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Glyphosat
Wie Gesundheitsgefahren klein gerechnet werden

Beim Menschen wahrscheinlich krebserregend - und dennoch immer wieder für unbedenklich erklärt. Der Unkrautvernichter Glyphosat dient Helmut Burtscher-Schaden in seinem Buch als Beispiel dafür, dass Prüfbehörden und Pestizidhersteller am gleichen Strang ziehen - mit industriefreundlichen Interpretationen von Studien.

Von Jantje Hannover | 02.10.2017
    Die Verpackung eines Unkrautvernichtungsmittel, das den Wirkstoff Glyphosat enthält.
    Die Verpackung eines Unkrautvernichters, der den Wirkstoff Glyphosat enthält. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Als Mitarbeiter der Umweltorganisation Global 2000 kämpft der Biochemiker Helmut Burtscher schon lange für ein Verbot von Glyphosat. Und weiß dabei die Behörden rund um die Welt gegen sich, die das Mittel prüfen und es trotz vieler besorgniserregender Hinweise immer wieder als sicher bewertet haben. Als die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO im März 2015 Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" erklärte, war das eine kleine Sensation:
    "Weil vieles, was im Dunkeln war, solange die Bewertungen nur von Behördenseiten gemacht worden sind, ist durch das Auftreten der WHO Krebsforschungsagentur ans Licht gekommen. Was ich gesehen habe, hat mich hoch überrascht, die Dreistigkeit und auch die Schlampigkeit. Es wurde einfach keine gescheite Bewertung gemacht, und diese Geschichte wollte ich erzählen."
    Dafür verfolgt der Österreicher Helmut Burtscher die Spur von Glyphosat zurück in die 70er Jahre, als das Mittel erstmals für den US-amerikanischen Markt zugelassen wurde.
    Geltende Regeln wurden umgangen
    Mit chronologischen Einblicken in Studienergebnisse, Behörden- und Gerichtsakten versucht der Autor zu beweisen, dass die vielen Persilscheine zur Unbedenklichkeit von Glyphosat nur deswegen ausgestellt wurden, weil gültige wissenschaftliche Regeln umgangen, kritische Befunde übersehen oder gleich politisch Einfluss auf die Entscheidungen genommen wurde. Es rechne sich für die Unternehmen, ihre Produkte nicht allzu genau auf Gesundheitsrisiken zu testen, zitiert Burtscher einen kritischen Wissenschaftler aus den 80er Jahren:
    "Wie wollen Sie beweisen, dass ein bestimmtes Pestizid bei jemandem Krebs erzeugt hat? Der Mensch ist im Gegensatz zur Labormaus Hunderten, wenn nicht Tausenden von Chemikalien ausgesetzt. Die Konzerne wissen, dass sie von individuellen Produkthaftungsklagen nicht viel zu fürchten haben. Sollten sie dennoch mal einen Fall verlieren, ist der entstehende Schaden verglichen mit dem Gewinn, den sie mit ihrem Produkt lukrieren können, klein."
    Burtscher beginnt mit einem Skandal. Ende der 70er Jahre deckt in den USA ein aufmerksamer Prüfer auf, dass die von den Konzernen zur Chemikalienprüfung beauftragten Labore bei Studien mit Ratten und Mäusen systematisch betrogen hatten. Es kommt zum Prozess, dabei wird klar, dass auch die prüfende Umweltbehörde, die eigentlich ja die Bevölkerung vor giftigen Substanzen schützen sollte, auf ganzer Linie versagt hatte.
    Als Lehre aus dem Skandal wurde dann der sogenannte GLP Standard eingeführt. Das sind klare Regeln für den Studienaufbau, die Betrug seither wirksam verhindern:
    "Was aber GLP nicht leisten kann, ist, dass Interessenkonflikte, die dadurch entstehen, dass der Hersteller die Studie, die nach GLP Standard gemacht wird, bezahlt und auch das Ergebnis interpretiert und zusammenfasst, und damit zur Behörde geht."
    Studien entziehen sich der kritischen Prüfung
    Der größte Haken am Zulassungssystem: Der Hersteller, der ja mit seinen Produkten Geld verdienen will und nicht umsonst investiert haben möchte, prüft bis heute seine Substanzen selbst und darf die durchgeführten Studien dann auch noch geheim halten:
    "Wissenschaft lebt vom Diskurs, lebt vom Dialog und der kritischen Begutachtung. Indem man das aber bei GLP Studien ausschließt, weil die Industrie es geschafft hat, die Behörden davon zu überzeugen, zu sagen: das ist meins, das geht niemanden etwas an, das schließt diese Studien eben von diesem kritischen Begutachtungsprozess von vorneherein aus."
    Helmut Burtscher verschafft dem Leser trotzdem Einblicke in verschiedene dieser geheimen Studien. Er konnte sie bei seinen Recherchen in den Behördenakten einsehen. Die Studien sind im Buch mit eingängigen Graphiken dargestellt, dabei ist deutlich zu erkennen: Mäuse, die glyphosathaltiges Futter fressen, erkranken häufiger an Krebs als die in den glyphosatfreien Kontrollgruppen. Allein Monsanto erklärt das Ergebnis als zufällig. Der Konzern hat inzwischen auch gentechnisch verändertes Soja und Maispflanzen entwickelt, die gegen Glyphosat resistent sind - also beim Spritzen überleben, während alle anderen Pflanzen absterben. Das Mittel schickt sich an, die Weltmärkte zu erobern. Und das verschafft den USA eine Vormachtstellung in diesem höchst lukrativem Marktsegment. Glyphosat ist damit "too big to fail", es darf nicht scheitern.
    Nachdem Glyphosat aufgrund der Ergebnisse in den USA zwischenzeitlich als krebserregend galt, wurde es 1991 bei einer Expertenabstimmung von jedem Zweifel reingewaschen. So fügt der Autor einen Mosaikstein zum nächsten und das Buch liest sich dabei über lange Strecken spannend wie ein Krimi. Burtscher mahnt:
    "Wenn eine Testsubstanz in hoher Dosierung bei Mäusen Nierenkrebs erzeugt, dann ist zu befürchten, dass die Substanz das auch beim Menschen tut. Weil die 'Dosierungen' beim Menschen um Zehnerpotenzen niedriger sind, werden anders als bei Mäusen nicht 3 von 50 Individuen wegen Glyphosat Nierenkrebs bekommen, sondern vielleicht [...] 3 von 500.000 oder gar 'nur' 3 von 5 Millionen. [...] Und Nierenkrebs ist nicht die einzige Art von Krebs, die bei Mäusen und Ratten nach Glyphosatgabe signifikant zugenommen hatte."
    Glyphosat in Europa
    Der zweite, weitaus längere Teil des Buches spielt dann ab dem Jahr 2012 in Europa. Es geht um die Wiederzulassung von Glyphosat auf diesem wichtigen Markt. Mit der Prüfung beauftragt war das Bundesinstitut für Risikobewertung in Deutschland, das schon bald grünes Licht gab. Bis die Krebsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" einstufte.
    Es folgte ein rascher Schlagabtausch aus Enthüllungs- und Rechtfertigungsversuchen, den sich unabhängige Wissenschaftler und Experten aus den Umweltorganisationen mit dem Bundesinstitut und industrienahen Experten lieferten. Am Ende erklärte die deutsche Behörde diverse Krebsbefunde aus Mäusestudien für zufällig - und Glyphosat damit als sicher. Helmut Burtscher findet das unehrlich:
    "Man kann ja durchaus mal sagen, die wissenschaftliche Bewertung ist, das ist mit einem gewissen Krebsrisiko verbunden, die politische Entscheidung ist, wenn wir es nicht haben, dann haben wir vielleicht auf einer anderen Seite noch größere Probleme, also gehen wir Weg A oder Weg B. Wenn das transparent gemacht wird, dann kann das System funktionieren. Wenn aber wissenschaftliche Entscheidungen von Anfang an nicht sauber sind und nicht den eigenen Regeln gehorchen, dann tut man sich schwer die Glaubwürdigkeit aufrecht zu erhalten, dass wir in Europa sichere Produkte haben."
    Ein Krebsbefund ist ein Krebsbefund. In seinem Buch pocht der Autor auch darauf, dass laut europäischem Pestizidgesetz aus dem Jahr 2009 krebserregende Substanzen grundsätzlich nicht in Pestiziden enthalten sein dürfen.
    Helmut Burtscher-Schaden: "Die Akte Glyphosat. Wie Konzerne die Schwächen des Systems nutzen und damit unsere Gesundheit gefährden"
    Kremayr & Scheriau Verlag, 256 Seiten, 22 Euro.