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Gleiches Recht auf Emissionen

Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat vor dem Klimagipfel der Vereinten Nationen im indonesischen Bali die Verantwortung der Industrieländer beim Klimaschutz hervorgehoben. Die SPD-Politikerin wertete die bisherigen Anstrengungen der Industriestaaten gegen die Erderwärmung als unzureichend. Nun müsse es darum gehen, vor allem die USA zu einer Veränderung ihrer Position zu bewegen.

Moderation: Jochen Spengler | 03.12.2007
    Jochen Spengler: Wenn die Menschheit nichts tut, dann wird sich das Klima weiter aufheizen. Dann wird bis Ende dieses Jahrhunderts die weltweite Durchschnittstemperatur um bis zu 6,4 Grad zunehmen und der Meeresspiegel um bis zu 60 Zentimeter steigen. Was kann man tun? Was muss man tun? In erster Linie empfehlen die Wissenschaftler uns, den Ausstoß von Kohlendioxid drastisch zu senken. Dieses mit möglichst vielen Staaten zu verabreden, darum geht es seit heute in den kommenden zwei Wochen auf der indonesischen Insel Bali auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen. Ein neues Abkommen soll das 2012 ablaufende Kyoto-Protokoll ablösen, das heute übrigens auch von Australien unterschrieben worden ist.

    Am Telefon begrüße ich die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, die Sozialdemokratin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die Deutschland auf Bali vertreten wird. Guten Morgen!

    Heidemarie Wieczorek-Zeul: Guten Morgen!

    Spengler: Wenn wir einmal 20 Jahre vorausblicken, was sollte dann in den Geschichtsbüchern über diese Konferenz in Bali stehen?

    Wieczorek-Zeul: Es sollte darin stehen, dass die Weltgemeinschaft ihre Verantwortung wahrgenommen hat und begonnen hat, die wichtigsten Entscheidungen zu treffen, um das größte Sicherheitsrisiko dieses Jahrhunderts tatsächlich einzudämmen.

    Spengler: Welches wären solche Entscheidungen?

    Wieczorek-Zeul: Einmal geht es natürlich darum, dass die Industrieländer - und zwar alle - ihre eigene Verantwortung für die CO2-Emissionen, die Treibhausgasemissionen, selber eingestehen, und auch darum, dass sie bereit sind, drastische Reduktionen vorzunehmen. Die Europäische Union - durch die Bundesregierung besonders ja angestoßen - hat das getan. Es muss erwartet werden, dass auch die USA und andere dem folgen, denn das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass auch Schwellenländer etwa wie China und Indien sagen, wir sind bereit, entsprechende Regelungen zu machen, die uns selber mit einbeziehen.

    Spengler: Haben denn die Industrieländer nicht schon genug getan über Kyoto?

    Wieczorek-Zeul: Nein! Das muss man ganz eindeutig sagen. Alles, was wir ja an Berichten jetzt vorliegen haben, sowohl der Weltklimarat als auch in den letzten Tagen die Organisation der Vereinten Nationen, der UN-Entwicklungsfonds, hat deutlich gemacht, welche katastrophalen Folgen - und zwar in sehr schneller Zeit - zumal für Länder in Asien, aber zumal auch für Afrika, die Folge wären, wenn einfach business as usual gemacht wird.

    Spengler: Ich habe ja Kyoto angesprochen. Da hatten sich 36 Staaten verpflichtet, bis 2012 die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um etwa fünf Prozent zu senken. Das schaffen diese Staaten wohl auch, und dennoch wurde weltweit noch nie so viel Kohlendioxid in die Luft gepustet wie heute. Das liegt eben daran, dass vor allen Dingen drei Staaten, die zusammen alleine die Hälfte der Emissionen verursachen, nicht dabei sind bei Kyoto: USA, China und Indien. Sie haben die Verantwortung der Industrieländer schon angesprochen, aber ist nicht die entscheidende Frage von Bali, ob es gelingt, China und Indien ins Boot zu holen?

    Wieczorek-Zeul: Ja, aber das setzt eben voraus - und ich glaube übrigens, dass Veränderungen in Australien vielleicht auch dann dazu führen, dass sich doch auch andere Positionen noch verändern können -, das setzt eben voraus, dass der größte Emiteur von Treibhausgasen, die USA, ihre Verantwortung wahrnehmen. Sonst wird immer die Verantwortung hin- und hergeschoben und die Wahrheit ist ja: Es braucht auch natürlich einen massiven Technologietransfer zum Beispiel gegenüber China. Das ist der Grund, warum wir auch als Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und auch über die Weltbank bei der Frage Zugang Chinas zu erneuerbaren Energien, effizientere Energienutzung tätig sind, denn das ist ja notwendig. Wir werden ja nicht gefragt, ob diese Länder ihre wirtschaftliche Entwicklung voranbringen wollen, und wenn in China jede Woche ein neues Kohlekraftwerk in Gang gesetzt wird, dann ist die Frage, wie effizient der Nutzungsgrad ist, zentral.

    Spengler: Ist es denn richtig, dass die USA jetzt auf Bali vorschlagen wollen, weg mit Zöllen und Handelshindernissen für umweltfreundliche Technologie, für erneuerbare Energien? Ist das ein richtiger Ansatz?

    Wieczorek-Zeul: Das ist im Prinzip ein richtiger Ansatz. Den hat aber die Weltgemeinschaft schon mehrfach natürlich gefordert. Es muss eben auch nur wirklich umgesetzt werden. Aber wie gesagt: Das eine ist, die Schwellenländer auf die Art und Weise entsprechend mit einzubeziehen und auch langfristig zu sagen, es braucht so etwas wie Kohlenstoffgerechtigkeit, das heißt die Anerkenntnis, dass jeder Mensch, wo auch immer er lebt, das gleiche Recht auf eine bestimmte Menge Ausstoß von CO2-Emissionen hat, und diese Zahl ist - das sagen alle Wissenschaftler - bei zwei Tonnen CO2-Emissionen. Da liegen die USA das Zehnfache drüber. Europa liegt darüber, und viele Entwicklungsländer liegen darunter, zum Beispiel die afrikanischen.

    Den Punkt möchte ich auch gerne noch mal mit ansprechen: Es muss diese langfristige Perspektive deutlich sein. Es muss aber auch ein Zweites klar werden: Die Entwicklungsländer brauchen, um sich an diesem Prozess anzupassen, der ja läuft - die Klimaveränderung läuft ja -, auch finanzielle Unterstützung und Anpassungshilfen. Es ist auch ein Entwicklungsproblem für diese Länder.

    Spengler: Frau Ministerin, darf ich da kurz eingreifen. Wir müssen ja unterscheiden zwischen den Schwellenländern, also China, Indien, und den Entwicklungshilfeländern. Brauchen denn auch die Schwellenländer überhaupt noch unsere Hilfe? Guido Westerwelle hat letzte Woche im Bundestag gesagt, China hat mehr Währungsreserven wie unsere gesamten Staatsverschuldungen, und trotzdem kriegt China von uns 67 Millionen Euro. Das ist wirklich schwer nachvollziehbar, oder?

    Wieczorek-Zeul: Das ergibt sich doch eigentlich eben aus dem, was ich gesagt habe. Eine derart verengte Vorstellung von der Funktion eines Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit spricht eher für eine gewisse sonstige geistige Verengung in der Wahrnehmung. Also: Das heißt mit China die Zusammenarbeit zu pflegen, die die Weltbank leistet, die wir leisten, trägt dazu bei, dass auch uns nicht die Luft ausgeht. Ich wiederhole noch mal, was ich gesagt habe. Mit dazu beizutragen, dass deutsche Unternehmen effizientere Energie gerade transferieren können nach China, ist ein unmittelbarer Beitrag zum Klimaschutz auch für uns selbst und nutzt uns insofern selbst. Es ist so: Der Klimawandel ist die größte Sicherheitsgefährdung in diesem Jahrhundert, und alles zu tun ist in unserem eigenen Interesse.

    Spengler: Die Frage war nur, Technologietransfer, das sicher, aber müssen wir auch finanziell helfen, einem Land helfen, was finanziell eigentlich auf guten Füßen steht?

    Wieczorek-Zeul: Noch mal: Es wird doch kein Geld transferiert, sondern das ist eine Zinsreduzierung bei Krediten, die zurückgezahlt werden. Wenn Sie selber auch schon zu diesen Plattitüden verfallen, wird es ein bisschen schwierig. Dieser Prozess wird von uns mit unterstützt und begleitet durch Kredite, die wieder zurückgezahlt werden.

    Spengler: Das heißt, China bekommt keine Entwicklungshilfe im herkömmlichen Sinne, die es nicht zurückzahlen muss?

    Wieczorek-Zeul: Es gibt keine Entwicklungshilfe im herkömmlichen Sinne. Die Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit ist schon seit zwei Jahrzehnten, ganz sicher aber jedenfalls in dem Jahrzehnt, in dem ich für Entwicklungspolitik verantwortlich zeichne, Hilfe bei der Unterstützung von Transformationsprozessen mit Aufbau von Rechtstaatlichkeit, mit dazu beizutragen, dass Finanzinstrumente entwickelt werden, natürlich auch Armutsbekämpfung, aber sie ist nicht der Transfer von Geld. Das muss immer wieder unterschieden werden.

    Spengler: Das ist gut, dass wir das noch mal klargestellt haben. Die Ärmsten der Armen, die brauchen aber weiter unsere finanzielle Unterstützung?

    Wieczorek-Zeul: Selbstverständlich, und sie brauchen sie auch nicht nur im direkten Finanztransfer, sondern sie brauchen sie einmal bei der Anpassung an die entsprechenden Veränderungen im Klima, also zum Beispiel bei der Frage, welche Art der Bauwerke, der Häuser werden produziert, Zugang auch Afrikas für erneuerbare Energien, die dort Riesenchancen hätten, aber viel zu wenig eingesetzt werden. Afrika hat einen Riesenenergiehunger, hat hohe Wachstumsraten, braucht also erneuerbare Energien. Und der dritte Punkt, der auch für Afrika wichtig ist, aber auch für andere Länder, ist mit dazu beizutragen, dass der Entwaldung Einhalt geboten wird, denn über die Entwaldung werden etwa 20 Prozent aller CO2-Emissionen verursacht. Mit dazu beizutragen, dass die Entwicklungsländer diese Wälder erhalten, muss auch finanziell ausgeglichen werden.

    Spengler: Das heißt, das ist in Ordnung, die Forderung, dass sie sagen, wenn wir die Urwälder nicht roden, dann brauchen wir einen finanziellen Ausgleich dafür?

    Wieczorek-Zeul: Absolut!

    Spengler: Wenn man zu Ende denkt, was Sie eben gesagt haben über die Kohlenstoffgerechtigkeit, dass Chinesen, Inder oder Afrikaner letztlich dasselbe Recht haben wie wir, im Wohlstand zu leben, Autos zu fahren, Energie zu verbrauchen, dass das die Erde aber nicht verkraften wird, heißt das nicht, wir müssen kürzer treten, wir müssen ärmer werden, damit andere etwas weniger arm sind?

    Wieczorek-Zeul: Nein, das heißt es nicht. Aber es ist eine andere Art des Wirtschaftens und eine Veränderung der effizienteren Nutzung von Energie. Es ist insofern schon eine grundlegende Veränderung, aber keineswegs verbunden mit mehr Armut bei uns.

    Spengler: Es ist nicht eine Art Umverteilung?

    Wieczorek-Zeul: Nein, denn das Ziel ist ja, in letzter Konsequenz dazu beizutragen, dass das für alle entsprechend gilt. Und die Kooperation - das ist ja das Allerwichtigste -, die Kooperation ist notwendig, damit wir überhaupt die Ziele erreichen, für uns, aber auch für die Welt insgesamt.

    Spengler: Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit Heidemarie Wieczorek-Zeul heute Morgen im Deutschlandfunk. Frau Wieczorek-Zeul, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Wieczorek-Zeul: Bitte sehr.