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Gekaufte Stimmen

Ausgerechnet der EU-kritischen britischen Presse ist es gelungen, eine Diskussion um Korruption im Europaparlament loszutreten. Zwei als Lobbyisten getarnte Journalisten der "Sunday Times" boten mehreren EU-Abgeordneten Geld für einige Gesetzesänderungen an - mit Erfolg.

Von Doris Simon | 23.03.2011
    "Hier soll jemand kompromittiert werden, ich habe nichts Falsches getan- ich bin nicht korrupt."

    So verteidigt sich der rumänische Europapolitiker und Abgeordnete Adrian Severin gegen erdrückende Beweise, die Journalisten der "Sunday Times" dem Europäischen Parlament übermittelt haben. Als Lobbyisten getarnt hatten die Journalisten den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten im Europaparlament gefragt, ob er für 100.000 Euro eine Gesetzesänderung im Sinne der Bankenindustrie erreichen könne.
    Ein heimlich gedrehtes Video zeigt den rumänischen Europaabgeordneten, wie er seinen vermeintlichen Auftraggebern über den Fortgang seines Antrags Bericht erstattet und ankündigt, seine Dienste in Rechnung zu stellen. Nach Sichtung der Unterlagen und Videos forderte Martin Schulz, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion, Adrian Severin sofort zur Abgabe seines Abgeordnetenmandats auf.

    "Wer wie Herr Severin Geld dafür nimmt, dass er die Gesetzgebung in die Richtung der Interessen desjenigen beeinflusst, der ihm das Geld gibt – in unserem Fall kam noch dazu: gegen unsere Parteilinie - der ist korrupt. Der macht sich der Bestechlichkeit strafbar in meinen Augen."

    Doch Severin fühlt sich zu Unrecht verfolgt: Er spricht von Geheimdienstmachenschaften und will sein Mandat nur bis auf Weiteres ruhen lassen. Gestern wurde Severin deshalb aus der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament ausgeschlossen.

    "Ich muss zugeben, dass ich selten ein so peinliches Gespräch geführt habe – peinlich war es mir deshalb, weil der Mann überhaupt nicht einsichtig war und ich versucht habe, ihm auch klar zu machen, dass, völlig unbeschadet von rechtlichen Erwägungen gibt es auch so etwas wie eine politische und moralische Verantwortung, die man als führendes Mitglied einer Institution hat, und bestehe darauf, dass er sein Mandat als Abgeordneter hier im Haus niederlegt."

    So wie Ernst Strasser und Zoran Thaler. Der Sozialdemokrat Thaler und der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament Strasser waren wie der Adrian Severin auf das 100.000 Euro-Angebot der scheinbaren Banklobbyisten eingegangen: Die "Sunday-Times"-Journalisten filmten heimlich, wie Thaler, früher einmal slowenischer Außenminister, die Überweisung des Geldes an eine Londoner Adresse erbat und erklärte, er werde das keinesfalls offenlegen. Der frühere österreichische Innenminister Strasser prahlte im Video, er verdiene mit ähnlichen Aufträgen im Jahr 500.000 Euro. Als die Zeitung die Enthüllung ankündigte, startete der ÖVP-Europaabgeordnete eine Verteidigungskampagne: Er sei nur scheinbar auf das Angebot Geld gegen Gesetzgebung eingegangen, um am Ende alles aufzudecken:

    "Ich kann das nicht anders nennen: Die wollten mich bestechen. Ich hab in die 'rules' der Abgeordneten gegeben, dass ich nicht bereit bin, das zu tun. Um aber dahinter zukommen, was denn und wer das ist, habe ich auch gebeten um ein entsprechendes Angebot, das habe ich dann auch bekommen. Dann habe ich herausgefunden: Aja, da geht's um Geld. Man hat mir angeboten 100.000 Euro."

    Doch das glaubt Strasser keiner, der das Material der verdeckten Journalisten gesehen hat: Da brüstet sich derselbe Mann, die Doppelrolle als heimlicher Lobbyist und Europaabgeordneter funktioniere sehr gut. Unvorstellbar, unfassbar, sagt sichtbar erschüttert der CDU-Europaparlamentarier Rainer Wieland:

    "Also ich kann das eigentlich nur ansehen als von Panik getriebener Versuch an Ansehen zu retten, was zu retten ist."

    Der CDU-Europaabgeordnete, Vizepräsident des Europäischen Parlamentes, blättert durch einen Haufen ausgedruckter E-Mails und Blogs. Nicht mit dieser Geschichte seien sie jetzt alle wieder korrupt, so komme es doch bei den Leuten an. Rainer Wieland hat wie Martin Schulz keines der Schreiben bekommen, das die vermeintlichen britischen Banklobbyisten an insgesamt sechzig Europaabgeordnete geschickt haben. Noch sind nicht alle Empfänger bekannt.
    Heute Abend beraten die Fraktionsspitzen, wie das Europaparlament nun reagieren soll: Gegen Strasser ermittelt in Wien bereits der Staatsanwalt, in Brüssel könnte das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung OLAF eingeschaltet werden.

    Rainer Wieland fragt sich derweil, ob Thaler, Strasser und Severin nur die ersten und längst nicht die einzigen waren: 16 weitere Abgeordnete sollen ebenfalls auf die Anfragen der verdeckten Journalisten reagiert haben. Die Sunday Times hat weitere Enthüllungen angekündigt.