Donnerstag, 25. April 2024

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Griechenland
"Es sind viele Fehler gemacht worden"

Mit einem Schuldenschnitt wäre weder Griechenland noch der Europäischen Union geholfen, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann im DLF. Auch ein Ausscheiden des Landes aus der Währungsunion sei falsch. Er betonte, es gebe ein gemeinsames Interesse daran, das Land aus der Krise zu führen. Aber Brüssel müsse die Vorgaben modifizieren.

Reiner Hoffmann im Gespräch mit Dirk Müller | 03.02.2015
    DGB-Chef Reiner Hoffmann
    DGB-Chef Reiner Hoffmann (imago/IPON)
    Die Krisenpolitik, die Griechenland auferlegt worden sei, habe zu erheblichen sozialen Missständen geführt, sagte Hoffmann. Das Land müsse nun gemeinsam aus der Krise geführt werden, aber die Lasten dürften nicht einseitig den griechischen Bürgern auferlegt werden. Denn das Volk habe nicht über seine Verhältnisse gelebt. Auch sei mit den europäischen Geldern nicht den Menschen, sondern vielmehr nur den Banken geholfen worden. Es sei jetzt dringend erforderlich, das Wachstum anzuschieben.
    Der DGB-Chef sagte weiter, Griechenland sei "mit erheblichen Strukturproblemen konfrontiert". Es gebe weiterhin steuerliche Privilegierung von Reedern oder das Apothekermonopol. Was aber nicht passieren dürfe, sei, dass die solidarische Gesundheitsvorsorge zur Disposition stehe.
    Hoffmann kritisierte aber auch die Staatsführung. Es sei beispielsweise ein Fehler, mit den Rechtspopulisten zu koalieren. "Aber wir sehen natürlich auch Möglichkeiten, dass mit dieser neuen Regierung konstruktive Lösungen gefunden werden." Athen werde auf den Boden der Realität zurückkommen.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Was soll denn nun die Politik, was sollen die Bürger in ganz Europa davon halten? Die neue griechische Regierung, sie tritt äußerst selbstbewusst auf. Sie diktiert, sie fordert und sie brüskiert. Ein paar Stunden später rudert Athen dann auch wieder etwas zurück: "Wir werden uns schon einigen", heißt dann der Tenor. Dabei hat Griechenland immer noch mehr Arbeitslose denn je. Über 60 Prozent der Jüngeren sind ohne Job, Rentner warten monatelang auf ihr Geld, Arbeiter warten auf ihren Lohn. Zehntausende Kinder sind in Heimen untergebracht, weil die Eltern sie nicht mehr ernähren und versorgen können. Dagegen stehen über 300 Milliarden Euro Gesamtschulden. Dagegen stehen Verträge mit der Europäischen Union, die Spar- und Reformvereinbarungen auch einzuhalten. – Unser Thema nun mit Reiner Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, viele Jahre auch stellvertretender Generalsekretär für den Dachverband der europäischen Gewerkschaften. Guten Morgen!
    Reiner Hoffmann: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Hoffmann, haben Sie wenigstens ein Herz für die Griechen?
    Hoffmann: Wir müssen feststellen, dass die Krisenpolitik, die Griechenland aufoktruiert wurde, schlicht und ergreifend in die sozialen Missstände geführt hat. Deshalb haben wir ein gemeinsames Interesse daran, dass Griechenland aus dieser Krise herausgeführt wird, aber die Lasten nicht einseitig länger auf die Schultern der Bürgerinnen und Bürger verteilt werden.
    "Sparkurs hat in die soziale Katastrophe geführt"
    Ein junges Mädchen in Athen
    Ein junges Mädchen in Athen: Die meisten armen Kinder in der EU leben in Griechenland. (LOUISA GOULIAMAKI / AFP)
    Müller: Dann hat die Europäische Union alles falsch gemacht?
    Hoffmann: Es sind viele Fehler gemacht worden. Das fing damit an, dass beispielsweise die Krisenpolitik einseitig auf einen sehr radikalen, harten Sparkurs gesetzt hat, der mit zu dieser sozialen Katastrophe geführt hat. Hier brauchen wir eine Umsteuerung. Da sind ja auch Möglichkeiten durchaus sehr realistisch, dass wir Griechenland helfen, die Arbeitslosigkeit zu überwinden und vor allen Dingen wieder Wachstum anzuschieben, was dringend erforderlich ist, damit Griechenland aus der Krise herauskommt.
    Müller: Aber auch Wolfgang Schäuble will ja nach wie vor an dieser Spar- und Reformpolitik, an den Vorgaben aus Brüssel festhalten.
    Hoffmann: Ich glaube, diese Vorgaben müssen modifiziert werden. Sie haben vorhin auf die 300 Milliarden Schulden Griechenlands hingewiesen. Ich erinnere daran, dass vor der Krise, 2007, Griechenland beim Schuldenabbau ja schon erhebliche Fortschritte gemacht hat und einen Schuldenstand von 100 Prozent erreicht hat. Mittlerweile haben wir eine Staatsverschuldung von 170 Prozent. Das ist aber keine Folge, dass die Griechen, wie oft hier immer suggeriert wird, über ihre Verhältnisse gelebt haben, sondern das ist die Folge, dass mit milliardenschweren Rettungspaketen vor allen Dingen Banken gerettet wurden, aber nicht den Menschen wirklich praktische Hilfestellungen zuteil wurden.
    "Finanzmarktregulierung immer noch zu schwach"
    Müller: Das war ja immer der Vorwurf der Gewerkschaften, auch der Linkspartei in den vergangenen Jahren. Da bleiben Sie dabei: In Wahrheit hat man dem Großkapital, den Banken, den Finanzinstituten geholfen und nicht den Menschen?
    Hoffmann: So ist es, zumal wir ja uns immer wieder daran erinnern müssen, was war denn die Ursache für die Krise, in die wir ja gemeinsam 2007/2008 hineingestürzt wurden. Das war ja eben nicht, dass die Menschen, ich wiederhole es noch mal, über ihre Verhältnisse gelebt haben, sondern weil wir eine internationale Finanzmarktkrise hatten, deren Ursachen unter anderem in einer mangelnden Finanzmarktregulierung gelegen hat.
    Hier haben wir erste Fortschritte erzielt, das ist auch anzuerkennen. Aber die Finanzmarktregulierung ist aus gewerkschaftlicher Sicht immer noch so schwach, dass hier weitere Regulierungen notwendig sind. Das ist eine Voraussetzung, dass wir nicht erneut in eine solche Finanzmarktkrise stürzen, die ja die katastrophalen Folgen für die Menschen mit verursacht hat.
    Müller: Herr Hoffmann, blicken wir noch mal auf die Ausgangsposition, jetzt mal unabhängig davon, dass es die Finanz- und Wirtschaftskrise dann plötzlich so gegeben hat, für die meisten ja völlig unerwartet. Aber haben die Griechen nicht – und so haben das viele ja von uns verstanden, was Sie gesagt haben – nicht doch über Ihre Verhältnisse gelebt? Hat die griechische Politik nicht finanziell permanent überzogen, nicht reformiert, große soziale Geschenke, Versprechungen gemacht und sogar auch eingehalten, was die gesamte Wirtschaft, das Finanzwesen wie auch das gesamte Staatswesen überfordert hat?
    "Krisenlasten nicht länger einseitig verteilen"
    Hoffmann: Herr Müller, ich glaube, Sie haben Recht, dass wir auch in Griechenland mit erheblichen Strukturproblemen konfrontiert sind. Das fängt beispielsweise an mit einer steuerlichen Privilegierung von griechischen Reedern, die beispielsweise eben nicht an der Krisenbewältigung beteiligt wurden. Auch das Apothekermonopol in Griechenland muss man sicherlich infrage stellen. Aber was man nicht in Frage stellen kann, das würden wir in Deutschland und in vielen anderen europäischen Ländern nicht machen, dass wir die solidarische Gesundheitsvorsorge beispielsweise zur Disposition stellen. Heute sind mehr als 800.000 Menschen in Griechenland nicht mehr von einer solidarischen Gesundheitsvorsorge erfasst. Das geht nicht, sondern hier müssen die Krisenlasten nicht länger einseitig verteilt werden, und das bedeutet, dass die Vermögenden, die über entsprechende Einkünfte oder aber auch Kapitalvermögen verfügen, an der Krisenbewältigung beteiligt werden, und daran mangelt es.
    Ich gestehe auch zu, dass natürlich ein Staat in der Lage sein muss, dass er eine Steuerverwaltung hat, die dazu beiträgt, dass der Staat überhaupt von seinen Bürgern Steuern effizient eintreiben kann. Auch in der Arbeitsverwaltung haben wir erhebliche Defizite. Auch hier sind Reformen notwendig. Aber wir plädieren für Reformen, für Strukturreformen, die ihren Namen auch wirklich verdienen.
    Müller: Wenn das so schlimm ist, wie Sie es sagen, Herr Hoffmann, dann wäre es ja fast töricht gewesen, wenn die Griechen sich für die Parteien jetzt wieder entschieden hätten, die das Ganze eingebrockt haben.
    Hoffmann: Ich glaube, wir müssen das Wahlergebnis der Bürgerinnen und Bürger in Griechenland ernst nehmen für einen Politikwechsel. Dieser Politikwechsel wird jetzt eingeleitet und ich kann nur dringend empfehlen, dass sich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, die Kommission gemeinsam mit der neuen Regierung an einen Tisch setzen, um konstruktive Lösungen zu erarbeiten, die dann auch wirklich dauerhaft aus der Krise herausführen, aber eben nicht mehr einseitig zu Lasten der dortigen Menschen.
    "Die alte Elite war in Griechenland nicht wieder wählbar"
    Müller: Das war jetzt sehr diplomatisch, kann bestimmt jeder unterstreichen. Ich möchte die Frage noch einmal anders stellen: Hätten Sie als Grieche vor Ort Syriza gewählt?
    Hoffmann: Ich bin jetzt in der Situation, als Bürger der Bundesrepublik Deutschland in Griechenland nicht wählen zu können. Aber man muss sich natürlich anschauen, mit welchen Wahlprogrammen sind die Parteien dort angetreten. Und wenn ich mir einfach nur die Wahlprogramme anschaue, dann war die alte Elite sicherlich nicht wieder wählbar.
    Müller: Also hätten Sie da auch durchaus Ihr Kreuz machen können, unter Tsipras?
    Hoffmann: Wenn man sich die Wahlprogramme anschaut, wäre die Sympathie sicherlich dort eine deutlich größere gewesen.
    Müller: Jetzt haben aber viele, Herr Hoffmann, genau auch vor dem Wahlprogramm der Syriza-Partei gewarnt. Wir haben ja jetzt seit einer Woche, seit gut einer Woche die entsprechenden Vorstöße aus Athen alle im Kopf, im Hinterkopf, und viele sehen das ja als ein erschreckendes Beispiel dafür, wie eine Regierung so weit gehen kann, dass sie alle anderen Partner erschreckt und verschreckt, die immerhin für die finanzielle Stabilität Griechenlands eingesprungen sind. Geht Tsipras zu weit?
    Hoffmann: Ich glaube, die griechische Regierung wird – und da hört man ja auch die ersten Signale – auf den Boden der Realität zurückkommen. Wir halten es für einen Fehler, dass beispielsweise die Rechtspopulisten jetzt an der Regierung beteiligt wurden. Das sehen wir alles durchaus auch kritisch. Aber wir sehen natürlich auch Möglichkeiten, dass mit dieser neuen Regierung konstruktive Lösungen gefunden werden. Wir halten es für falsch, dass man jetzt beispielsweise einen Schuldenschnitt macht. Damit wäre Griechenland und auch der Europäischen Union nicht geholfen. Wir halten es durchaus für falsch, dass Griechenland jetzt aus der Währungsunion ausscheidet. Auch das wird keine dauerhafte Lösung mit sich bringen, sondern die Probleme möglicherweise verschärfen.
    "Wir brauchen keinen Schuldenschnitt"
    Müller: Der Finanzminister hat ja offenbar – Entschuldigung, dass ich hier unterbreche – jetzt gesagt, jüngst bei seinem Besuch in London, Varoufakis, über den wir reden, dass wir doch keinen Schuldenschnitt brauchen aus seiner Sicht.
    Hoffmann: Genau, wir brauchen keinen Schuldenschnitt. Gucken wir uns einfach die ökonomischen Zusammenhänge an. Ich meine, Griechenland leidet unter anderem wie Europa insgesamt unter einem durchaus schwachen Wachstum. Aber immerhin: Wir haben jetzt ein Wachstum in Griechenland von zirka 2,4 Prozent. Wenn wir uns die Staatsverschuldung anschauen und die Verzinsung der Staatsverschuldung, so ist ja auch mit der europäischen Unterstützung es gelungen, dass das Zinsniveau gesenkt wurde. Wenn wir also in Griechenland ein Wachstum haben, was oberhalb der Verzinsung der Staatsverschuldung liegt, dann haben wir natürlich Spielraum, auch die Staatsverschuldung insgesamt abzubauen. Allerdings müssen wir wissen, das wird nicht in drei oder fünf Jahren zu realisieren sein, sondern wir müssen uns hier auf eine längere Strecke einrichten. Hier ist sozusagen ein Dauerlauf gefordert und kein Sprint, wie die Europäische Kommission den Griechen vorgeschrieben hat.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Hoffmann: Ich danke Ihnen, Herr Müller. Schönen Tag, tschüss!
    Müller: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.