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Gelebtes Multikulti einer Randsportart

Das englische Schlagballspiel ist in Deutschland kaum bekannt, dennoch gibt es hierzulande sogar eine Nationalmannschaft, in der vor allem Pakistaner, Inder oder Sri-Lankaner spielen.

Von Arne Lichtenberg | 06.07.2013
    "Good shoot Kashif. Well played. Great one!"

    Kashif Mahmood hat es schon wieder geschafft. In hohem Bogen steigt der rote Schlagball in die Luft, fliegt weit und landet erst hinter der Spielfeldbegrenzung wieder auf dem Boden. Sechs Punkte für Deutschland. Die höchste Punktzahl, die ein Schlagmann mit einem einzigen Treffer erzielen kann. Mahmoods Teamkollegen, die seine Aktionen auf der Tribüne aufmerksam beobachten, spenden anerkennend Beifall. Es ist ein etwas ungewöhnliches Bild für eine deutsche Nationalmannschaft. Fast alle Nationalspieler haben schwarze Haare, ihre Haut hat einen dunklen Teint. Vereinzelt hört man ein paar Sprachfetzen Urdu, Hindi, Punjab oder Englisch.

    Nichts Ungewöhnliches im europäischen Cricketsport. Denn die Regeln des Weltcricketverbands besagen, dass ausländische Spieler, die seit mindestens sieben Jahren in Deutschland leben, auch für die Nationalmannschaft spielberechtigt sind. Die deutsche Staatsangehörigkeit brauchen sie dann nicht. Die deutsche Cricket-Nationalmannschaft ist deshalb wahrscheinlich die bunteste von allen Auswahlmannschaften der Republik. In der spielen Seite an Seite Pakistanis, Australier oder Sri-Lankaner. Doch für Kashif Mahmood spielen Nationalitäten auf dem Cricketfeld überhaupt keine Rolle.

    "Ganz ehrlich, wenn wir hier sind, sind wir elf, die Deutschland repräsentieren. Wir legen andere Sachen beiseite und sind hier für Deutschland. Und dann spielt es keine Rolle, ob einer aus Afrika, einer aus Australien, einer aus England kommt. Wir sind eine Einheit. Wir sind Deutsche, die ein Land repräsentieren. Wir kommen super mit den Jungs klar, da ist kein Problem damit."

    Cricket ist ein Schlagballspiel. Im Fokus stehen dabei der Schlagmann, genannt Batsman, und der Werfer, der Bowler. Der Schlagmann muss versuchen, den roten Lederball möglichst unerreichbar für die gegnerische Mannschaft davon zu schlagen.

    "Good running boys, good running."

    Der Werfer wiederum versucht, den Ball so hart oder platziert zu werfen, dass dem Schlagmann wenige Punkte gelingen und er im besten Fall frühzeitig ausscheidet. Cricket ähnelt dem im Deutschland vor allem im Schulsport bekannten Brennball. Die englischen Aussiedler, die in die USA emigrierten, brachten Cricket mit in ihre neue Heimat. Später wurde daraus Baseball. Von Großbritannien aus fand das Schlagballspiel vor allem in den Ländern des britischen Commonwealth Verbreitung.

    Deutschland blieb Cricket-Entwicklungsland und ist es auch heute noch. Junge einheimische Cricket-Spieler gibt es in der Nationalmannschaft nicht. Dass sich das Team ausschließlich aus Menschen mit Migrationsgeschichte zusammenstellt, steht auch der langfristigen Entwicklung der Mannschaft etwas im Weg. Der deutsche Bundestrainer Keith Thompson meint:

    "Wenn ein sehr guter Spieler kommt mit 22 oder 23 Jahre,, dann ist er vielleicht schon Ende Zwanzig, bevor er vielleicht überhaupt qualifiziert ist. Und von denjenigen, die erst vier Jahre hier sind, dürfen nur zwei spielen, und von allen anderen müssen entweder den deutschen Pass haben oder die müssen schon sieben Jahre hier sein. Also es macht die Sache insofern schwieriger, weil es ist schwierig eine richtig junge Mannschaft aufzubauen."

    Ein Glücksfall für das Cricket in Deutschland ist deshalb der 19jährige Rohit Singh. Er kam vor vier Jahren mit seiner Mutter aus Indien nach Berlin und gilt als aufstrebendes Talent. Er belegt einen von nur zwei Plätzen, den Spieler in der Nationalmannschaft einnehmen dürfen, die seit mindestens vier Jahren in Deutschland leben. Auch wenn Singh über das Spielniveau in Deutschland positiv angetan ist, vermisst er doch eine entscheidende Komponente im Vergleich zu seinem Heimatland.

    "Wenn wir Cricket spielen und jemanden sagen, dass wir Cricket spielen, dann kennt er die Sportart gar nicht. Und eigentlich braucht man immer Zuschauer, um motivieren zu können. Wenn keiner da ist, dann ist das eigentlich immer sehr traurig, weil wir kennen das, wenn Fußballspiele sind, dann will jeder ins Stadion gehen."

    80 Vereine gibt es in Deutschland und mittlerweile über 5000 Spieler. Die Zahlen sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die Verbandsstrukturen sind mittlerweile organisierter und auch die Nationalmannschaft hat in den letzten Jahren einige Erfolge erzielen können. In der Weltrangliste verbesserte man sich von Platz 50 auf Position 39 neben Ländern wie Ghana, Fiji und Vanuatu. Dennoch bleibt ein Problem, wie der gebürtige Australier Andrè Leslie sagt.

    "Das Problem ist eher in Deutschland: Es ist ein ziemlich großes Land, um das zu koordinieren. Unser Verband hat wenig Sponsoren, hat wenig Geld – das meiste kommt vom internationalen Cricketverband. Wenn Du also wenig Geld hast, wie leicht ist es dann, 15 Jungs aus allen Ecken aus Deutschland zusammenzubringen? Es ist schwierig."

    Der Verband setzt deshalb auf starke Regionalisierung. Die Bundesliga hat man auf sechs Staffeln aufgeteilt, um die Fahrtzeiten der Mannschaften gering zu halten. Immerhin kann ein Cricket-Match bis zu sieben Stunden dauern. Bei einer zusätzlichen langen An- und Abreise eines Teams wäre ein Match kaum mehr durchführbar. Stolz ist man beim Verband aber vor allem auf die Etablierung einer eigenen Cricket-Schulmeisterschaft, die es seit 2009 gibt. Sie erlaubt eine Vision für die Zukunft, die heute noch völlig undenkbar ist, meint Cricket-Bundestrainer Keith Thompson:

    "Es ist fast vorstellbar jetzt, dass ein deutsches Kind, dass hier geboren ist, Cricket in der Schule lernt, später den Weg zum Verein findet und später den Weg in die Nationalmannschaft. Man sieht schon die Umrisse, dass das in nächster Zukunft doch möglich sein kann."

    Der Traum, dass einmal ein gebürtiger Deutscher für die Deutsche Cricket-Nationalmannschaft den massiven Holzschläger schwingt und den roten Ball wirft, ist also nicht mehr völlig utopisch. Auch André Leslie würde es sehr freuen, selbst wenn es am Ende für ihn sogar persönliche Konsequenzen hätte.

    "Wenn es 15 gute junge Spieler gibt, die alle Müller und Schmidt heißen, die hier geboren und durch unser Nachwuchssystem gekommen sind, und die irgendwann besser sind als ich, dann gebe ich gerne meinen Platz weg. Weil die dann die Zukunft von Cricket hier in sind."