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Gratis-Meldungen auf Parteilinie

Die Staatsführung in Peking hat die chinesischen Medien auf eine Auslandsoffensive eingeschworen. Nirgends ist diese Strategie so erfolgreich wie in Afrika, wo China mit einer Nachrichtenagentur, Radio und Fernsehen präsent ist.

Von Pierre-Christian Fink | 14.01.2012
    Als Chinas Außenminister Yang Jiechi zuletzt Kenia besuchte, nahm er sich eine Viertelstunde Zeit für ein Interview. Im weißen Hemd ohne Krawatte, die Beine überschlagen, saß er in der Botschaft in Nairobi vor einem chinesischen Wandteppich. Die Fragen stellte ein Redakteur von China Radio International:

    "Ich glaube, dass zwischen China und Afrika sehr gute Beziehungen bestehen. Herr Minister, wie lautet Ihr Kommentar zu diesen Beziehungen?"

    Yang Jiechi: "Ich glaube, dass unsere Beziehungen zu Afrika von Höhepunkt zu Höhepunkt wachsen. Politisch haben wir uns bei Treffen hochrangiger Regierungsmitglieder kennengelernt. Wirtschaftlich haben wir sehr viel Handel getrieben und Investitionen getätigt. Und kulturell haben sich China und Afrika gegenseitig bereichert."

    So ging es in einem fort: Der Reporter stellte harmlose Fragen, der Minister lobte die sino-afrikanische Zusammenarbeit. Und anschließend wurde das Gespräch in Kenia ausgestrahlt, auf 91,9, der UKW-Frequenz von China Radio International.

    Es war Journalismus ganz nach dem Geschmack der Führung in Peking. Sie hat erkannt, dass China im Ausland ein besseres Image braucht. Denn mit seiner wirtschaftlichen Dominanz eckt es oft an – vor allem in Afrika. Dort ist China in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Handelspartner und Investor geworden. Doch damit sind die Afrikaner nicht immer glücklich: Sie beschweren sich über Ramschwaren aus China, die ihre Märkte überschwemmen, und über chinesische Rohstoffunternehmer, die ihre afrikanischen Arbeiter schlecht behandeln. Solchen Meldungen sollen Chinas Auslandsmedien positive Nachrichten entgegensetzen, sagt Wang Chaowen von der Nachrichtenagentur Xinhua:

    "Jedes Land hat seine guten und seine schlechten Seiten. Wenn man als Journalist nur nach schmutzigen Geschichten sucht, wird die Regierung zurecht sagen: Berichtet doch auch über das Gute! Deshalb gibt es bei Xinhua nicht nur negative, sondern auch positive Geschichten."

    Wang Chaowen ist ein Mittfünfziger mit Halbglatze. Er trägt eine blaue Bundfaltenhose und ein weißes Hemd. Gleich nach dem Studium hat er bei Xinhua angefangen, als einfacher Reporter, sich dann hochgearbeitet bis zum stellvertretenden Chefredakteur. Vor drei Jahren wurde er nach Nairobi geschickt, um die Afrika-Berichterstattung auszubauen. Seitdem hat er alle paar Monate ein neues Korrespondentenbüro eröffnet:

    "Xinhua ist in den vergangenen Jahren genauso schnell gewachsen wie Chinas Wirtschaft. In Afrika haben wir inzwischen mehrere Dutzend Mitarbeiter und 26 Korrespondentenbüros."

    Zum Vergleich: Die Deutsche Presse-Agentur dpa hat in Afrika gerade einmal drei Büros.

    Die Xinhua-Meldungen aus Afrika laufen in Nairobi zusammen, in einem Gebäudekomplex an der Ngong Road. Von außen sieht man nur fünf Satellitenschüsseln auf einem Flachdach. Alles andere verbirgt die Mauer um das Grundstück, drei Meter hoch, zusätzlich mit einem elektrischen Zaun gesichert, an jeder Ecke eine Überwachungskamera.

    Dahinter arbeiten 20 chinesische Journalisten – und sie leben auch hier, in einem separaten Wohntrakt. Es gibt eine chinesische Kantine und sogar eine Tischtennisplatte.

    Im Gebäude daneben sind die Redaktionsräume untergebracht. Wer dort am Schreibtisch sitzt, ist nicht nur Journalist, sondern auch Staatsdiener. Denn Xinhua untersteht der chinesischen Regierung. Wie objektiv kann eine solche Agentur berichten? Wang Chaowen gibt sich diplomatisch:

    "Als Journalist legt man bei jedem Artikel einen gewissen Schwerpunkt und lässt andere Aspekte des Themas weg – das ist ganz unvermeidlich. Deshalb kann kein Journalist für sich Objektivität beanspruchen. Die besten Richter sind die Kunden."

    Wie eine medienwissenschaftliche Untersuchung ergeben hat, drucken Afrikas Zeitungen schon heute mehr Meldungen aus chinesischen als aus westlichen Quellen. Ein Qualitätsbeweis für Xinhua? Nicht unbedingt. Denn für Zeitungen zählen neben den Inhalten auch die Kosten, die sie für die Meldungen der Nachrichtenagenturen bezahlen müssen. Und da ist Xinhua konkurrenzlos günstig, sagt der Auslandschef der kenianischen Tageszeitung "Daily Nation", Henry Owuor:

    "Im Moment müssen wir für die Meldungen von Xinhua nichts bezahlen. Das ist wohl einer der Gründe, warum wir Xinhua verwenden. Die westlichen Nachrichtenagenturen sind sehr teuer. Früher hatten wir alle großen abonniert: Reuters, AFP, AP. Heute benutzen wir davon nur noch AFP. Alle zu abonnieren, würde im Jahr Millionen kosten."

    Die westlichen Agenturen müssen sich zum Großteil selbst finanzieren. Xinhua hingegen bekommt Geld vom Staat. Wenn es übergeordneten Zielen dient, kann Xinhua Verluste machen – zum Beispiel, weil die Agentur ihre Meldungen kostenlos abgibt. In Afrika ist das das beste Marketing. Denn viele Medien dort haben kaum Geld. Das gilt selbst für "Daily Nation", die erfolgreichste Tageszeitung Ostafrikas. Dort muss Owuor jeden Tag fünf Seiten füllen – ganz allein, denn er hat keinen Redakteur unter sich. Da kommen die kostenlosen Meldungen von Xinhua gerade recht. Dass die mit Rücksicht auf die Parteilinie aus Peking geschrieben sind, stört Owuor wenig:

    "Auch die westlichen Nachrichtenagenturen haben eine Agenda. Dagegen setzt Xinhua jetzt eben seine eigene. Diese zusätzliche Perspektive finde ich gut. Wenn ich mehr Platz im Blatt hätte, würde ich noch mehr Xinhua-Meldungen drucken."

    Noch vor fünf Jahren waren Medien aus Europa und Amerika die einzigen wichtigen ausländischen Spieler auf dem afrikanischen Medienmarkt. Doch seitdem hat sich der Westen immer weiter zurückgezogen – besonders seit der Wirtschaftskrise. Vergangenen Oktober zum Beispiel hat die Deutsche Welle ihr deutschsprachiges Kurzwellen-Programm für Afrika eingestellt. Dahinter steht das Verständnis, dass jegliches Engagement in Afrika nur aus Idealismus geschieht – also etwas ist, das man sich leisten kann, aber nicht muss.

    China sieht das ganz anders, wie die Reden der politischen Führung verraten. Peking engagiert sich in Afrika aus Eigeninteresse: aus wirtschaftlicher Berechnung, weil Afrika über reiche Bodenschätze verfügt, und aus politischem Kalkül, weil Afrika in der UN-Vollversammlung mit 55 Sitzen den größten Stimmblock stellt.

    Was, wenn China recht hat, und der Westen gerade seinen medialen Einfluss auf einem wichtigen Kontinent kampflos aufgibt? Diese Frage stellte US-Außenministerin Hillary Clinton kürzlich im Repräsentantenhaus:

    "Während des Kalten Krieges ist es uns großartig gelungen, die Botschaft des Westens in die Welt zu tragen. Seit 1990 glauben wir, das sei nicht mehr nötig. Dafür bezahlen wir jetzt einen hohen Preis."