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Gehirnforschung
Orang Utans am Touchpad

Können Affen und Vögel mit einem höher entwickelten Gehirn Objekte und Mengen unterscheiden? Dieser Frage gehen Biologen in einem auf drei Jahre angelegten Projekt im Heidelberger Zoo nach. Sie erforschen die geistigen Fähigkeiten von Zootieren. Und das mit der neuesten Technik, mit Touchpads.

Von Jochen Steiner | 20.11.2015
    Ein Orang-Utan-Männchen guckt in die Kamera.
    Nur wenn er die richtige Entscheidung trifft, bekommt Orang Utan Ujian einen Fruchtdrops. (dpa / picture alliance / Ralf Hirschberger)
    Im Büro von Vanessa Schmitt im Heidelberger Zoo steht ein Kasten, der an einen Kaugummi-Automaten erinnert – der Größe wegen und weil der Kasten eine Aussparung hat, in die tatsächlich Süßes fällt. Alles andere an der Apparatur ist aber anders: Schaut man von vorne auf den robusten Aluminium-Kasten, fällt der Blick auf einen 15-Zoll-Tablet-Computer. Damit er sowohl von Orang-Utan-Fingern als auch von Vogelschnäbeln bedient werden kann, verfügt er über einen speziellen Infrarot-Touchscreen.
    "Hinter dem Tablet ist ein Futterspender angebracht, der über eine kleine elektronische Steuereinheit mit dem Tablet verbunden ist. Und wenn der Affe oder der Vogel auf den Computerbildschirm drückt, dann kommt unten eine Futterbelohnung raus. Das sind kleine Kügelchen, hier für die Affen in Heidelberg habe ich die jetzt mit Fruchtpunsch-Geschmack und Apfel-Geschmack."
    Untersuchen und vergleichen
    Vanessa Schmitt hat sich Anregungen für ihre Apparatur aus anderen Zoos geholt und den Kasten dann weiterentwickelt. Ihr Prototyp benötigt nun kein Stromkabel mehr, mit vier Haken ausgestattet kann sie ihn an jedes Gitter im Zoo hängen.
    Erst vor wenigen Wochen hat das Projekt begonnen. Es soll drei Jahre laufen mit dem Hauptziel, die geistigen Fähigkeiten von Zootieren zu untersuchen und miteinander zu vergleichen, erläutert Zoodirektor Klaus Wünnemann.
    "Das sind sowohl die großen Menschenaffen, aber auch andere Affen.
    Wir wollen aber auch zum Beispiel mit Vögeln arbeiten, da gibt es ja einige mit einem sehr hoch entwickelten Gehirn. Und je nachdem, wie gut wir vorankommen, kann man es eigentlich auf fast jede Tierart ausdehnen. Also ich fände es cool, so was mal mit Fröschen zu machen."
    Aber erst mal ist Orang-Utan-Männchen Ujian an der Reihe. Er hat bereits in kleinen Vorversuchen gelernt, sehr präzise auf einen bestimmten Punkt des Touchpads zu drücken. Vanessa Schmitt trägt ihren Kasten ins Menschenaffenhaus, betritt den Tierpflegergang und hängt die Apparatur an ein Gitter. Noch ist der Orang-Utan durch eine Tür vom Touchscreen getrennt.
    "Ujian wartet jetzt schon auf der anderen Seite, dass die Tür aufgeht und er an den Touchscreen darf. Und jetzt machen wir die Tür auf."
    Ujian ist mit seinen 21 Jahren ein Orang-Utan-Mann im besten Alter. Er läuft zum Kasten und setzt sich davor auf den Boden. Dann geht es los. Heute soll er erst einmal Mengen voneinander unterscheiden.
    "Also Ujian sieht jetzt so ein gelbes Viereck, das ist sein Startsignal. Das hat er gelernt, also jeder Versuch wird durch dieses Startsignal begonnen. Genau, das war jetzt richtig, er muss auf das Startsignal drücken, dann kommen die beiden Bilder mit der unterschiedlichen Punkte-Anzahl.
    Und dann muss er auf das Bildchen mit mehr Punkten drücken, um an Futter zu kommen."
    Ujian sieht vor sich zwei Würfel, die schwarzen Punkte sind darauf allerdings nicht geordnet, sondern durcheinander angebracht. So soll vermieden werden, dass der Menschenaffe bestimmte Muster lernt. Er soll sich wirklich die Anzahl der Punkte anschauen. Ein bis acht Augen sind auf den Würfeln zu sehen.
    Im Durchschnitt benötigt der Orang-Utan 1,5 Sekunden, um sich für einen der beiden Würfel zu entscheiden. Wählt er den mit der höheren Augenzahl, fällt ein Belohnungs-Kügelchen in die Aussparung im Kasten und Ujian schiebt es sich in den Mund. Die roten Fruchtpunsch-Kügelchen mag er am liebsten.
    Memory für Affen
    Nach 15 Minuten hat er etwa 90 Prozent der Aufgaben richtig gelöst und Vanessa Schmitt startet den nächsten Versuch. Jetzt geht es um die Unterscheidung von zwei Objekten.
    "Ujian sieht jetzt zwei Bilder, auf dem einen ist ein gelbes Kreuz und auf dem anderen eine blaue Raute. Und nur eines der beiden Bilder ist eben richtig. Also das gelbe Kreuz ist richtig für ihn und er lernt jetzt zwischen den beiden Bildern zu unterscheiden, dass nur das gelbe Kreuz immer richtig ist und die blaue Raute falsch. Es dauert jetzt ein bisschen, bis er das verstanden hat, dass es jetzt wieder ein ganz anderes Experiment ist als eben die Mengenangabe."
    Nach wenigen Minuten ist Ujian mit diesem Bildpaar durch und ein neues erscheint. Er schaut, drückt und schiebt sich ein Kügelchen in den Mund.
    Der Orang-Utan schneidet in seinen Tests ähnlich gut ab wie drei- bis fünfjährige Menschenkinder.
    "Die Experimente, die er bis jetzt gemacht hat, hat er auch immer mit sehr viel Motivation gemacht und auch sehr gut gemeistert. Diese Experimente, die er jetzt gerade macht, wurden eben zum Beispiel auch schon im Zoo von Atlanta gemacht. Und ich habe mir mal ein bisschen vergleichsweise angeguckt, ob er zum Beispiel schlechter ist als die, die schon jahrelang Erfahrung mit experimentellen Gegebenheiten haben und es war kein Unterschied festzustellen."
    Weitere Tests in Vorbereitung
    Nach einer Dreiviertelstunde beendet Vanessa Schmitt das Programm auf dem Touchscreen. Ujian hätte wohl noch länger weiter gemacht, doch für heute hat er genügend Belohnungs-Kügelchen genascht und jede Menge Daten auf dem Computer der Biologin hinterlassen. Bald treffen weitere Kästen mit Touchscreens im Heidelberger Zoo ein. Dann dürfen auch die beiden Orang-Utan-Weibchen mitmachen.