als politischen Hebel einsetzt, und es gehört ja auch in den Kontext dazu, dass neben dem Gashebel auch weiterhin die Unterstützung gewalttätiger ukrainischer Separatisten durch Russland erfolgt. Also die Europäische Union wird sich überlegen müssen, wie sie jetzt auch härter auf diese unverändert interventionistische russische Politik reagiert.
    Armbrüster: Herr Polenz, ist es da nicht etwas leicht, den Schwarzen Peter einfach den Russen zuzuschieben? Ist es nicht auch so, dass in den Verhandlungen, sagen wir mal, Kiew es möglicherweise hat darauf ankommen lassen, diese Verhandlungen einfach vor die Wand fahren zu lassen, weil Kiew ja immer weiß, dass Europa auf der Seite der Ukraine steht?
    Polenz: Nein. Ich glaube, wenn man sich die Fakten anschaut – wir hatten einen Gaspreis unter Janukowitsch für die Ukraine von 268 US-Dollar. Als Janukowitsch im Februar nicht mehr im Amt war, hat Russland den Gaspreis (und zwar nur aus diesem Grund) auf 485 US-Dollar erhöht. Das ist schon eine Nummer, vor allen Dingen, wenn man bedenkt, dass die Ukraine verpflichtet ist, nach diesem Take-or-Pay-Vertrag 42 Milliarden Kubikmeter im Jahr abzunehmen, und die tatsächliche Abnahmemenge hat 2013 bei 26 bis 27 Milliarden Kubikmeter betragen. Daraus erklären sich auch die unterschiedlichen Summen, die immer wieder über Verbindlichkeiten in der Presse berichtet werden.
    Armbrüster: Das heißt, Kiew sollte hier über den Tisch gezogen werden?
    Polenz: Ja, ganz sicher! Das ist auch passiert und vor allen Dingen hat ja ein solcher Take-or-Pay-Vertrag, der solche hohen Abnahmeverpflichtungen der Ukraine quasi aufoktroyiert, die Folge, dass die Ukraine nie Ernst machen kann mit Energieeinsparungsmaßnahmen, die dringend notwendig wären, dass die Ukraine nie auch anfangen kann, sich nach alternativen anderen Energien umzuschauen, weil man ja das Gas erst mal verbrauchen muss, das Russland so umfänglich gerne liefern und los werden möchte.
    Im Übrigen hat auch Medwedew jetzt in diesem Kontext gesagt, wenn Russland Preiszugeständnisse mache, dann dürfe das aber nicht zu Umsatzeinbrüchen oder Einbußen bei Gazprom führen. Das bedeutet mit anderen Worten, dann muss die Abnahmeverpflichtung noch mal erhöht werden.
    Armbrüster: Sie haben jetzt Einsparungen genannt. Ist dieser Vorfall, was wir da in den letzten Tagen und Wochen erlebt haben, ist das nicht eigentlich ein deutliches Signal dafür, dass nicht nur die Ukraine, sondern wir vielleicht alle in Europa versuchen sollten, ab einem bestimmten Zeitpunkt X unabhängig zu sein von diesen Gaslieferungen aus Russland?
    Polenz: Ich denke, die Botschaft ist ja nun schon angekommen, dass die strategische Abhängigkeit von russischem Gas unter den Aspekten, die wir jetzt das letzte halbe Jahr beobachten können beim Vorgehen Russlands gegenüber der Ukraine, der Annexion der Krim, dass wir davon wegkommen sollten. Aber das ist eine Frage der mittel- und längerfristigen Politik. Da trägt natürlich die Energiewende, da tragen Energieeinsparungsmaßnahmen und da trägt auch eine Diversifizierung unserer Energielieferungsbeziehungen dazu bei. Wir können, denke ich, in absehbarer Zeit auch mehr Energie aus den USA importieren. Aber das ist nicht eine Frage von diesem und dem nächsten Winter, das wird in Teilen noch länger dauern.
    Armbrüster: Herr Polenz, dann lassen Sie uns kurz über die politische Lage in der Ukraine selbst sprechen. Der neue Präsident Poroschenko geht seit seiner Wahl mit aller Härte gegen die Separatisten vor. Ist er für die Europäer mit dieser militärischen Härte, die er zeigt, ein guter Partner?
    Polenz: Ich denke, jeder Staatschef hat die Aufgabe, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen, und es ist auch durch Umfragen auch in der Ostukraine belegt, dass die Ostukraine nicht den gleichen Weg gehen will wie die Krim. Man darf hier Ursache und Wirkung, finde ich, nicht verwechseln. Die bewaffneten Aufständischen bekommen weiterhin Unterstützung von Russland, obwohl Russland international und auch von der Ukraine aufgefordert worden ist, diese Form der Intervention ins Nachbarland zu unterlassen.
    "Russland macht sich die Ukraine nachhaltig zum Gegner"
    Armbrüster: Jedes Mal, wenn das jemand bei uns in einem Interview sagt, kriegen wir anschließend körbeweise sozusagen E-Mails von Leuten, die uns fragen, woher kriegt ihr diese Informationen, das stimmt doch überhaupt nicht.
    Polenz: Zum einen gibt es ja noch OSZE-Beobachter im Land, aber auch da zeigt sich ja, wie sehr die Separatisten sich weigern, internationale Beobachter auch nur in die Nähe zu lassen – denken Sie an die Entführungsfälle. Es gibt natürlich Aufklärungsmöglichkeiten der NATO und es gibt auch nach wie vor Journalisten, die auch in der Ostukraine arbeiten können. Also das Informationsangebot ist so schlecht nicht. Aber ich gebe zu: Man weiß nicht überall so genau Bescheid, wie man bescheid wissen könnte, beispielsweise die Separatisten die OSZE-Beobachter ungestört arbeiten ließen.
    Armbrüster: Es gibt nun Überlegungen eines Gouverneurs in der Ukraine, an der Grenze zu Russland einen Hunderte von Kilometer langen Zaun zu errichten. Wäre das eine gute Idee?
    Polenz: Nein, das glaube ich letztlich nicht. Ich denke, die Formen der Grenzkontrollen sollten so sein, wie sie in Europa üblicherweise sind. Da sollten keine Zäune errichtet werden. Aber allein dass er zu einer solchen Maßnahme greifen will und das öffentlich diskutiert, zeigt doch, woher auch örtliche Verantwortliche die Bedrohung sehen: aus Russland kommend. Das ist doch auch ein Signal an die russische Politik, die dabei ist, sich ein Brudervolk – und so haben sich die Ukrainer auch immer gefühlt – nachhaltig zum Gegner zu machen.
    Armbrüster: Herr Polenz, vielleicht, wenn Sie mir gestatten, zum Schluss noch eine kurze Frage zu Ihrer neuen Position. Sie waren ja jahrelang Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss im Deutschen Bundestag. Jetzt leiten Sie die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, ein unabhängiges Forschungsinstitut. Wenn Sie jetzt sozusagen aus der Politik raus sind und von draußen auf die Politik schauen, fallen Ihnen da manchmal Fehler im politischen Alltag auf, die Ihre ehemaligen Kollegen machen?
    Polenz: Nun, man muss sehr aufpassen, wenn man nicht mehr dabei ist, dass man da nicht von außen als der große Besserwisser erscheint, nach dem Motto, früher hätten wir das alles anders gemacht. Ich glaube, aus meiner Sicht habe ich das eine oder andere auch als Ausschussvorsitzender kritisch gesehen von innen. Ich sehe jetzt das eine oder andere kritisch von außen. Die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, die die ganze deutsche Osteuropaforschung organisiert mit etwa 800 Mitgliedern, die meisten von ihnen Wissenschaftler, versucht, die Entwicklungen zu verfolgen. Wir müssen auch stärker in Osteuropaforschung investieren, nicht zuletzt auch deshalb, weil viele von den Fragen, über die wir jetzt gerade diskutiert haben, auch eine vertiefte Expertise auch zur Beratung der eigenen Regierung erforderlich machen.
    Armbrüster: Ruprecht Polenz war das, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Vielen Dank, dass Sie Zeit hatten für uns heute Morgen.
    Polenz: Bitte schön, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.