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Geistes-Slam - Turbowissen in acht Minuten

Wer sagt, dass Vorlesungen der Geisteswissenschaften langweilig sein müssen? Der Konstanzer "Geistes-Slam" beweist das genaue Gegenteil: Angelehnt an den Poetry-Slam werden hier die großen Themen jeweils in schnellen acht Minuten abgehandelt - Publikumserfolg garantiert.

Von Thomas Wagner | 24.11.2011
    "Es wurde angekündigt, dass das auch der Laie versteht."

    "Ich bin selber Geisteswissenschaftler. Aber ich habe manchmal den Eindruck, gerade in Richtung Philosophie, Soziologie, dass der Laie das, wenn er die Fachbegriffe nicht kennt, in der Regel nicht versteht."

    "Ich dachte, ich find' das mal ganz spannend, wie jemand in acht Minuten etwas präsentiert, sodass man hinterher sagt: Hey, wirklich spannend – das lohnt sich, darüber weiter zu forschen, sich da dranzuhängen, sich darum zu kümmern."

    "Also ich darf Sie und Euch zu allerersten Geistes-Slam überhaupt begrüßen."

    Auftakt zu einer Premiere, Auftakt zum ersten Konstanzer "Geistes-Slam": Fünf Geisteswissenschaftler geben Einblicke in ihr Forschungsgebiet. Doch alles ist anders als in der regulären Vorlesung: Die Vortragszeit darf acht Minuten nicht übersteigen. Und selbst diejenigen, die mit Geisteswissenschaften überhaupt nichts am Hut haben, sollen verstehen, um was es geht – und nach Möglichkeit auch noch Spaß am Thema finden. Kostprobe gefällig?

    "Als die Griechen nach Alexander dem Großen das Konzept der Polis über dem Vorderen Orient verbreiten, erwiesen sie sich als ein kulturkonservatives Volk und halten eben auch an den alten Bräuchen, sich gegenseitig den Schädel einzuschlagen, hartnäckig fest. Das Problem ist, dass irgendwann der Schatten Roms über all das fällt und die Griechen in den Städten sich nicht mehr nach Herzenslust umbringen können. Denn das gefällt den Römern nicht. Darum …"

    Es macht richtig Spaß, ihm zuzuhören: Der Historiker Henning Börm referiert über "Bürgerkrieg in den griechischen Städten". Besonders spannend wird es in jener Umbruchphase, in der Griechenland unter den Einfluss Roms gerät.

    "Wir können hier an der rechten Seite schön die Dolche sehen, mit denen Cäsar vom Leben in den Tod befördert wurde. Das ist ganz wunderbar für viele Leute in Griechenland, denn dann ist endlich wieder Bürgerkrieg."

    Hier wird der geschichtswissenschaftliche Diskurs zum launigen Kabarett. Und daran ändert sich auch nichts, als der Medienwissenschaftler Albert Kümmel-Schnur wenig später die kommunikationstheoretischen Aspekte des Telefongesprächs erörtert.

    "Jetzt stellen Sie sich mal folgende Szene vor: Sie sitzen nachmittags, so beim Kaffetrinken, wenn sie sich einen schönen gedeckten Apfelkuchen gemacht haben, ein Tässchen dabei, es geht Ihnen so richtig gut ... und da klingelt plötzlich das Telefon: Aus dem Telefon windet sich eine feuchte, lange, rote, widerwärtige Zunge, kitzelt Ihnen ein bisschen am Ohrläppchen, schlabbert Ihnen fein über die Backe ... "

    Cineasten erkennen es sofort: Dies ist eine Szene aus den legendären "Nightmare"-Filmen, in denen der getötete Serienmörder Freddy Krueger in den Alpträumen von Kindern weiter lebt – und ab und dann mit seiner ekligen Zunge aus der Sprechmuschel des Telefons heraus schlabbert. Der Konstanzer Kommunikationswissenschaftler Albert Kümmel-Schnur zieht daraus seine Schlüsse: Dass nämlich so ein hundsgewöhnliches Telefon nicht nur ein Instrument der Fernkommunikation ist.

    "Da würde schon der Großvater der Medientheorie Ihnen widersprechen, Marshall McLuhan. Der würde sagen: Well - Media are extensions of men – Ausweitung der menschlichen Sinnesorgane. Das heißt: Was wir soeben gesehen haben, ist eine perfekte Visualisierung der Medientheorie a la Marshall McLuhan."

    Der Historiker, der über eine Unmenge rollender Köpfe in der Antike berichtet; der Medienwissenschaftler, der Anleihen beim Horrorfilm nimmt – eines haben die Referenten immerhin erreicht: Die Gäste im vollbesetzten Hörsaal folgen aufmerksam jedem Wort, lachen, klatschen, feixen. Langweile sieht anders aus. Aber: Ist das überhaupt noch Wissenschaft? Aber ja, sagt Historiker Henning Börm:

    "Meines Erachtens ist die entscheidende Frage: Gehört Humor eigentlich in die Wissenschaft? Das ist eine Frage, die sehr unterschiedlich beantwortet wird. Und ich würde immer sagen: Humor gehört auf jeden Fall in die Wissenschaft hinein. Weil Humor Distanz schafft zum Gegenstand, den man gerade betrachtet. Und wenn man eben sagt: Grundsätzlich geht es darum, den Menschen zu zeigen, dass Geschichte interessant ist und dass es da nicht nur um das Lernen von Ereignissen und Zahlen geht, sondern auch um die Frage, wie sich die Menschen da verhalten haben, dann ist es gerade, weil es um Menschen geht, gut, Distanz, also Humor zu haben."

    Und so muss die mit Humor gewürzte, unterhaltsame Darstellung geisteswissenschaftlicher Fragestellungen nicht von vornherein unwissenschaftlich sein - im Gegenteil, findet Medienwissenschaftler Albert Kümmel-Schnur:
    "Geisteswissenschaft muss, gerade weil es immer so im Tenor steht 'Das ist der Elfenbeinturm. Versteht man alle nicht ... ' muss also schon im eigenen Interesse daran interessiert sein, etwas zu machen, was populär ist, was unterhaltsam ist, was Leute auch erreicht. Ich muss irgendetwas tun, womit ich Leuten erklären kann, wieso sie ihre Steuergelder für mich ausgeben sollen."

    "Die Freiheit ist eines der größten Themen, die Menschen und Philosophen immer wieder beschäftigt haben."

    Die nächste Referentin hat begonnen: Frederica Basaglia vom Fachbereich Philosophie erzählt acht Minuten über die Position des Philosophen Immanuel Kant zur Willensfreiheit des Menschen. Beim Konstanzer 'Geistes-Slam' geht alles Schlag auf Schlag – und das ist gut so, meint Anke Bohne, Referentin der Geisteswissenschaftlichen Sektion und Mitorganisatorin:

    "Es gibt die Poetry-Slams seit 1986. Aber das ist ja der Bereich der Dichtung. Und dann gibt es die Science Slams. Und unseres Wissens - wir haben gegoogelt, wir haben nachgeschaut – ein' Geistes-Slam' rein mit Geisteswissenschaftlern gab es in Deutschland noch nicht. Das ist eine Premiere. Das ist als Appetizer gedacht. Und das ist gerade für die junge Gesellschaft die Form, in der wir sie an die Wissenschaft heranführen können. Es ist auf jeden Fall so, dass danach im Idealfall eine Vertiefung stattfinden sollte. Dann haben wir das Ziel erreicht."

    "Die Katze im Sack kaufen, den Nagel auf den Kopf treffen, jemanden auf die Palme bringen und so weiter. Diese Redewendungen haben so einige Besonderheiten."

    Wie speichert unser Gedächtnis die Bedeutungen von Redewendungen ab, oftmals losgelöst von den einzelnen Wörtern? Auch dies ein spannendes Thema beim Konstanzer Geistes-Slam, vorgetragen von der Sprachwissenschaftlerin Eva Smolka, das zudem zeigt: Auch Alltagserfahrungen können unter der Lupe der geisteswissenschaftlichen Betrachtung zur spannenden Geschichte gedeihen.

    "..hier bin ich dann auch schon bei meinem sprichwörtlichen Ende angelangt: Nachdem Sie jetzt garantiert die Weisheit mit Löffeln gefressen haben, hoffe ich, dass Sie mich jetzt auch nicht weiter im Regen stehen lassen!"