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Griechenland-Verhandlungen
60 Unions-Abgeordnete verweigern Merkel die Gefolgschaft

Der Bundestag hat Ja gesagt. Wie erwartet machte eine große Mehrheit den Weg für Verhandlungen mit Griechenland über ein drittes Hilfspaket frei. Die meisten Unionsabgeordneten und beinahe die gesamte SPD-Fraktion stimmten dafür. Es gab aber auch Gegenstimmen.

17.07.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) legt während der Abstimmung zu Verhandlungen über ein neues Griechenland-Hilfspaket ihren Stimmzettel in die Urne. Sie wird dabei von weiteren Bundestagsabgeordneten umringt, darunter Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD).
    Der Bundestag hat den Weg freigemacht für neue Verhandlungen über ein Griechenland-Hilfspaket. (afp / John Macdougall)
    Insgesamt gab es 598 abgegebene Stimmen. Mit "Ja" votierten 439 Abgeordnete, 119 stimmten dagegen. 40 enthielten sich. Aus den Reihen von CDU und CSU gab es 60 Nein-Stimmen, bei der SPD waren es vier. Die Politiker der Linken stimmten nahezu geschlossen dagegen. In der Grünen-Fraktion gab es die größten Unterschiede beim Abstimmungsverhalten: 33 Grünen-Abgeordneten enthielten sich, 23 sagten Ja zu neuen Verhandlungen, zwei Nein. Der Bundestag hat eine Liste im Internet veröffentlicht, aus der hervorgeht, wie jeder einzelne Abgeordnete votiert hat.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte eindringlich für neue Verhandlungen mit Athen geworben. Deutschland handele grob fahrlässig, wenn dieser Weg nicht wenigstens versucht werde, sagte Merkel. SPD-Chef Sigmar Gabriel warnte vor einer weiteren "Grexit"-Debatte.
    Während knapp 50 Abgeordnete der Union nicht zustimmen wollten, stellte sich die SPD-Fraktion nahezu geschlossen hinter die Pläne. Auch die Grünen unterstützen ein drittes Griechenland-Hilfspaket. Viele Parlamentarier der Grünen wollten sich aber enthalten. Die Linke lehnte die Verhandlungen ab - mit dem Argument, Griechenland würden zu harte Bedingungen auferlegt.
    "Heißes Herz und kühlen Kopf"
    Zu Beginn der Debatte im Bundestag verteidigte Kanzlerin Merkel die Einigung des Euro-Gipfels zu Griechenland. Sie bitte "aus voller Überzeugung um ein "Ja"", sagte sie. Die Alternative dazu sei Chaos. Einen Schuldenschnitt lehnte sie erneut ab.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht am 17.07.2015 bei der Sondersitzung des Deutschen Bundestags zu Griechenland-Hilfspaketen in Berlin.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Sondersitzung des Bundestags zu Griechenland-Hilfen (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Linksfraktionschef Gregor Gysi erhob schwere Vorwürfe geben Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. "Sie sind dabei, die europäische Idee zu zerstören", sagte der Oppositionsführer an die Adresse Schäubles. Kanzlerin Merkel warf er vor, ihr Verhalten Schäuble gegenüber sei schwach gewesen. "Sie galten immer als starke Frau".
    SPD-Chef Sigmar Gabriel warb um Unterstützung für das Hilfspaket, nicht nur im Bundestag, sondern auch bei der Bevölkerung. Das wichtigste Argument für die Hilfe sei die Mitmenschlichkeit. "Wir können und dürfen diese Menschen in Griechenland nicht im Stich lassen", sagt der Vizekanzler. Es gebe in Europa keinen Platz für hungernde Kinder, bettelnde Rentner und Suppenküchen. Gabriel warnte zudem vor einem weiteren "Grexit"-Debatte. Die Bundesrepublik müsse vielmehr Partner Athens bei der Umsetzung des Reformprogramms sein.
    Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf der Bundesregierung eine Spaltung Europas vor. Die Drohung mit einem Grexit gegen Griechenland sei fatal. "Europa braucht in diesen Tagen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf", sagte sie. Sie fordert zudem eine Schuldenerleichterung und zusätzliche Investitionen in Griechenland.
    Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warb für die Aufnahme von Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket. "Es ist ein letzter Versuch, um diese außergewöhnlich schwierige Aufgabe zu erfüllen", sagt er. Was ihn quäle sei seiner Verantwortung gerecht zu werden als Finanzminister eine Lösung zu finden, von der er sagen könne: "Ich bin überzeugt, dass diese Lösung funktioniert".
    Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble während der Sondersitzung im Bundestag. 
    "Es ist ein letzter Versuch, um diese außergewöhnlich schwierige Aufgabe zu erfüllen", sagt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. ( TOBIAS SCHWARZ / AFP)
    Würdigung von Philipp Mißfelder
    Bevor die Abgeordneten mit der Debatte anfingen würdigte Bundestagspräsident Norbert Lammert den gestorbenen Abgeordneten Philipp Mißfelder (CDU) als außergewöhnlich talentierten jungen Politiker. "Es gibt kaum jemanden in der Geschichte des Bundestages, der in so jungen Jahren ohne ein Amt in der Exekutive ein so dichtes Netz an politischen Kontakten aufgebaut hat", sagte Lammert. "Der Deutsche Bundestag verliert mit ihm einen engagierten und respektierten Parlamentarier - viele von uns, auch ich persönlich, einen guten Freund", sagte Lammert, der sichtlich um Fassung rang.
    Zuvor hatten viele der Abgeordneten bei einer Totenmesse in der St. Hedwigs-Kathedrale Abschied von Mißfelder genommen, der in der Nacht zum Montag mit 35 Jahren an einer Lungenembolie gestorben war. Der langjährige Vorsitzende der Jungen Union saß seit 2005 im Bundestag.
    (mb/pg/tj/fwa)