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Geophysik
Ungeschmierte Tektonik

In der Theorie der Plattentektonik gilt Wasser als eine Art Schmiermittel, das ein Gleiten der Kontinentalplatten aufeinander ermöglicht. Doch der Einfluss des Wassers auf die Plattentektonik ist womöglich geringer als angenommen. Das legen Druckexperimente nahe, deren Ergebnisse ein Doktorand aus Bayreuth kürzlich in "Nature Geoscience" veröffentlicht hat.

Von Dagmar Röhrlich | 04.12.2013
    Vor etwas mehr als 100 Jahre hat Alfred Wegener das Konzept der Kontinentaldrift vorgestellt, und diese Idee machte ihn zum Vater der heute grundlegenden Theorie der Geologie, der Plattentektonik. Die zieht die Kontinente über die Oberfläche der Erde, und damit sie das schafft, soll ihr Wasser als Schmiermittel dienen. So steht es jedenfalls in den Lehrbüchern. Geht es nach Hongzhan Fei vom Bayerischen Geoinstitut in Bayreuth, könnte es sein, dass diese Vorstellung revidiert werden muss:
    "Ich habe herausgefunden, dass der Effekt des Wassers sehr viel kleiner ist als gedacht."
    Es geht um Experimente an einem Mineral namens Olivin. Der ist ein wichtiges Baumaterial der sogenannten Asthenosphäre, einer Übergangszone zwischen unterer Erdkruste und oberem Erdmantel. Diese Zone reagiert über geologische Zeiträume hinweg plastisch und erlaubt so den starren Krustenplatten, an der Oberfläche zu gleiten.
    "Bislang legten Druckexperimente nahe, dass das Wasser, das im Kristallgitter dieser Olivine eingeschlossen ist, die mechanische Festigkeit des Minerals schwächt und damit auch die Asthenosphäre."
    Auch Hongzhan Fei und seine Kollegen haben Druckexperimente durchgeführt. Um zu verhindern, dass nicht im Kristallgitter gebundenes Wasser die Messergebnisse verfälscht, verwendeten die Forscher künstliche Olivinkristalle. Die hatten unterschiedliche Gehalte an Kristallwasser und wurden Drücken von acht Gigapascal und Temperaturen von rund 1600 Grad Kelvin ausgesetzt - also den Bedingungen im unteren Teil der Asthenosphäre.
    "Aber meine Messungen zeigen, dass Kristallwasser den Olivin nicht wesentlich schwächt. Das wiederum bedeutet, dass nicht das Wasser die Asthenosphäre plastisch macht."
    Was stattdessen die Rolle des Schmiermittels übernehme, das sei eine offene Frage:
    "Vielleicht sind es große Temperaturunterschiede zwischen Erdkruste und Asthenosphäre."
    Ob die Rolle des Wassers in der Plattentektonik grundsätzlich überdacht werden müsse, das seit jetzt erst einmal Gegenstand von Diskussionen, urteilt Greg Hirth von der Brown University in Rhode Island. Er experimentiert ebenfalls auf diesem Gebiet und ist unter anderem wegen des Einsatzes künstlicher Kristalle skeptisch:
    "Die aktuellen Messungen sind sehr interessant, und die Ergebnisse scheinen sich von anderen Experimenten zu unterscheiden, die die Stärke des Materials direkt mit seinem Wassergehalt korrelieren konnten. Allerdings sind diese Bayreuther Experimente an künstlichen Olivinproben durchgeführt worden, also an Material, das dem des Mantels zwar ähnlich ist, aber nicht identisch. Arbeitet man mit echten Proben aus Erdmantelmaterial, zeigt sich ein direkter Zusammenhang zwischen dem Gehalt an Kristallwasser und der Schwächung des Olivins, was die frühere Interpretation der Rolle des Wassers stützt."
    Jedenfalls sei die Plattentektonik auch nach dieser Veröffentlichung glücklich und gesund, scherzt Thorsten Becker von der University of Southern California in Los Angeles:
    "Sollten die Autoren recht haben, kommt uns jedoch für all die hässlichen, offenen Fragen eine elegante Ausrede abhanden. Ihre Experimente zeigen, dass die Abhängigkeit der Plattentektonik vom Wasser geringer sein könnte als gedacht, aber sie verneinen die Bedeutung des Wassers zur Schwächung des Zusammenhalts in der Asthenosphäre nicht."
    Dass ein Experiment noch lange keine seit Jahrzehnten etablierte Theorie stürzt, meint auch John Brodholt vom University College in London in einem Kommentar für "Nature Geoscience": Zunächst müssten diese Experimente unabhängig nachvollzogen und auch mit anderen Materialen durchgeführt werden. Aber Zweifel an der bisher allgemein akzeptierten Schmiermittelthese sind geweckt