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Gekürzte Pendlerpauschale ist "politischer Fehler"

Dirk Niebel, Generalsekretär der FDP, fordert die Bundesregierung auf, die Kürzung der Pendelpauschale unabhängig vom Urteil des Verfassungsgerichts zurück zu nehmen. Es gäbe zudem Möglichkeiten, die Bürger zu entlasten, wenn man eine Strukturreform im Moment nicht schaffe, beispielsweise beim Gesundheitsfonds und der Rentenversicherung.

Dirk Niebel im Gespräch mit Bettina Klein | 09.12.2008
    Bettina Klein: Wege zur Arbeit sind bekanntlich seit vergangenem Jahr nur noch vom 21. Kilometer an von der Steuer absetzbar. Eine Entscheidung der Bundesregierung auch, um den Haushalt zu entlasten. Das Projekt lag in den vergangenen Monaten zur Prüfung bei den Bundesverfassungsrichtern vor. Heute verkünden sie ihr Urteil.
    Am Telefon ist Dirk Niebel, Generalsekretär der FDP. Guten Morgen!

    Dirk Niebel: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Herr Niebel, Ihre Partei war von Anfang an gegen die Entscheidung der Bundesregierung. Was erwarten Sie heute von den Bundesverfassungsrichtern?

    Niebel: Ich bin nicht Prophet, aber ich hoffe, dass das Verfassungsgericht entscheidet, dass die jetzige Regelung verfassungswidrig ist und dass man möglichst zügig zur alten und bisherigen Regelung zurückkommt. Das wäre eine unmittelbare Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger und ich glaube, das haben sie nötig.

    Klein: Was, wenn es verfassungskonform war? Nehmen Sie dann Ihre Kritik zurück?

    Niebel: Wenn es verfassungskonform ist, dann ist es rechtlich nicht anzugreifen, aber politisch natürlich trotzdem ein Fehler. Wir brauchen insgesamt eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, und es ist ja schon merkwürdig, fast schon skurril, wenn man sieht, dass alle unsere europäischen Nachbarn auf die Eintrübung der Konjunktur mit Entlastungen der Bürger reagieren, indem sie das Steuerrecht ändern, und nur Deutschland tut nichts.

    Klein: Stichwort europäische Nachbarn. Das Werkstorprinzip, das jetzt auch in Deutschland gelten soll, das gilt in vielen anderen europäischen Staaten. Sprich: Arbeit beginnt eben an der Tür zur Arbeit und nicht an der eigenen Haustür. Weshalb sollen wir uns ausgerechnet hier nicht an europäischen Gepflogenheiten ein Beispiel nehmen?

    Niebel: Wenn wir diese eine europäische Gepflogenheit übernehmen, dann sollten wir auch andere europäische Gepflogenheiten übernehmen. Wir haben schlichtweg ein anderes Steuersystem. Man kann alles machen, wenn man es genauso gestalten will. Nur dafür müssten wir die Kraft haben – und das hat diese Bundesregierung offenkundig nicht -, endlich eine Steuerstrukturreform auf den Weg zu bringen, die unser völlig verqueres, von keinem mehr zu verstehendes, Steuersystem neu ordnet.

    Klein: Wir haben jetzt eine Wirtschafts- und Finanzkrise seit einiger Zeit, Herr Niebel, von der vor einem Jahr, als es verstärkt um die Pendlerpauschale ging, noch nichts zu sehen war. Bleibt die FDP dabei, die Pendlerpauschale in voller Höhe trotz der anstehenden riesigen Belastungen des Haushaltes wieder einzuführen? Ich nenne nur zwei Punkte: Der Bankenrettungsschirm und ein Konjunkturprogramm muss immerhin finanziert werden. Das war vor eineinhalb Jahren noch nicht absehbar.

    Niebel: Ich bin erst mal der Ansicht, ein Konjunkturprogramm muss nicht finanziert werden. Wir brauchen kein Konjunkturprogramm, wir brauchen ein Strukturprogramm, und das ist genau das, was wir kritisieren. Was die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, ist die punktuelle Entlastung einiger weniger Bevölkerungsteile. Wir brauchen eine generelle Entlastung großer Bevölkerungsteile, das heißt eine Steuerstrukturreform, die wirklich mehr vom selbst verdienten Geld übrig behält. Deswegen ist die Fragestellung – Entschuldigung, ohne das jetzt als persönliche Kritik aufzufassen – in die falsche Richtung gerichtet. Wir brauchen eine Entlastung für große Bevölkerungsteile.
    Wenn die Regierung dafür jetzt nicht die Kraft hat, dann muss man das machen, was jetzt geht. Ich weiß auch, dass es politischer Mehrheiten bedarf, um große Schritte zu gehen, aber kleine Dinge kann man heute schon tun. Einmal ist zum Beispiel die Wiedereinführung der Pendlerpauschale in der ehemaligen Form eine wirkliche Entlastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die morgens aufstehen und arbeiten gehen, damit Steuergelder überhaupt eingenommen werden.

    Klein: Aber keine Entlastung für den Haushalt! Das stimmt doch.

    Niebel: Das ist richtig. Allerdings gibt es natürlich andere Schritte, die gegangen werden können. Dafür muss man die Bürger entlasten, denn der Haushalt wird nur dann dauerhaft saniert werden können, wenn die Binnenkonjunktur nicht zusammenbricht. Und jetzt muss man sehen, was man zuerst macht.
    Wir haben ja ein Steuerkonzept vorgelegt als Gesetzentwurf, also nicht als Parteibeschluss nur, sondern wirklich als Gesetzentwurf, wie man es umsetzt, mit Entlastungsvorschlägen von 30 Milliarden. Das wird jetzt keine politische Mehrheit haben – das weiß ich auch -, aber wenn wir wollen, dass die Binnenkonjunktur stabil bleibt oder zumindest nicht so einbricht, wie es zu befürchten sein könnte, wenn man alles das glaubt, was die Bundeskanzlerin verkündet, dann gibt es verschiedene Dinge, die gemacht werden müssen. Verzicht auf den unsäglichen Gesundheitsfonds, der die Versicherungsbeiträge in der Krankenversicherung für große Bevölkerungsgruppen dramatisch erhöht, wäre ein erster wesentlicher Schritt. Oder, dass die Rentenversicherungsbeiträge um 0,3 Prozent gesenkt werden. Das ginge, ohne an die Reserven zu gehen. Oder, dass man an die Energiesteuern geht, was in der Korrelation mit der Pendlerpauschale ja schon gesehen werden kann, denn das ist das, obwohl der Ölpreis gesunken ist, was die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar und dramatisch jetzt in der Winterzeit betrifft. Also es gibt viele unterschwellige Möglichkeiten, die man tun könnte, wenn man das eigentlich richtige, eine Steuerstrukturreform, im Moment nicht schaffen kann.

    Klein: Herr Niebel, Stichwort "Kritik an der Kanzlerin". Deutschland könnte ein bisschen mehr tun und ein größeres Konjunkturprogramm auflegen. So hört man aus anderen europäischen Staaten. Verteidigen Sie an dieser Stelle die Kanzlerin vor der Kritik aus den Nachbarstaaten, die in den vergangenen Tagen hochgekommen ist?

    Niebel: Insofern, als dass wir kein Konjunkturprogramm, sondern ein Strukturprogramm brauchen. Ich wiederhole noch einmal: Wir brauchen keine Entlastung für einige wenige, sondern wir brauchen eine Entlastung für viele, für große Bevölkerungsgruppen. Das geht nur mit einer strukturellen Veränderung.
    Auf der anderen Seite sage ich ganz deutlich: Wir sind sehr isoliert in Europa. Alle anderen europäischen Staaten reagieren auf die zu erwartende Krise damit, dass sie Bürger und Betriebe entlasten, indem sie Steuerprogramme auf den Weg bringen, und nur Deutschland hat eine Kanzlerin, die sich vorne hinstellt und sagt, das ist mir ganz egal, ich stampfe mit den Füßen auf, was die anderen machen, wir machen erst mal gar nichts – mit dem Ergebnis, dass eine Krise auf uns zukommt, die wir nicht versuchen, im Vorhinein zu kontrollieren, sondern wo darauf gewartet wird, dass sie eintritt und man dann reparieren möchte. Das ist der große Fehler!

    Klein: Aber andere Staaten, unter anderem auch die USA, auch Wirtschaftsweise, viele Institute, die linker Ideen völlig unverdächtig sind, fordern mehr Geld aus dem Staatshaushalt, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die haben alle nicht Recht?

    Niebel: Es ist doch die Frage, wie man es macht. Mache ich es als Strohfeuer-Effekt für einige punktuelle Entlastungen, oder mache ich eine generelle Veränderung. Und wir wollen die generelle Veränderung. Dazu gehören die Punkte, die ich angesprochen habe: die Energiesteuern runter, den so genannten Mittelstandsbauch, also die Kalte Progression weg, damit die Leistungsträger in der Gesellschaft entlastet werden, und natürlich das Vorziehen von ohnehin geplanten Infrastrukturmaßnahmen, insbesondere natürlich im Verkehrs-, aber vor allem auch im Bildungsbereich.

    Klein: Sie haben das Konjunkturpaket der Bundesregierung allerdings im Bundestag mitgetragen?

    Niebel: Wir haben das Konjunkturpaket im Bundestag nicht mitgetragen.

    Klein: Okay. Dann korrigiere ich mich an dieser Stelle. – Lassen Sie uns noch mal auf die Weltwirtschaft schauen. Wenn Sie so große Skepsis daran hegen, dass der Staat jetzt Anreize setzen kann und setzen muss, welche Erwartungen haben Sie denn, wie es in Staaten weitergeht, die genau das sich jetzt zum Ziel gesetzt haben?

    Niebel: Ich bin wie gesagt kein Prophet. Ich gehe allerdings davon aus, dass diejenigen, die jetzt aktiv versuchen, die Krise zu gestalten, im Endeffekt deutlich erfolgreicher sein werden, als wenn man sich einfach hinsetzt und wartet wie das Kaninchen vor der Schlange, was passiert.

    Klein: Aber die Bundesregierung wird ja auch aktiv, nur mit anderen Maßnahmen, als Sie sie wünschen.

    Niebel: Ja, ausdrücklich mit den falschen Maßnahmen. Glauben Sie doch ernsthaft, dass jemand ein Auto kauft für 19, 20.000 Euro, nur weil ihm versprochen wird, dass er 109 Euro Steuern sparen kann? Das ist doch witzig.

    Klein: Dirk Niebel, der Generalsekretär der FDP war das. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Niebel.

    Niebel: Gerne! Ich danke Ihnen.