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Griechenland braucht mehr Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen

Die Forderung noch einer Verstärkung der Sparanstrengungen gehen in die falsche Richtung, meint Gustav Adolf Horn, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung. Denn dann würde die Wirtschaftsleistung weiter einbrechen und die Stabilisierung Griechenlands noch mehr Geld kosten.

Gustav Horn im Gespräch mit Reinhard Bieck | 24.08.2012
    Christoph Heinemann: Zwei Monate nach seinem Amtsantritt wird der griechische Ministerpräsident Andonis Samaras heute von Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen. Der konservative griechische Regierungschef warb vor dem Besuch in Berlin dafür, seiner Regierung bei der Erfüllung der Auflagen der Geldgeber mehr zeitlichen Spielraum zu gewähren. Professor Gustav Adolf Horn leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Mein Kollege Reinhard Bieck hat ihn gefragt, ob die verschiedenen Regierungen in Athen frühere zeitliche Aufschübe genutzt haben.

    Gustav Adolf Horn: Griechenland hat in der Tat die Zeit genutzt, sie haben gespart wie kein anderes Land in Europa. Die Sparanstrengungen sind tatsächlich sehr, sehr, sehr stark und wir müssen sehen, dass das Defizit, das strukturelle Defizit tatsächlich sehr stark zurückgegangen ist. Daher kann man Griechenland das nicht alles vorwerfen, was jetzt passiert. Auch die Forderung nach mehr Zeit ist eigentlich berechtigt, nämlich es ist einfach unmöglich, die Sparvorgaben in dieser Zeit zu erfüllen, und Samaras hat recht. Es würde wahrscheinlich sogar weniger Geld kosten, den Sparprozess zu strecken, denn dann würde das Bruttoinlandsprodukt, also die Wirtschaftsleistung, deutlich weniger einbrechen und damit natürlich auch die Steuereinnahmen besser laufen als sonst.

    Bieck: Das heißt, Sie unterstützen, um damit zum Anlass unseres Gespräches zu kommen, den von Francois Hollande vertretenen eher weichen Kurs gegenüber Athen?

    Horn: Ob das ein weicher oder harter Kurs ist, ist die Frage. Es ist vor allen Dingen ein vernünftiger Kurs. Denn wenn wir tatsächlich die Aufwendungen beziehungsweise die Garantien für Griechenland – nur darum geht es ja – mindern wollen, dann ist es besser, den Sparprozess langsam zu gestalten. Das hat auch gerade der Internationale Währungsfonds in einer Untersuchung festgestellt. Man muss den Sparprozess strecken, man darf ihn nicht zu hart machen. Man kann das vergleichen mit einer Vollbremsung auf Glatteis. Wenn man dort zu hart bremst, landet man im Graben. Man muss richtig bremsen, man muss sanft bremsen, und wenn man das tut, landet man eben nicht im Graben, sondern bleibt auf der Fahrbahn. Sprich übertragen auf Staaten: Griechenland wird dann mehr Steuereinnahmen haben und kommt schneller selber auf die Beine.

    Bieck: Wir bleiben mal beim Thema Zeit. Sie haben – ich glaube, das war im Mai 2010, also vor über zwei Jahren – Angela Merkel im "Spiegel" vorgeworfen, sie verplempere Zeit und Geld, weil sie Griechenland nicht energisch genug unterstütze. Aber, Herr Horn, war es im Nachhinein nicht doch richtig, Athen ständig unter Druck zu halten? Es sah doch lange so aus, als hätten ausgerechnet die Griechen den Ernst der Lage überhaupt noch nicht begriffen.

    Horn: Nein. Ich glaube, dass ich recht hatte, denn hätte man gleich von Anfang an klar gemacht, dass man Griechenland nicht aus der Euro-Zone herausfallen lässt, hätte man von Anfang an klar gemacht, dass die Europäische Zentralbank hinter dieser Währung in vollem Umfang und mit unbegrenzten Mitteln steht, hätte sich die Lage niemals so dramatisch entwickelt, die Zinsen wären nie so hochgeschossen. Das heißt, Griechenland hätte nie so viel für den Schuldendienst aufbringen müssen, wie es dann tatsächlich getan hat, und wäre damit nie in diese tiefe Defizitsituation hineingeschlittert, in die es dann hineingeschlittert ist, was dann weitere Rettungsmaßnahmen nötig machte. Und ich fürchte, dieses Zeit-Verplempern war leider der entscheidende Fehler, der gleich zu Beginn gemacht wurde.

    Bieck: Ich fasse mal zusammen. Sie wollen Griechenland, koste es was es wolle, im Boot behalten. Aber wie erklärt Merkel das zum Beispiel Rösler und Seehofer?

    Horn: Indem sie sagt, dass es eben weniger kostet, wenn man ganz klare Bekenntnisse zur Gemeinschaft in der Währungsunion ausdrückt – einerseits natürlich politisch ausdrückt, andererseits auch ökonomisch ausdrückt, indem man die Europäische Zentralbank unterstützt, dass sie im Notfall eben auch Anleihen aufkauft – und dass man Griechenland in seinem Konsolidierungsprozess, der sicherlich unabwendbar ist, auch genügend Zeit gibt, um tatsächlich auf eigene Beine zu kommen. Das ist nicht binnen Monaten oder Quartalen möglich, das ist nur binnen Jahren möglich, nur dann wird man das Ziel auch erreichen. Alles andere wird in die Sackgasse führen.

    Bieck: Aber nun hat Wirtschaftsminister Rösler doch gesagt, ein Austritt Griechenlands hat seinen Schrecken verloren. Ja durch was eigentlich hat er den Schrecken verloren? Da muss sich doch seit dem Ausbruch der Griechenland-Krise und heute etwas verändert haben, oder nicht?

    Horn: Nun, diese Meinung hat Herr Rösler relativ exklusiv, weil Herr Rösler sieht offenbar nicht, dass der Schaden relativ groß wäre. Nur wäre er beim Steuerzahler. Das heißt, gerade wenn Griechenland austritt, würde all das Geld, was zum Beispiel die Europäische Zentralbank nach Griechenland transferiert hat, verloren sein. All das Geld, was die Bundesregierung garantiert hat, würde fällig. Das heißt, dann müsste man zahlen. Ich weiß nicht, ob Herrn Rösler das klar ist. Hinzu kommt – und das wäre wahrscheinlich noch viel gravierender: Sofort würden die Märkte denken, wenn Griechenland heute austritt, wer tritt morgen aus, Portugal, Irland, Spanien oder gar Italien? Das heißt, auf den Finanzmärkten würde sofort eine Spekulation in diese Richtung gehen, was die Zinsen für diese Länder weit nach oben treiben würde und deren Situation weiter verschlechtern würde. Und Herr Rösler würde dann in einigen Monaten sagen, jetzt muss auch Portugal austreten.

    Bieck: Ich frage jetzt mal den Wirtschaftswissenschaftler. Wie ist es möglich, dass mit ein und derselben Tatsache zwei völlig gegensätzliche Haltungen begründet werden? Fakt ist: Griechenlands Wirtschaft und seine Schulden sind im europäischen Maßstab ein Klacks. Jetzt sagen die einen, deshalb können wir auf Griechenland verzichten, und die anderen, so billig wie mit Griechenland retten wir den Euro-Raum und die EU nie wieder. Ich frage jetzt einfach noch mal: Wie sind so grundsätzlich unterschiedliche Schlussfolgerungen möglich?

    Horn: Ich denke, der Unterschied liegt darin, dass Herr Rösler Griechenland im Grunde genommen als Einzelfall sieht und nur Griechenland sieht, und Griechenland alleine wäre für uns in der Tat eine Quantité négligeable. Wenn man aber den Gesamtzusammenhang sieht, dass Griechenland eben Teil der Währungsunion ist und dass über den Austritt Griechenlands weitere Spekulationen über den Zusammenhalt der Währungsunion unmittelbar beginnen würden, dann, glaube ich, kommt man zu dem Urteil, das ich gefällt habe. Es ist also eine Frage: Ist das, was hier passiert ist, eine Kette von unglücklichen Einzelfällen oder haben wir ein systemisches Versagen im Euro-Raum. Ich bin der Meinung, dass Letzteres der Fall ist, und deshalb komme ich zum abweichenden Urteil.

    Bieck: Herr Horn, jetzt könnte man ja ganz tricky argumentieren: Wenn Deutschland an der Krise verdient, dann kann die Krise ja eigentlich gar nicht schwer und lang genug sein, oder?

    Horn: Nun, das ist natürlich ein pathologischer Verdienst, in Teilen jedenfalls. Einmal ist es ein Blick zurück, weil die Konjunktur noch gut war in der Vergangenheit, und das spiegelt sich in den Steuereinnahmen wieder. Zum Zweiten sind die Zinsen in Deutschland eben tatsächlich wegen der Krise so niedrig, weil Deutschland ein sicherer Hafen ist. Dieser Verdienst rechnet sich aber letztlich nicht, denn er ist daran gekoppelt, dass es anderen Ländern in Europa schlecht geht, und das heißt, dass es auch der deutschen Exportwirtschaft mittlerweile recht schlecht geht. Also der Preis ist zu hoch.

    Heinemann: Der Wirtschaftswissenschaftler Professor Gustav Adolf Horn im Gespräch mit meinem Kollegen Reinhard Bieck.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.