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Gefährlicher Atommüll

Die glamouröse Sowjetunion gibt es nicht mehr, aber ihre atomaren Hinterlassenschaften strahlen weiter. Menschen, Flora und Fauna in den heutigen Teil-Republiken leiden unter atomaren Hinterlassenschaften – zum Teil so stark, dass georgische Waldarbeiter gerade in Spezialkliniken für Strahlenopfer um ihr Leben ringen. Die Ursache: Hunderte von Atom-Reaktoren einfachster Bauart waren in entlegenen Gebieten platziert worden, zum Beispiel um Sendeanlagen oder landwirtschaftliche Anlagen zu betreiben. Heute werden sie aufgefunden und – wie vor wenigen Wochen – zuerst in ihrer Gefährlichkeit unterschätzt. Die Wiener internationale Atombehörde ist aufgewacht. Ihre Sprecher haben Alarm geschlagen.

von: Klaus Herbst | 11.03.2002
    Die glamouröse Sowjetunion gibt es nicht mehr, aber ihre atomaren Hinterlassenschaften strahlen weiter. Menschen, Flora und Fauna in den heutigen Teil-Republiken leiden unter atomaren Hinterlassenschaften – zum Teil so stark, dass georgische Waldarbeiter gerade in Spezialkliniken für Strahlenopfer um ihr Leben ringen. Die Ursache: Hunderte von Atom-Reaktoren einfachster Bauart waren in entlegenen Gebieten platziert worden, zum Beispiel um Sendeanlagen oder landwirtschaftliche Anlagen zu betreiben. Heute werden sie aufgefunden und – wie vor wenigen Wochen – zuerst in ihrer Gefährlichkeit unterschätzt. Die Wiener internationale Atombehörde ist aufgewacht. Ihre Sprecher haben Alarm geschlagen.

    Anfang des Jahres fanden drei Waldarbeiter in Georgien, einem Land der ehemaligen Sowjetunion, zwei kleine Container. Sie verbreiteten mollige Wärme, und deswegen nahmen sie die Arbeiter mit in ihr Camp. Nur wenige Minuten, und es wurden ihnen schwindlig, schließlich übel, und bald zeigten sich erste Anzeichen schwerster Verbrennungen. Nur einer der Arbeiter ist inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen. Die beiden anderen ringen um ihr Leben: in Spezialkliniken für Strahlenopfer in Paris und Moskau. Die Container enthielten radioaktives Strontium neunzig. Verwendet wurden sie zu Zeiten der UdSSR zum Betreiben von Sendeanlagen in entlegenen Gebieten. Sofort als dies bekannt wurde, machten sich Expertenteams der Internationalen Atomenergie Agentur (IEAE) Wien auf den Weg nach Tiflis. Die Behälter strahlten so stark, dass sich deren Mitarbeiter maximal nur vierzig Sekunden in deren Nähe aufhalten konnten - trotz Schutzkleidung, erklärt Melissa Fleming, Sprecherin der Atombehörde. Was die Teams nun besonders beunruhigt: In Georgien muss es noch weitere, ähnlich gefährliche Container geben, nur keiner weiß wo.

    Diese speziellen Behälter, die wir nun suchen, enthalten das Isotop Cäsium einhundertsiebenunddreißig. Diese wurden zeitweise in der Landwirtschaft genutzt, um das Keimen von Sämereien künstlich zu beschleunigen. Wir haben Erkenntnisse, dass es viele hundert dieser Geräte, die jeweils über eine Periode von zehn Jahren zum Einsatz kamen. Mit dem Untergang der UdSSR gab es keine zentrale Verwaltungseinheit mehr, welche sich um solche Objekte gekümmert hat.

    ... soweit die Wiener Sprecherin. Helikopter mit Messgeräten an Bord sollen in Kürze aufsteigen, um weitere der besonders stark strahlenden Strontium-neunzig-Behälter zu finden.

    Weiterhin von hoher Priorität ist es, andere radioaktive Quellen zu finden, die in Georgien herumliegen. Es gibt ziemlich eindeutige Hinweise, dass es alleine in diesem Teilstaat zwei mehr gibt. Das Schlimme: Diese beiden enthalten als Strahlungsquelle das extrem gefährliche und starke Strontium neunzig. Und auch auf andere radioaktive Strahlungsquellen gibt es Hinweise.

    ... sagt Melissa Fleming. Diese bestehen aus einer starken Strahlungsquelle, die früher mit Stahl und Beton dick ummmantelt war. Zu finden sind solche verwaisten Mini- und Primitivstreaktoren in entlegenen Gebieten. Französische Befliegungen über besiedelten Arealen hatten keine Strahlung gemessen. Neben Helikoptern sollen jetzt auch georgische Experten mit Autos und zu Fuß nach verwaisten Altreaktoren suchen.

    Die georgische Regierung ist sehr an unserer Arbeit interessiert. Sie beteuert, dass alles sicher sei und ein Erbe des Kalten Krieges - wie auch die Hinterlassenschaften der vielen hinterlassenen Militärbasen, Kasernen und Munitionsdepots. Das muss einfach aufgeräumt werden. Alleine kann es dieses Land nicht leisten.

    ... stellt die Sprecherin der Atombehörde fest. Die beunruhigenden Funde seien mit Sicherheit nicht nur eine Hinterlassenschaft Georgiens. Die Behörde hat den begründeten Verdacht, dass es verschiedene andere Länder der ehemaligen Sowjetunion gibt, die sich nun ähnlichen Umweltproblemen stellen müssen - nicht nur wegen der Aufmerksamkeit aufgrund potenzieller terroristischer Bedrohungen, vor allem auch aus dem Gesichtspunkt der öffentlichen Gesundheit. Radioaktive Quellen, so Melissa Fleming, dürfen in öffentlich zugänglichen Gebieten nicht einfach herumliegen. Diese sind weder überwacht, noch zur Endlagerung für so gefährliches Material geeignet. Für Mensch und Natur stellen die verwaisten Reaktoren eine große Bedrohung dar.