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Gleichberechtigung
Warum es so wenige Bürgermeisterinnen gibt

In den wenigsten deutschen Gemeinden steht eine Frau an der Spitze des Rathauses. Woran es liegt, dass so wenige Frauen Bürgermeisterämter besetzen - dieser Frage widmen sich immer mehr Studien. Dabei halten die Forscher einen Punkt für besonders entscheidend.

Von Johanna Herzing | 15.10.2015
    Geschäftsmann und -frau im Gespräch: Symbolfoto zum Thema Frauenquote
    Deutschlandweit liegt der Anteil von Bürgermeisterinnen bei 10 Prozent. (imago/Felix Jason)
    Auf dem Krewelshof bei Lohmar im Rhein-Sieg-Kreis interessiert derzeit vor allem eine Frage: Wer hat den größten ... - Kürbis von allen! Der Landwirtschaftsbetrieb hatte einen Wettbewerb ausgerufen, der Sieger ist nun auf dem Hof zu besichtigen: Ein Exemplar mit über 700 Kilo thront leuchtend gelb über einem Meer von kleineren Kürbissen, ein Prachtbursche finden die Besucher und schießen eifrig Fotos. Nicole Sander, Bürgermeisterin der Gemeinde Neunkirchen-Seelscheid, aber lässt sich nicht so leicht beeindrucken. Sie bahnt sich ihren Weg quer durch die Kürbislandschaft, und verschwindet schnell nach drinnen, zum monatlichen Treffen der Bürgermeister aus dem Rhein-Sieg-Kreis.
    "Am Essen, ja ja, erwischt!"
    Die Begrüßung jovial-kumpelhaft. Verbunden mit ein bisschen Sprüche-Klopfen:
    "Das merk ich mir, das merk ich mir!"
    "Kannst du dir was merken?"
    Sander lächelt den Bürgermeister-Kollegen aus der Nachbargemeinde an:
    "... denen geht's noch schlechter als es Neunkirchen-Seelscheid je gegangen wäre."
    Sagt's und bedient sich bei den gereichten Lachsbrötchen.
    "So, ich glaub, wir fangen langsam mal an."
    Circa 10 Männer haben an der Tafel Platz genommen, dazwischen drei Frauen. Damit sind die Bürgermeisterinnen überdurchschnittlich stark vertreten. Deutschlandweit liegt ihr Anteil in den Rathäusern nämlich bei gerade mal 10 Prozent.
    "Ich darf in unserer Runde 'ne neue Kollegin begrüßen: Petra Kalkbrenner! Also Petra herzlich willkommen hier! Frauenpower."
    "Also ich sag für meine Kollegenrunde, das ist ein kollegialer Umgang miteinander."
    Ein bisschen ist sie es leid. Als eine der wenigen Frauen, noch dazu im verhältnismäßig jungen Alter von 35 Jahren, muss sich SPD-Frau Nicole Sander immer wieder fragen lassen, wie es denn so ist, unter all den Herren.
    "Also für mich ist es keine große Umstellung, denn ich war aufgrund meiner vorherigen Dienstzeiten und beim Technischen Hilfswerk das auch so gewöhnt, dass es überwiegend eine männerdominierte Tätigkeit gewesen ist und ich kannte das und konnte mich darin bewegen. Wie das allerdings für die Kollegen war, kann ich nicht sagen."
    Seit etwas mehr als einem Jahr regiert die frühere Verwaltungsbeamtin jetzt schon die 19.000-Einwohner-Gemeinde im Bergischen Land. Vor ihrem Wahlsieg lag das Zepter 15 Jahre lang in der Hand eines altgedienten CDU-Mannes. Sander stand mit ihrer Kandidatur also für einen klaren Wechsel. 57 Prozent der Wählerstimmen – ein deutlicher Sieg. Frauen werden also durchaus an die Spitze deutscher Rathäuser gewählt, nur:
    "Unsere Studie zeigt doch exemplarisch, dass die Frauen Verlegenheitskandidatinnen sind, also sie werden dann nominiert, wenn man als Partei ohnehin damit rechnet, dass man keine Wahlchancen hat oder der Vorgänger hat so abgewirtschaftet, dass man sagt, na, jetzt probieren wir es doch mal mit einer Frau oder es steht kein anderer männlicher Kandidat zur Verfügung."
    Familiengründung und Bürgermeisteramt kaum vereinbar
    Helga Lukoschat, Leiterin der EAF, der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft in Berlin, hat für ihre Studie deutschlandweit Männer und Frauen im Bürgermeisteramt befragt. Dabei stellte sie fest, dass es nicht nur die eingefahrenen Strukturen in den Parteien sind, die die Gleichstellung von Männern und Frauen in Deutschlands Rathäusern erschweren.
    "Was die Frauen uns gesagt haben, war Folgendes: Sie fühlen sich in vier Bereichen unter einem anderen Druck. A: Was ihre private Lebensführung betrifft - auf sie wird doppelt genau geguckt, ist alles im Rechten, keine Affären etc. auch beim Thema Familie B: Die äußere Erscheinung... Wesentlicher aber noch das Thema "Sie sollen verständnisvoll sein, sie sollen mütterlich sein". Und dass sie sagen, von uns wird eine andere Leistung erwartet. Wir müssen mehr leisten als Männer, um in dieses Amt zu kommen und auch in diesem Amt erfolgreich zu sein."
    Doch Frauen stehen sich nicht selten auch selbst im Weg. Frauen trauen sich häufig weniger zu als Männer, so Lukoschat.
    "Wir haben ja gefragt: Wäre Ihre Karriere anders verlaufen, wenn Sie ein Mann gewesen wären? Und auch da haben drei Viertel der Frauen gesagt: Ja, wir hätten uns früher für das Amt entschieden, also auch klarer, karrierebewusster; wir hätten weniger Selbstzweifel gehabt. Und drittens, wir wären weniger skrupulös gewesen in puncto Familie und Partnerschaft."
    Viele Bürgermeisterinnen haben dementsprechend meist ältere Kinder. Familiengründung und Bürgermeisteramt lassen sich – so Lukoschats Studie – in den Augen der meisten Befragten nur schwer vereinbaren. Die zeitliche Beanspruchung durch den Job sei einfach zu hoch. Auch für die Lebensplanung der jungen Bürgermeisterin Nicole Sander hat das Auswirkungen. Sie sieht sich zwar nicht grundsätzlich benachteiligt, räumt aber ein:
    "Ich habe noch keine Kinder. Das sind natürlich Dinge, die etwas nach hinten gerückt sind in der Zeitplanung."
    Sander ist allerdings optimistisch, dass die deutsche Gesellschaft sich in Sachen Geschlechterrollen in den kommenden Jahren deutlich bewegen wird. Und auch in schwierigen Fällen weiß sich die Bürgermeisterin zu helfen:
    "Es gibt in der Gesellschaft auch das eine oder andere Mal die Situation, dass es einem vielleicht lieber gewesen wäre, es wäre ein Mann gewesen, weil man der Frau nicht zutraut, wenn es um bautechnische Sachen oder Bauplanungen, also diese klassischen Männerfelder geht – da sind dann auch vielleicht mal Strategien angezeigt, wo man sich vielleicht auch des einen oder anderen Herren bedienen muss um ein Gespräch aufbauen zu können."
    Sprich: Wenn's in der Kommunikation mal hakt, dann holt sich die Bürgermeisterin eben einen Kerl an die Seite – als Mittler und Übersetzer.