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Gefährliche Kometenlandung

Europas Kometensonde Rosetta ist schon acht Jahre unterwegs und benötigt noch zwei weitere Jahre bis zu ihrem Ziel, dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko. In dieser Zeit drehen die verantwortlichen Ingenieure am Boden aber keine Däumchen, sondern bereiten sich konzentriert auf das große Rendezvous mit dem Kometen vor.

Von Karl Urban | 06.06.2012
    Am Stadtrand von Köln liegt die Zentrale des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt. Hier arbeiten Ingenieure derzeit am Fahrplan für ein gewagtes Manöver: die erste Landung auf der Oberfläche eines Kometen. Noch hat der kleine Philae gemeinsam mit Muttersonde Rosetta sein Ziel aber nicht erreicht - und ist noch dazu in einem Tiefschlafmodus. Erst im Januar 2014 werden die beiden geweckt und vier Monate später erreichen sie ihr Ziel, den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko: ein urtümlicher Brocken aus dem Material, aus dem die Planeten samt der Erde entstanden sind. Hier soll Philae, nur waschmaschinen-groß mit langen, spindeldürren Beinen, irgendwie auf dem noch völlig unbekannten Kometenboden landen: Im lockeren Gesteinsstaub könnte er sich mit zwei Harpunen verankern, in einer harten eishaltigen Schicht auch mit Stahlbohrern festkrallen. Auf diese Ungewissheit versuchen sich die Ingenieure in Köln vorzubereiten:

    "Wir können überhaupt noch nicht sagen, wie der Komet aussieht. Deshalb wissen wir auch noch nicht, in was für einer Umgebung wie landen werden: auf einer Hügelkuppe mit viel Sonnenschein oder vielleicht in einem Tal, wo unsere Tage viel kürzer sind","

    sagt Ed Trollope, Verantwortlicher für die theoretische Vorarbeit. Sein Team will die Software an Bord auf möglichst viele Unwägbarkeiten einstellen: Denn während der Landung wird das Raumschiff völlig auf sich gestellt sein. Die Erde ist dann Hunderte Millionen Kilometer weit entfernt und jedes Signal zur Bodenstation und zurück braucht gut eine Stunde. Fernsteuerung: nicht möglich. Erst nach der Landung wird sich Philae hoffentlich melden - und dann müssen die Techniker schnell herausfinden: Ob die Sonde gesund und wohlauf ist, ob sie vielleicht schief im Kometenstaub steckt oder sogar von der Oberfläche abgeprallt ist und zurück ins All geschleudert wurde. Trollope:

    ""Es ist gut möglich, dass wir mehrere Theorien testen müssen, über das, was genau auf dem Kometen vor sich geht. Direkt nach der Landung wird der Simulator deshalb wohl ein sehr wichtiges Diagnosewerkzeug sein."

    Der Simulator: An ihm üben die Ingenieure jetzt täglich - und er besteht aus zwei Kopien der Sonde: zum einen der eineiige Zwilling. Diese Kopie besitzt völlig identische Elektronikbauteile wie das Original im Weltraum. Zum anderen der virtuelle Philae im Computer: Ein halbes Dutzend klobiger Serverschränke brummt hierfür, um die Landung theoretisch durchzuspielen, tausendfach, wieder und wieder, monatelang. Was passiert, wenn ein Entfernungsmesser ausfällt und die Sonde beim Landen nicht mehr weiß, wann sie auf die Oberfläche stößt? Was, wenn sie auf einem sehr steilen Hang stehen bleibt? Und wie können Techniker die Situation der Sonde dann noch korrekt erfassen? Oft nur über regelrechte Detektivarbeit, erzählt Trollope:

    "Wenn wir zum Beispiel sehen, dass die Solarzellen über den Tag verteilt viel weniger Strom erzeugen als erwartet: Dann müssten wir uns überlegen, ob sich entweder Staub darauf gelegt hat - oder ob der Lander einfach nur anders auf der Oberfläche aufgestellt ist, als wir ursprünglich geglaubt hatten. So etwas können wir aus der Leistung von jeder einzelnen unserer sechs Solarpaneele zu verschiedenen Tageszeiten ablesen."

    Schon lange vor der Landung versuchen die Ingenieure, den optimalen Termin für den Abstieg zu simulieren. Ihr Ziel: Philae soll genügend Energie für seine zehn wissenschaftlichen Instrumente zur Verfügung haben. Die beiden Sonden werden deshalb mehrere Monate lang den Kometen umkreisen. Zuerst reicht die Sonnenenergie nämlich gerade mal so, die quadratmetergroßen Solarzellen von Rosetta zu versorgen. Dann ist es also noch zu früh für den Abstieg des kleineren Philae zur Oberfläche. Später kommt der Komet samt seiner robotischen Begleiter der Sonne zwar näher, aber er heizt sich dabei auch auf. Mit der Zeit erwarten Wissenschaftler deshalb gewaltige Fontänen aus Dampf und Staub. Ein entstehender Kometenschweif - und erstmals könnte ein Lander ihn aus der Nähe beobachten. Aber der Staub schlägt sich vielleicht auf Philaes Solarzellen nieder. Wird er also zu spät zur Oberfläche entsandt, dürfte der aufziehende Kometensmog die Forschungsarbeit schnell beenden. Ein Problem, das nur viele Planspiele am Boden lösen können: Philae darf eben zur ersten Kometenlandung der Geschichte weder zu früh, noch zu spät erscheinen. Ed Trollope lacht:

    "Everything in space missions is about the right timing."