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Gemeinsam gegen die Muslime

Die rechtsextreme Partei "Vlaams Belang" verspricht den Bürgern in in Antwerpen mehr Sicherheit und findet damit vermehrt Zuspruch in der jüdischen Bevölkerung. Der Grund: Die jüdische Minderheit fühlt sich von den arabischen Einwanderern bedroht. Ein Bericht von Ruth Reichstein.

    In der jüdischen Bäckerei Kleinblatt in der Antwerpener Province-Straat gehen jeden Tag belgische, aber auch deutsche und osteuropäische Leckerein über den Tresen. Denn viele der rund 20 000 Antwerper Juden kommen aus dem Osten und hängen noch am dunkeln Brot und Käsekuchen. Früher lag der Laden im rein jüdischen Viertel von Antwerpen, erzählt der Inhaber. Das habe sich geändert.

    "Unser Geschäft liegt heute in einer sehr multikulturellen Gegend. Bis heute haben wir keine großen Probleme gekannt. Ab und zu sagt jemand 'Schmutziger Jude', aber das ist ja weltweit akzeptiert."

    Aber nicht alle jüdischen Bürger von Antwerpen sind so tolerant wie Bäcker Kleinblatt. Alles begann vor zwei Jahren. Damals prügelten einige arabische Jugendliche einen jüdischen Schüler tot. Seitdem gibt es immer wieder Schlägereien und verbale Angriffe in den Straßen von Antwerpen.

    "Ich gehe jeden Tag um sechs Uhr in der Früh in die Synagoge. Und dann haben mich zwei Jungen angefallen und mich geschlagen. Das war vor zwei Jahren. Und wahrscheinlich haben sie gedacht, ich sei ein Jude. Etwas anderes haben sie an mir nicht gefunden," erzählt Joseph Herzl. Der 80-Jährige kam als 17-jähriger Auschwitz-Überlebender nach Antwerpen und hat jetzt ein kleines Geschäft neben der Bäckerei Kleinblatt. Eli Ringer, Vorsitzender des Forums der nichtreligiösen jüdischen Einrichtungen in Flandern ist beunruhigt von dieser neuen Art des Antisemitismus.

    "Einer der Gründe des aktuellen Antisemitismus sind einige Jugendlichen, die vor allem aus Nordafrika kommen und hier noch nicht ihren Platz gefunden haben. Sie sind oft arbeitslos und regen sich über die Nachrichten aus dem Nahen Osten auf. Einige möchten diesen Konflikt hierher übertragen. Das macht uns sicherlich am meisten Sorgen."

    Die jüdische Gemeinde in Antwerpen ist etabliert. Die meisten Juden arbeiten im Diamantenhandel, für den die belgische Hafenstadt bekannt ist. Es gibt unzählige jüdische Schulen und Synagogen. Nicht umsonst wird Antwerpen als das "Jerusalem des Nordens" bezeichnet. Die muslimischen Einwanderer fühlen sich oft benachteiligt. Sie sind wirtschaftlich und sozial schlechter gestellt und fühlen sich ungerecht behandelt, erzählt Abdel, der seine Bäckerei in der gleichen Straße hat wie Kleinblatt.

    "Wir haben nicht viel Kontakt mit den Juden und die Juden nicht mit den Arabern, weil immer viele Polizisten da sind, die aufpassen, dass den Juden nichts passiert. Die Juden sind zerbrechlich und die Araber sind Araber. Keiner bemitleidet uns. Wir sind immer die Bösen. Aber den Juden geben die Polizisten Sicherheit."

    Dieser Konflikt hat in Antwerpen mittlerweile groteske Auswirkungen. Es gilt als offenes Geheimnis, dass einige Juden in Antwerpen bei der letzten Wahl für die rechtsextreme Partei "Vlaams Belang" gestimmt haben. Die ist in der belgischen Stadt mit 30 Prozent die stärkste Partei und hofft bei den Regionalwahlen in knapp zwei Jahren auf das Bürgermeisteramt. Eli Ringer:

    "Niemand kennt das Geheimnis der Wahlkabine. Wer für wen stimmt, weiß man also nicht. Aber es ist klar, dass eine Minderheit der jüdischen Gemeinde als Signal für ihre Verzweiflung oder Unzufriedenheit für eine rechtsextreme Partei stimmen könnte. "

    Es ist schwierig herauszufinden, wie viele Juden tatsächlich für eine Partei stimmen, die sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit antisemitischen Aussagen hervor getan hat. Für den jüdischen Anwalt Henri Rosenberg ist es aber die normalste Sache der Welt, dass auch Juden den Vlaams Belang wählen.

    "Nur weil die Juden den Holocaust erlebt haben, heißt das noch lange nicht, dass sie alle Demokraten geworden sind und aufgehört haben, Rassisten zu sein. Wir haben bei uns wahrscheinlich proportional die gleiche Anzahl von Rassisten wie in der Gesellschaft insgesamt. Und wenn man denen sagt, man löst das Problem, indem man alle Araber nach Hause schickt, dann finden die das erst einmal nicht rassistisch. Man hat schließlich auch alle Juden aus den arabischen Ländern nach Israel geschickt. Also halten sie das für eine gute Lösung. Und wenn deshalb Leute in Deutschland geschockt sind, dann ist ihre Toleranzschwelle ein bisschen zu sensibel."

    Der Vlaams Belang versucht jedenfalls schon seit einiger Zeit, die Juden für sein Programm für mehr Sicherheit in der Stadt zu begeistern. Nach dem Mord an dem jüdischen Schuljungen flatterten Flugblätter in die Briefkästen der jüdischen Bevölkerung mit der Aufschrift: "Der Feind meines Feindes ist mein Freund".

    Trotz der Bemühungen der Rechtsextremen und der Probleme mit den Muslimen ist es bisher wohl nur eine Minderheit der jüdischen Gemeinde, die sich Rosenbergs Meinung anschließt. Und doch bleibt die Sorge, dass der Vlaams Belang bei den nächsten Wahlen noch mehr Stimmen gewinnen könnte – auch die einiger jüdischen Antwerper. Das meint zumindest der arabische Bäcker Abdel:

    "Da bin ich mir ganz sicher, dass viele Juden für den Vlaams Belang stimmen. Ich weiß das. Der Vlaams Belang ist gegen die Araber und gegen die Immigranten. Und die Juden wissen das und helfen deswegen. So wird der Vlaams Belang vielleicht in ein paar Jahren gewinnen können."