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Griechenland
"Gegebenenfalls einen Grexit riskieren"

Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff hält einen Austritt Griechenlands aus dem Euro für möglich. Man wolle Griechenland zwar eigentlich gerne in der Eurozone halten - jedoch nicht unter allen Umständen, sagte er im DLF. Die Regierung müsse überzeugendere Reformpläne vorlegen.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Bettina Klein | 30.03.2015
    Der FDP-Europaabgeordnete und Vizepräsident des EU-Parlaments Alexander Graf Lambsdorff.
    Der FDP-Europaabgeordnete und Vizepräsident des EU-Parlaments Alexander Graf Lambsdorff. (Imago / Rainer Unkel)
    Das Land stehe finanzielle nahezu am Abgrund und der Rest Europas vor einem Rätsel: "Wir wissen nicht, was die Regierung will," so Lambsdorff. Die Äußerungen in der Öffentlichkeit sprächen dafür, dass das Land den Euro verlassen wolle, in den Verhandlungen sei jedoch das Gegenteil der Fall.
    Die angekündigten Reformmaßnahmen der griechischen Regierung gehen Lambsdorff nicht weit genug: Der Kampf gegen Benzinschmuggel oder die Versteigerung von Sendelizenzen im Rundfunk seien lediglich Einzelmaßnahmen, die keine ausreichende Wirkung zur finanziellen Rettung hätten. Lambsdorff kritisierte auch, dass die Eurogruppe vor Ostern kein weiteres Treffen mit Griechenland vorgesehen hat, obwohl die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands unmittelbar drohe: "Da fahren zwei Züge aufeinander zu."
    Er halte es nur für schwer vorstellbar, dass Griechenland bis zum 9. April einen überzeugenden Plan vorlege. Dann könne man den Austritt Griechenlands aus der Eurozone riskieren - und einen Plan machen, wie dem Land nach dem "Grexit" geholfen werden könne.
    Auch wenn die Atmosphäre in den Verhandlungen sich verbessert habe - "am Ende des Tages zählt, was auf Papier gedruckt, unterschrieben und mit Stempel versehen ist," so Lambsdorff.
    Frankreich: "Ein Schock für Le Pen"
    Lambsdorff zeigte sich gleichzeitig erfreut und besorgt über das Wahlergebnis in Frankreich. Zwar habe der rechtsextreme Front National (FN) keines der Départements gewonnen, jedoch an Einfluss. Für Präsident François Hollande sei das Ergebnis ein "Schuss vor den Bug".

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: An diesem Montag sollte es eigentlich soweit sein: Die griechische Regierung wollte eine Reformliste vorlegen, die als Bedingung dafür gilt, ob weitere Hilfszahlungen bewilligt werden. Doch die nicht öffentlichen Verhandlungen in den vergangenen Tagen haben bisher offenbar zu keinem Ergebnis geführt.
    Am Telefon ist Alexander Graf Lambsdorff von der FDP, Vizepräsident des Europaparlaments. Guten Morgen.
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Herr Lambsdorff, wo stehen wir denn heute Morgen, was die Verhandlungen angeht?
    Graf Lambsdorff: Griechenland steht, finanziell gesprochen, nahezu am Abgrund. Der Rest Europas steht vor einem Rätsel, weil wir alle nicht genau wissen, was diese griechische Regierung eigentlich wirklich will. Denn die Äußerungen, die von einzelnen Ministern dort getan werden, sprechen eher dafür, dass man die Eurozone verlassen will, während die Verhandlungen, die geführt werden, darauf abzielen, dass man in der Eurozone verbleibt. Mit anderen Worten: Wir stehen vor einem großen Fragezeichen.
    "Die Experten sind zutiefst frustriert"
    Klein: Es gab ja offensichtlich in den vergangenen drei Tagen nicht öffentliche Verhandlungen auf Experten- oder auf Ministerebene. Gestern hieß es, keine brauchbare Verhandlungsgrundlage habe es gegeben. Wird diese Verhandlungsgrundlage eigentlich als Geheimsache behandelt, oder kennen Sie Einzelheiten dessen, worüber da gesprochen wurde?
    Graf Lambsdorff: In Athen ist das eine oder andere durchgesickert, aber das sind alles Punkte - das hat Herr Münchenberg in seinem Vorbericht ja auch gerade gesagt -, von denen die Experten sagen, das reicht nicht aus, das hätte man schon lange tun können, oder aber es ist zu schwierig in der Umsetzung, das ist weder glaubwürdig noch nachprüfbar.
    Das sind so Sachen wie die Bekämpfung des Benzinschmuggels, oder die Versteigerung von Sendelizenzen für Radio- und Fernsehstationen in Griechenland, di etwas machen wollen. Das sind alles Einmalmaßnahmen, oder aber Strukturmaßnahmen, die nicht die Wirkung zeitigen, die man braucht, um Griechenland dauerhaft finanziell am Leben zu halten. Insofern: Die Experten sind zutiefst frustriert, und wenn ich höre, dass die Eurogruppe es ja ablehnt, vor Ostern noch mal ein Treffen in den Blick zu nehmen, einerseits, andererseits es aber heißt, bereits im April - und der geht ja nun bald los - drohe die Zahlungsunfähigkeit, dann sehe ich hier, ehrlich gesagt, im Moment eher zwei Züge aufeinander zufahren.
    Klein: Wenn wir so ein wenig herumstochern, was die Einzelheiten angeht, wie sinnvoll ist denn, das überhaupt hinter verschlossenen Türen zu besprechen, oder sollte man nicht klar auf den Tisch legen, was jetzt eigentlich gefordert wird und was von Griechenland geboten wird oder nicht geboten wird?
    Graf Lambsdorff: Das ist ein Dilemma, Frau Klein. Wenn wir sagen als Eurogruppe, wir fordern die Dinge eins, zwei, drei und vier, dann sagt natürlich die Regierung in Athen, dann sagen auch die Medien, dann sagt die Öffentlichkeit dort, aha, das ist ein Diktat aus Brüssel. Wenn aber die Syriza-Regierung nicht irgendwelche Angebote macht, die man diskutieren kann, dann ist es genauso schwierig. Sie will diese aber nur hinter verschlossenen Türen vorlegen, einfach deswegen, weil manche von denen diametral entgegengesetzt sein müssen dem, was sie im Wahlkampf versprochen haben, und insofern ist diese Vertraulichkeit der Verhandlungen im Zweifel unausweichlich.
    Klein: Und diese Vertraulichkeit der Verhandlungen wird, wenn ich Sie jetzt gerade richtig verstanden habe, von der griechischen Seite eingefordert?
    Graf Lambsdorff: Ich gehe davon aus, dass diese Expertengespräche von beiden Seiten üblicherweise vertraulich geführt werden. Das hat man bei Spanien, bei Irland und bei Portugal auch gemacht.
    Ich will das noch mal sagen: Für die Öffentlichkeit in den betroffenen Mitgliedsstaaten, den sogenannten Programmländern, sind diese Verhandlungen unglaublich heikel, was die Ergebnisse angeht, und für die jeweilige Regierung - insofern würde ich Ihre Frage bejahen - ist es wahnsinnig kompliziert, weil die natürlich zum Teil sehr schwierige und weitreichende Zusagen machen müssen, die man dann in geeigneter Weise zuhause kommunizieren muss. Das Ganze ist sehr schwierig. Aber wenn man das Ganze voll transparent machen würde, dann wäre es vollends unmöglich.
    "Es zählt nur das, was auf Papier vorgelegt wird mit einem Stempel"
    Klein: Die Dokumente, so hieß es am Wochenende, seien vorgelegt worden auf mobilen Geräten, und zwar in Griechisch, und dann wurde es mündlich vorgetragen. Ist das vielleicht eine ganz moderne Art der Verhandlungsführung?
    Graf Lambsdorff: Nein, Frau Klein. Beim besten Willen: Man kann über "paperless offices" reden wie man will: Am Ende des Tages zählt nur das, was auf Papier gedruckt vorgelegt wird mit einer Unterschrift und einem Stempel. Und das ist wirklich eine Frechheit. In der Tat hört man aus der Gruppe, es seien iPads herumgereicht worden, wo zum Teil die Sachen nur auf Griechisch standen, während Englisch nun mal die Lingua franca ist. Mit anderen Worten: Was das Vorgehen der griechischen Regierung hier auch in den Verhandlungen angeht, fühlen sich einige doch vor den Kopf gestoßen.
    Klein: Herr Lambsdorff, Sie haben gerade davon gesprochen, dass da möglicherweise zwei Züge gerade aufeinander zurasen. Nun stehen wir an dem Beginn der Osterferien, wir haben die Ostertage vor uns, und in diesen Zeitraum fällt ja das mögliche Datum einer möglichen Zahlungsunfähigkeit Griechenlands.
    Noch mal nach einem Zeitplan gefragt: Wie könnte man denn dieses aufeinander Zurasen und den Zusammenstoß der beiden Züge noch verhindern, Ihrer Meinung nach?
    Graf Lambsdorff: Am 9. April muss Griechenland circa eine halbe Milliarde Euro an Verbindlichkeiten bedienen beim Internationalen Währungsfonds. Das ist Geld, das das Land vorab bekommen hat. Bis dahin müsste es tatsächlich einen glaubwürdigen und nachprüfbaren Plan vorlegen. Nur dann wäre es denkbar, dass die noch ausstehenden - das ist jetzt kein neues Geld, sondern das ist noch ausstehendes Geld aus einem alten Plan - 7,2 Milliarden freigegeben werden könnten. Allerdings halte ich das für jedenfalls in vollem Umfang schwer vorstellbar.
    Wir haben immer gesagt, auch von der FDP, wir wollen die Griechen gerne in der Eurozone halten, aber wir brauchen dafür glaubwürdige und nachprüfbare Reformen. Es sind jetzt noch zehn Tage, die Griechenland hat, um etwas vorzulegen.
    Ich muss sagen, wenn das alles weiter auf dem iPad geschieht und nicht auf Papier, wenn das Ganze nicht nachprüfbar ist, dann sehe ich auch nicht ein, warum man dieses Geld freigeben sollte. Dann müsste man tatsächlich das riskieren, worüber zum Beispiel Herr Lafazanis redet, worüber jetzt inzwischen auch Herr Varoufakis redet, die beiden Minister, die sich am Wochenende geäußert haben. Dann müsste man gegebenenfalls auch einen Bruch, einen Grexit riskieren und einen Plan dafür machen, wie man dem Land hilft nach dem Ausscheiden aus der Eurozone.
    "Es ist wirklich eine vertrackte Situation"
    Klein: Das heißt aber auch, die atmosphärische Entspannung, die eingetreten sei zwischen Griechenland und Brüssel, aber auch Griechenland und der deutschen Regierung, die hat im Ergebnis im Augenblick zu nichts geführt?
    Graf Lambsdorff: Na ja, Atmosphäre ist wichtig. Aber Atmosphäre ist bei Weitem nicht alles und am Ende des Tages zählen Fakten, am Ende des Tages müssen auch die Politiker in den Ländern, die zur Stabilisierung beitragen - und da sind ja sogar Länder dabei, die ärmer sind als Griechenland, denken wir mal an die Slowakei oder denken wir mal an Estland. Das sind Länder, die sich beteiligen an der Rettung. Und wenn Griechenland nichts Belastbares vorlegt, wie sollen denn die Regierungen dieser Länder ihrer Öffentlichkeit erklären, dass man bereit ist, Geld freizugeben. Wir in Deutschland haben ja auch eine Situation, wo unsere Öffentlichkeit immer ungeduldiger wird und das aus nachvollziehbaren Gründen. Auch die Freien Demokraten, wir haben auch heftige Diskussionen.
    Wir wollen eigentlich Griechenland drin halten, aber nicht unter allen Umständen. Mit anderen Worten: Es ist eine wirklich vertrackte Situation und die Atmosphäre allein wird es nicht retten können, sondern am Ende können es tatsächlich nur belastbare Papiere und glaubwürdige Reformen sein.
    "Das ist wirklich ein schwerer Schuss vor den Bug für Hollande"
    Klein: Herr Graf Lambsdorff, da wir heute Morgen über die Entwicklungen in Europa sprechen, würde ich ganz gern noch auf die Entwicklung auch in Frankreich schauen. Gestern zweite Runde der Departements-Wahlen mit einer Wahlschlappe für die regierende Partei. Auf der anderen Seite ist der Front National nicht derart gestärkt daraus hervorgegangen, wie das ja offenbar viele vermutet haben. Die Konservativen dagegen unter Nicolas Sarkozy wurden gestärkt. Was ist Ihre Einschätzung, Ihre erste Bewertung dieses Ergebnisses?
    Graf Lambsdorff: Es zeigt, dass der französische Satz "L'union fait la force", Einigkeit macht stark, ganz offensichtlich funktioniert. Es hat eine Mitte-Rechts-Koalition gegeben aus konservativen und liberalen Kräften, die im ganzen Land einheitlich angetreten ist und zu einem wirklichen Wahlerfolg damit gekommen ist, während die Sozialisten es nicht geschafft haben, die linken Kräfte zusammenzubinden, also Grüne, Kommunisten und andere. Und das Ergebnis ist, dass die Sozialistische Partei Gebiete verloren hat.
    Das wäre in Deutschland so, als ob die SPD Hamburg, Bremen und das Ruhrgebiet verloren hätte. Sogar die Wahlkreise von Präsident Hollande und Premierminister Walls sind alle verloren gegangen. Auch der Norden, ein traditionell immer sozialistisches Gebiet, ist jetzt konservativ regiert. Das ist wirklich ein schwerer Schuss vor den Bug für Hollande. Auf der anderen Seite ist für mich persönlich sehr erfreulich, dass der Republikanismus in Frankreich offenbar stark genug ist, dass man den Front National außen vorhält. Für Marine Le Pen war das Ergebnis gestern mindestens auch ein milder Schock.
    "Auseinandersetzung mit Rechtsextremen und Populisten"
    Klein: Das heißt, für all die, die befürchtet haben, dass die rechten Kräfte in Frankreich gestärkt würden, die am rechten Rand, ist das ein Grund, sich zurückzulehnen, oder bleibt es weiter ein Thema, mit dem Sie sich auch im Europaparlament, auch mit den Abgeordneten dort auseinandersetzen müssen?
    Graf Lambsdorff: Marine Le Pen ist ja Abgeordnete im Europäischen Parlament und natürlich setzen wir uns dort mit ihr politisch auseinander. Das ist vollkommen klar. Und die Prozentzahlen, die sie bekommen hat, sind ja auch durchaus beeindruckend und besorgniserregend. Nur eines ist klar: Es ist so, dass die Demokraten einander unterstützen. Auch dort, wo Konservative angetreten sind, haben die Sozialisten in den jeweiligen Wahlkreisen dann ihr Kreuz bei Sarkozy und seinen Anhängern gemacht und umgekehrt, und das war vorher fraglich, haben auch die Bürgerlich-Konservativen sozialistische Kandidaten dort gewählt, wo in der zweiten Runde ein Kandidat des Front National war. Mit anderen Worten: Hier ist der Front National außen vorgehalten worden.
    Das ist jedenfalls von der Wahl gestern her erfreulich. Aber die Auseinandersetzung mit Rechtsextremen und Populisten und europafeindlichen Kräften, die wird selbstverständlich weitergehen.
    Klein: Die Einschätzung von Alexander Graf Lambsdorff heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk (FDP), Vizepräsident des Europaparlaments. Ich danke Ihnen für das Interview.
    Graf Lambsdorff: Danke auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.