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Gotischer Schmuck und französische Münzen

In Erfurt haben Denkmalschützer in den vergangenen Jahren ganze Arbeit geleistet: Ein schmuckes Altstadt-Ensemble mit der berühmten Krämerbrücke wurde restauriert. Weniger bekannt war bisher die mittelalterliche jüdische Gemeinde Erfurts. Ein außergewöhnlicher Schatz aus einem zerstörten jüdischen Haus wurde restauriert und ist zurzeit in Paris zu sehen.

Von Matthias Hennies |
    Die Vitrine ist abgedunkelt, ein einzelner Spot beleuchtet einen goldenen Ring in der Mitte. Ein erstaunliches Schmuckstück, Höhepunkt in einer außergewöhnlichen Ausstellung mittelalterlicher Kostbarkeiten. Auf dem Ring sitzt, wo man den Stein erwarten würde, ein goldenes Häuschen - etwa so groß wie ein Klotz aus einem Kinderbaukasten! Es ist verziert mit fein detaillierten, durchbrochenen Spitzbogenfenstern, hat Giebel mit gotischem Maßwerk und trägt ein spitzes Dach.

    "Wir haben einen Reif mit Drachen auf jeder Seite und die beiden Drachen tragen ein kleines gotisches Gebäude, mit Maßwerk, mit einem glatten Dach und auf dem Dach sind hebräische Buchstaben eingraviert, die die Inschrift "Mazeltoff" bedeuten, was so viel wie "Viel Glück" heißt. "

    Dieses üppige Wunderwerk konnte man nur für wenige Momente am Finger tragen. Es ist ein jüdischer Hochzeitsring, erläutert die Kunsthistorikerin Maria Stürzebecher, der bei der Heiratszeremonie benutzt wurde. Wenn die Trauung vollendet war, steckte ihn der Bräutigam der Braut auf den Zeigefinger. Das hieß nach traditioneller Auffassung: Seht her, so viel ist mir meine Frau wert! Der Ring symbolisierte den Kaufpreis für die Braut. Das Häuschen stand wohl für den neu gegründeten Hausstand.

    "Wir haben diese kleinen Gebäude oder Tempel oder wie immer man das bezeichnen möchte, auf Hochzeitsringen aus allen Jahrhunderten. Das geht im 14. Jahrhundert los, und dann über die nächsten Jahrhunderte, in der Renaissance mit kleinen Tempelchen, die antikisierend aussehen, dann haben wir im Barock sehr sehr bunte, mit Email geschmückte Ringe und im Historismus dann wieder den Rückgriff auf ältere Formen, zum Beispiel auch auf mittelalterliche. "

    Der gotische Hochzeitsring ist eines der ältesten erhaltenen Exemplare: Er stammt aus dem 14. Jahrhundert. Zur Zeit wird er im Musée de Moyen Age in Paris ausgestellt, dem Museum des Mittelalters, zusammen mit silbernen Broschen, Bechern und Barren und 3000 alten französischen Münzen. Der gesamte Schatz wurde vor wenigen Jahren in Erfurt gefunden, in ein halb zerfallenes Tuch eingeschlagen unter einer Kellertreppe, dem Baurest eines Hauses, das schon lange zerstört war.

    Stürzebecher und ihre Kollegen vom Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie haben die Geschichte des Gebäudes rekonstruiert. Die Familie, die dort wohnte, hatte ihre Wertgegenstände versteckt, in der Hoffnung, sie später wiederholen zu können. Aber dazu kam es nicht.

    "Es war im März 1349, das Datum ist bekannt, es war eine relativ planmäßige Vorgehensweise der Aufrührer, eine Gruppe von Bewaffneten hat das jüdische Viertel angegriffen, die Juden sollen noch versucht haben, sich zu wehren, und in dem Moment, wo es aussichtslos wurde, heißt es, sollen die Juden dann ihr eigenes Viertel angezündet haben. Was sicher ist, ist, dass das gesamte Viertel abbrannte und niemand aus dieser Gemeinde überlebte. "

    In vielen Städten brachen Mitte des 14. Jahrhunderts schwere Pogrome aus. Die Schwarze Pest zog durch Mitteleuropa und hinterließ eine Spur des Todes. Häufig machte die verzweifelte Bevölkerung die Juden für das unaufhaltsame Sterben verantwortlich. Aufgeputschte, fanatisierte Mobs griffen die jüdischen Viertel an und ermordeten die Bewohner.

    So geriet der Erfurter Schatz in Vergessenheit - bis Archäologen Ende des 20. Jahrhunderts bei Ausgrabungen darauf stießen. Nun sind die Kostbarkeiten restauriert und können in Ausstellungen präsentiert werden. Für die Kunsthistoriker ist das eine kleine Sensation: In Kirchen und Klöstern haben sich zwar viele Kostbarkeiten aus der Gotik erhalten - aber profane Kunstgegenstände, aus wohlhabenden Privat-Haushalten, kannten die Wissenschaftler bisher praktisch nur aus Bildern und Beschreibungen.

    "Der Erfurter Fund enthielt acht Becher, die als Stapel-Becher einen Satz bilden, solche Becher-Sätze waren gerade in gotischer Zeit ganz beliebt. Wir haben sowas ganz häufig auf Darstellungen, wir haben das in Inventaren, in Testamenten, ganz häufig die Beschreibung, fünf, sechs, sieben Becher, die in einander gehören, wir kennen das von Abbildungen, die wurden ganz häufig als Preise bei Schützenturnieren genutzt, da hatte man eben eine Staffelung der Preise. So was war ganz beliebt, aber hat sich auch wieder überhaupt nicht erhalten. "

    Und dafür hat Maria Stürzebecher eine einleuchtende Erklärung: Genau wie Kleidung oder Architektur war auch Schmuck der Mode unterworfen. Eine wohlhabende Kaufmannsfrau steckte sich eine Brosche an, die chic war, der gepflegte Ratsherr trug einen Ring im Stil der Zeit. Als sich die Vorlieben änderten, als gotisches Rankenwerk von den klaren Formen der Renaissance abgelöst wurde, wollten sie nicht "altfränkisch" erscheinen. Sie trugen die Schmuckstücke zum Juwelier und ließen sie entsprechend dem neuen Geschmack umarbeiten.

    "Nach 50-60 Jahren wurde so etwas unmodern und man hat es einfach zerstört und wieder eingeschmolzen und neuen Schmuck daraus gemacht. Darum haben wir eigentlich profane Sachen wie Schmuck, wie Silbergefäße, aus der Zeit des Mittelalters, aus der Zeit der Gotik, so im 13. - 14. Jahrhundert, so gut wie gar nicht."

    In dem mottenzerfressenen Tuch, das in Erfurt unter der Kellertreppe entdeckt wurde, lagen auch dreitausend französische Silber-Münzen und mehrere Silber-Barren. Mit diesem Kapital zählte der jüdische Besitzer mindestens zur oberen Mittelschicht der Stadt. Die Forscher meinen, dass es sich um das Betriebsvermögen eines erfolgreichen Fernhandelskaufmanns handelt - auf dem Fernhandel beruhte im Mittelalter Erfurts Wohlstand. Man kann vermuten, dass nicht der gesamte Schatz Familienbesitz war. Ein Teil der kostbaren Stücke, die so liebevoll im Geschmack der Zeit gestaltet waren, sollte vielleicht verkauft werden.

    "Wir haben hier eine kleine Dose mit eingeprägter Darstellung eines Liebespaars, das auf einer Bank sitzt und sich umarmt, dann haben wir direkt daneben eine kleine Brosche mit Pfeil und Bogen als Attributen des Gottes Amor oder, im deutschen Gebrauch, der Personifikation der Frau Minne und mit einem kleinen Schriftband, wo dann die Worte "O weh, mins Herz" eingraviert sind."

    Solche Liebesmotive waren en vogue in gotischer Zeit - das wusste man bereits aus zahllosen Abbildungen und Liedern, die sich um die "Minne" drehen. Nun lässt sich die selbe Symbolik im Kunsthandwerk nachweisen.

    Die modische Gestaltung erfreute sich auch in jüdischen Haushalten großer Beliebtheit. Sogar die Hochzeitringe, die zu einem eindeutig jüdischen Brauch gehören, spiegeln den Zeitgeschmack. Abgesehen von den strenggläubigen, orthodoxen Juden pflegte man eben die selben Vorlieben und Moden wie die christlichen Nachbarn.

    Dass die beiden Religionsgruppen eng zusammen lebten, zeigt auch ein Rundgang durch das Erfurter Stadtzentrum. Archäologen und Bauforscher untersuchen dort die Spuren der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde.

    Stehen geblieben sind die Außenmauern der alten Synagoge. Die Westfassade aus grauem Sandstein, zu besichtigen in einem baumbestandenen Innenhof hinter Altstadt-Gaststätten, zeigt sogar noch Spuren des Vorgängerbaus.

    "Es gibt ein Zwillingsfenster, das hinter der Glasscheibe verborgen ist, bei diesem Fenster hat man auf der Innenseite ein Bauholz gehabt, das ins Jahr 1094 datiert werden konnte. "

    Das erhaltene Gebäude stammt zum größten Teil aus der Zeit um 1270, aus der Frühgotik, erklärt Karin Sczech vom Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie. In Erfurt steht also noch eine der ältesten Synagogen Mitteleuropas, vergleichbar mit Speyer oder Prag. Vermutlich blieb sie erhalten, weil das Gebäude nach dem Pest-Pogrom von 1349 vom neuen, christlichen Besitzer zum Speicher umgebaut wurde. Seine alte, religiöse Funktion war nicht mehr erkennbar - so überstand es alle anti-jüdischen Ausschreitungen, bis hin zur Pogromnacht von 1938. Seit einigen Jahren wird das originale Aussehen allmählich wiederhergestellt.

    "Es gibt dann typische Lanzett-Fenster aus der Gotik und als allerschönsten Befund eine Rosette, die tatsächlich noch fast vollständig original erhalten war. Das ist schlichtweg zugemauert gewesen und man hat es erst bei der Sanierung gefunden."

    Auch an der Nordseite, an der einst die Eingangspforte lag, hatte die Synagoge ursprünglich hohe gotische Maßwerkfenster. Den Innenraum schloss ein Tonnengewölbe ab - genauso wurde zur gleichen Zeit die Decke der nahe gelegenen Michaeliskirche gestaltet.

    "Man sieht, wie an anderen Orten auch, dass die Synagoge kein eigener Bautyp war, sondern dass da vermutlich die Kirchenbaumeister selber auch tätig gewesen sind. "

    Erneut ein Beleg für die Nähe der beiden Religionsgruppen. Wenn die Erfurter Synagoge komplett saniert ist, sollen der goldene Hochzeitsring, die Broschen und Münzen aus dem Schatz dort präsentiert werden. Eine Dauerausstellung wird die Geschichte der jüdischen Gemeinde und ihrer Bauten erläutern. Bisher fehlen der Stadt geeignete Räume, darum sind die schönsten restaurierten Stücke vorerst unterwegs zwischen Paris, New York und anderen Metropolen.

    Wenn es soweit ist, wird man das Leben der Erfurter Juden auch im Stadtbild besser nachvollziehen können. Archäologen graben jetzt zum Beispiel neben der Krämerbrücke, einem der touristischen Highlights von Erfurt. Über die Brücke rumpelten einst die Fuhrwerke im Ost-West-Handel, am Ufer stand die Mikwe, das Gebäude für die rituellen Reinigungsbäder der Juden. Dr. Sczech und ihre Ausgräber sind erst vor kurzem darauf gestoßen, beinahe zufällig am Ende einer langen vergeblichen Suche.

    "Wie das immer so geht, im allerletzten Bauabschnitt, es war wirklich der letzte Tag, bevor die eigentlichen Baumaßnahmen beginnen sollten, haben wir dann festgestellt, dass der letzte Keller nicht einfach ein Keller war, sondern noch ein Untergeschoss aufwies, und da war dann schon klar, womit wir es zu tun haben. "

    Die Kalksteinmauern des Untergeschosses sind jetzt freigelegt, mitten im grünen Rasen am Flussufer. Das Bad lag tief im Boden, damit das Becken jederzeit mit frischem Wasser gefüllt war - es wurde entweder mit Grundwasser oder aus dem Fluss gespeist. Immer wenn ihr Glaube eine formelle Reinigung verlangte, stiegen Erfurts Juden hinunter, legten ihre Kleidung in Wandnischen ab und tauchten ins Wasser ein. Da dieser rituelle Akt eine zentrale Rolle im Gemeindeleben spielte, war das Bad repräsentativ gestaltet. Die Wände bestanden nicht aus grob behauenen Bruchsteinen wie in einem gewöhnlichen Keller, sondern aus sauber verfugten, großen Werkstein-Blöcken. Die Decke über dem Bad bildete ein schweres Gewölbe - ein Stück davon ist noch erhalten.

    Ein paar Ecken weiter, ebenfalls im Stadtkern, wohnte der unbekannte Fernhändler, dem der Schatz gehörte. Offenkundig waren die Juden gut ins Stadtleben integriert. Sie wohnten auch nicht für sich, denn ein Ghetto gab es damals nicht, jüdische und christliche Häuser standen in den selben Straßen.

    Trotz des engen Zusammenlebens kam es jedoch zu Verfolgungen, Plünderungen und Mord. Wieso? Einzelheiten über die Ereignisse in Erfurt sind nicht bekannt, denn Historiker haben die Geschichte der örtlichen jüdischen Gemeinde bisher kaum untersucht. Andreas Gotzmann, Professor für Judaistik an der Universität Erfurt, ist aber sicher, dass es eine bedeutende Gemeinde war - immerhin zählte Erfurt zu den großen mittelalterlichen Handelsstädten.

    "Waren 20.000 geschätzte Einwohner und eine entsprechend große jüdische Gemeinde, wie das auch für die alten jüdischen Gemeinden im Rheinland wie Köln, Worms, Speyer usw. gilt. "

    Ein Beleg dafür ist, dass die Stadt wiederholt in der jüdischen Literatur des Mittelalters erwähnt wird: In Rechtsfragen verwies man auch häufig auf Entscheidungen der Erfurter Rabbiner.

    Im Allgemeinen, so Gotzmann, stimmt das Bild, das die Erfurter Ausgrabungen zeigen: Juden lebten recht sicher in Mitteleuropas Städten. Erst als 1096 der erste Kreuzzug begann, kam es zu blutigen Pogromen, wenn fanatisierte Massen auf dem Weg zum Heiligen Land durchzogen. Schwere Angriffe fanden insbesondere auch während der Pest-Epidemien im 14. Jahrhundert statt. Dass sich die Gewalt gerade gegen die jüdischen Mitbürger richtete, hatte eine offensichtliche Ursache: Juden verkörperten die Anderen, sie waren die Fremden im Land.

    "Sie sind die einzige nicht-christliche religiöse Gruppe, die innerhalb der christlichen Gebilde geduldet wird. Die Muslime sind am Rande und werden als der Feind wahrgenommen. Juden leben als die einzige nicht-christliche Minorität unter Christen. "

    Die jüdischen Häuser brannten, die Bewohner wurden erschlagen, Gemeinden wie Mainz, Worms und Speyer nahezu ausgerottet und doch siedelten sich in vielen Städten erneut Juden an. Häufig wurden sie von ihren Schutzherren dazu ermutigt: Bischöfe, Fürsten oder der Kaiser versprachen ihnen Schutz und kassierten dafür Abgaben. Doch wenn tatsächlich Unheil drohte und sich christliche Mobs zusammenrotteten, waren Bischof und Kaiser meist zu weit entfernt, um zu helfen. Nachträglich griffen sie manchmal ein: Erfurt wurde nach dem Pest-Pogrom von 1349 kräftig zur Kasse gebeten. Für die Juden, die später wieder zuzogen, musste die Stadt eine neue Synagoge bauen. Aber die Übergriffe wiederholten sich immer wieder, auch aus materiellen Gründen:

    "Zum großen Teil waren es ganz typische spät-mittelalterliche Entschuldungspogrome, dass man sich der Konkurrenz und womöglich schon bestehender Schulden entledigt hat, indem man einfach die Konkurrenz aus dem Land getrieben hat. "

    1458 wurden die Juden auf Dauer aus Erfurt vertrieben. Das Zusammenleben mit den christlichen Bürgern war für viele Jahrhunderte beendet. So eng es zeitweise gewesen sein muss, im Hintergrund stand immer der gehässigen Vorwurf der alten christlichen Lehre, dass Juden die Mörder Christi seien.

    "Dieser Anti-Judaismus oder nennen Sie es meinetwegen auch schon Anti-Semitismus, ist natürlich eine alte christliche Tradition, die einen der Grundbestandteile der christlichen Theologie darstellt. "

    Vieles deutet darauf hin, dass die Judengemeinde Erfurts größere Bedeutung hatte als bisher angenommen. Historische Forschungen müssen diesen Eindruck noch bestätigen. Der Schatzfund, der Kunsthistorikern endlich das lange vermisste Anschauungsmaterial geliefert hat, macht jedenfalls deutlich, welche paradoxen Wendungen die Geschichte nehmen kann: Ungewollt haben die Juden die kulturelle Zeugnisse einer Zeit bewahrt, in der sie verfolgt und ermordet wurden.