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Grausame Mutterliebe

Der Film "Pietà" des südkoreanischen Regisseurs Kim Ki-duk wird von der Fachpresse gelobt, weil er "trotz seiner extremen Stimmungen inhaltlich und formal in sich geschlossen ist". Er erhielt in Venedig den Goldenen Löwen.

Von Josef Schnelle |
    Der südkoreanische Regisseur Kim Ki-duk
    Der südkoreanische Regisseur Kim Ki-duk (picture alliance / dpa / Daniel Dal Zennaro)
    Manchmal sind Filme keineswegs lieb und nett, sondern im Wortsinne eine Zumutung. Man kann sich darauf einlassen oder auch nicht. Vor allem dann, wenn der Regisseur seine Zuschauer auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle mitnimmt. Die Filme des südkoreanischen Regisseurs Kim Ki-Duk sind trotz gelegentlicher poetischer Überhöhungen nie ein Zuckerschlecken. Oft sind sie brutal und gewalttätig. Sie schildern aber auch eine brutale und gewalttätige Welt. Doch bei diesem sozialkritischen Gangsterfilm ist er bis an die Grenze des Erträglichen gegangen und wartet mit Szenen auf, die den Betrachter heftig durchschütteln.

    Die Geschichte des Geldeintreibers Kang-do, der seinem Job herzlos und sadistisch nachgeht, dann sich wandelt und im Moment der Läuterung seine Strafe erleidet, spielt in der düsteren Welt eines herunter gekommenen Viertels von Seoul. Wer die Schulden und die Wucherzinsen in abenteuerlichen Höhen nicht zahlen kann, dem bricht er nicht selten die Knochen oder verletzt die kleinen Handwerker mit ihren eigenen Maschinen, um wenigstens die Unfallversicherung der Verkrüppelten herauszuholen. Manchmal hat es der hemmungslose böse Teufel in Menschengestalt auch auf den Opfergang einer Frau abgesehen:

    "- "So eine Scheiße. Du Hurensohn."
    – "Wenn du nicht zum Krüppel werden willst, gehst Du jetzt raus."
    – "Nein. Nein, bitte nicht. Tun sie, was sie wollen. Aber geben sie uns noch eine Woche Zeit. Wenn mein Mann zum Krüppel wird, ist das das Ende.""

    Als kleines Kind ist Kang-do von seiner Mutter sich selbst überlassen worden. Nun ist er bindungslos und treibt die kleinen Handwerker auf seinem Weg erbarmungslos manchmal sogar in den Tod. So einen Film Pietà - also Barmherzigkeit - zu nennen. Das ist zunächst einmal schwer durchschaubar. Er habe den Film als einen filmischen Aufschrei, als ein düsteres Gebet gemeint im Sinne von "Gott erbarme dich unser" gibt Kim Ki-duk, dessen Filme samt und sonders einen religiösen Subtext haben, zu Protokoll. Natürlich ist der Filmtitel auch eine Referenz an Michelangelos Renaissanceskulptur von der Mutter Gottes, die den gekreuzigten Sohn in ihren Armen aufbahrt. Eines der Originalplakate stellt diese Szene mit dem Hauptdarsteller des Films in den Armen der weißgekleideten Mutter nach.

    Das Kino des Kim Ki-Duk ist sowieso voller christlicher Symbolik. Das Leben Kang-Dos ändert sich, als er einer geheimnisvollen Frau begegnet, die behauptet, seine Mutter zu sein.

    "- "Verzeih mir. Ich habe dich im Stich gelassen."
    – "Was war das? Was hast du gesagt?"
    – "Verzeih mir, dass ich erst jetzt zu dir komme."
    – "Was redest du denn für einen Scheiß."
    – "Verzeih mir. Kang-Do."
    – "Ich will nicht, dass Du meinen Namen aussprichst.""

    Doch Mi-sun gibt nicht auf. Sie drängt hartnäckig in Kang-Dos Leben. Auch der Versuch einer inzestuösen Vergewaltigung kann die Annäherung der beiden nicht verhindern. Schließlich lösen sich die charakterlichen Verhärtungen. Der junge Mann gibt seinen Job auf. Die Intensität der Szenen wird auch dadurch verstärkt, dass Kim Ki-duk selbst alle Einstellungen mit einer zweiten Kamera hautnah mitgedreht hat und sich nicht scheut, in ungewöhnliche Perspektiven zu wechseln. Als Mi-sun plötzlich verschwindet, denkt Kang-do, sie wäre von einem seiner früheren Misshandlungsopfer aus Rache entführt worden, schließlich ist sie inzwischen ein unverzichtbarer Bestandteil seines Lebens geworden:

    "- "Ich habe Angst, dass du eines Tages wieder fortgehst. Warum warst du so grausam. Ich kann dir nicht vergeben.""