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Glamour und Exil

Die Biographie von Marta Feuchtwanger, der Ehefrau des Schriftstellers Lion Feuchtwanger, bietet Stoff für viele Anekdoten und Bizarrerien, die Manfred Flügge in seinem Buch nobel meistert. Marta Feuchtwanger, Mitarbeiterin eines Schreibsüchtigen, Hauptfigur eines Lebensarrangements, Gastgeberin und Stil-Ikone, wird erzählerisch sicher und umsichtig porträtiert.

Von Wilfried F. Schoeller | 28.11.2008
    Marta Feuchtwanger wurde 1891 in München als drittes Kind eines jüdischen Tuchhändlers geboren. Ihr Bayrisch wollte oder konnte sie niemals abstreifen. Sie wuchs im Reformjudentum auf: man war keinesfalls orthodox, achtete aber die Traditionen oder legte sie für sich aus. Der Vater betrieb einen schrulligen frommen Betrug: die Produktion seiner Margarinefabrik musste auch am Sabbat weitergehen, so verkaufte er sie jeweils am Freitag für eine Mark symbolisch an seinen christlichen Geschäftsführer, umging damit das Verbot der Sabbatschändung durch Arbeit und kaufte sie für den gleichen Betrag am Montag wieder zurück.
    Mit Lion Feuchtwanger lernte Marta eine Skandalfigur kennen: Spielsucht und Schulden, erotische Vagabondagen, zweifelhafter Ruf, sogar in der Zeitung wurde er einschlägig gewürdigt. Geheiratet wurde 1912: ein Kind war unterwegs, das allerdings früh starb. Das Paar hielt sich an der Riviera auf, vagabundierte durch Italien, jonglierte mit den Schulden. Der Krieg beendete ihre Wanderjahre; Lion wurde als feindlicher Ausländer im Maghreb verhaftet, Marta rettete sein Leben mit allen möglichen Listen und brachte ihn auch mit Findigkeit durch den Ersten Weltkrieg. Den ersten Salon, die Bühne für ihre Gastfreundschaft, richtete sie bereits 1915 in München ein.

    Sie war, ihrer Schönheit und ihrer mondänen Roben wegen, eine der auffallenden Erscheinungen in der Stadt, wurde als indische Prinzessin und als Chinesin, Ägypterin, Kreolin aus Martinique, Amazone, Indianersquaw und Königin der Nacht personifiziert. Sie wertete seine gesellschaftliche Stellung auf, lektorierte seine Manuskripte. Die beiden hatten eine offene Ehe und Freizügigkeit vereinbart. Aber die Verabredung schützte sie nicht vor Anfällen heftiger Eifersucht und Streitlust, obwohl sie wenigstens bis 1933 ebenfalls einige Affären hatte, nicht nur der sexbesessene Lion.

    Flügge gelingt es, den Anekdotenstoff um literarische Erfolge, Bizarrerien des hohen Paares, mondäne Auftritte und unverhohlene Amouren nobel zu meistern. Sie hat nie einen Beruf erlernt, war von ihrem Mann zeitlebens finanziell abhängig, aber sie führte dabei eine souverän eigenständige Existenz. Flügge hält sich nicht damit auf, ihr ein gängiges Rollenregister der Emanzipation anzulegen. Sie unterwarf sich keinem Muster und gewann gerade dadurch ihre Freiheit. 1933 wurde ihre Villa im Grunewald - sie lebten seit 1925 in Berlin - von den Nazis geplündert. Das Exil veränderte alles, forderte von ihr andere, unerprobte Fähigkeiten, die, so Flügge, aus ihr "eine legendäre Gestalt" machten. Am französischen Riviera-Ort Sanary gelang es ihr, noch einmal ein großes Haus zu führen, die Exilanten um sich zu scharen. Feuchtwanger hatte bis zum Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich alle Gelegenheiten versäumt, mit seiner Frau nach Amerika zu übersiedeln. Vermutlich hat ihn die Anwesenheit vorhandener und prospektiver Sexualobjekte in seiner französischen Umgebung daran gehindert. Die oft ordinären Bemerkungen, die Flügge aus seinem ungedruckten Journal intime zitiert, nähren in dieser Hinsicht jeden Vorbehalt. Spätestens im Juni 1940, nach der Kapitulation Frankreichs, waren von Marta Feuchtwanger strategische Fähigkeiten gefragt: Lion Feuchtwanger, Lieblingsgegner der Nazis und in Les Milles interniert, wurde von ihr mit Hilfe eines amerikanischen Diplomaten aus dem Lager geholt. In Los Angeles gelang es ihr, nach München, Berlin und Sanary wiederum ein bewundertes Eldorado des Lebensstils auszubauen. In Pacific Palisades, unweit von Thomas Manns Villa, stattete sie eine verfallende Latifundie im spanischen Stil, die später so genannte "Villa Aurora", zu einer internationalen Bühne aus. 47 Jahre, die Hälfte ihres Lebens, verbrachte sie in Amerika. Und wer sie, eine würdige Greisin, drapiert mit großen Silbershawls, reglos auf ihrem Thron im weitläufigen Salon residierend, die Augen hellwach, mit heiterem Sarkasmus erzählen hörte, wird diese zum Bild gewordene Gestalt niemals vergessen. Im achtzehnten amerikanischen Jahr starb Lion Feuchtwanger. Für sie gab es noch eine Aussöhnung mit den Deutschen: die viel beachteten, um nicht zu sagen: triumphalen Besuche in Berlin und München. Marta Feuchtwanger, Mitarbeiterin eines Schreibsüchtigen, Hauptfigur eines Lebensarrangements, Gastgeberin, Stil-Ikone, wird in dieser ersten Biographie erzählerisch sicher und umsichtig porträtiert. Manfred Flügge beleuchtet seine Heldin mit Gespür für Episodenlichter, beschreibt die Parallelspuren des Mannes an ihrer Seite, holt die Majestät großer Augenblicke und verschwenderischer Gesten aus den Schablonen der Muse und Dienerin am Werk. Diese Biographie bietet weit mehr als sich Marta Feuchtwanger an Selbstdarstellung in ihren Memoiren "Nur eine Frau" gegönnt hat.

    Manfred Flügge: Die vier Leben der Marta Feuchtwanger
    Aufbau Verlag, Berlin