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Grimme-Preise
Zeit für Veränderung

Die Statuten und Kategorien der eben erst wieder frisch vergebenen Grimme-Preise stehen auf dem Prüfstand. Bisher müssen die Filme im Fernsehen ausgestrahlt werden - das sei mit Blick auf crossmediale Produktionen zu überdenken, sagte die Geschäftsführerin des Grimme-Instituts, Frauke Gerlach, im DLF.

Frauke Gerlach im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 04.03.2015
    Doris Schäfer-Noske: Heute sind wieder die wichtigsten deutschen Fernsehpreise vergeben worden: die Grimme-Preise. Die Privatsender sind diesmal fast leer ausgegangen. Alle zwölf Auszeichnungen gingen an öffentlich-rechtliche; nur der private britische Kanal "Channel 4" kam in einer Koproduktion mit dem ZDF und Arte in "Die Kinder von Aleppo" mit zum Zuge. Ansonsten konnten sich unter den 65 Nominierten zum Beispiel die Filme "Bornholmer Straße" über die letzten Stunden vor dem Mauerfall, "Der Fall Bruckner" über den Alltag einer Sozialpädagogin, das Improvisationsexperiment "Altersglühen" mit vielen bekannten Schauspielern und eben der Tatort "Im Schmerz geboren" durchsetzen. Frage an Frauke Gerlach, die Geschäftsführerin des Grimme-Instituts: Frau Gerlach, war das denn diesmal ein guter Fernsehjahrgang?
    Frauke Gerlach: Wir können im Grunde sagen, dass wir ein sehr vielfältiges Jahr haben, und vielleicht fangen wir bei Info und Kultur an: Da kann man wirklich sagen, dass - und das waren die öffentlich-rechtlichen Sender - sie in wirklich herausragender Weise auf viele Probleme, internationale Probleme durch herausragende Produktionen hingewiesen haben und auch wirklich Herausragendes geleistet haben. Wenn man Qualität reflektieren möchte, fehlen etwas die innenpolitischen Stoffe, beispielsweise das hoch komplexe Verfahren zum NSU-Prozess.
    Schäfer-Noske: Wie war es denn in der Kategorie Fiktion? Gab es da Mut zu Experimenten?
    Gerlach: Da gab es erst mal eine herausragende Produktion, "Im Schmerz geboren", kein klassischer "Tatort", sondern ein Kollege von Ihnen sagte jetzt bei der Pressekonferenz auch, man hatte fast das Bedürfnis, aufzustehen und zu applaudieren, weil man das Gefühl hatte, im Theater zu sein, und die Zuschauer danken, sie gucken sich es an. Ich glaube, das war etwas, was uni sono und mit vielen Preisen, die dieser "Tatort" ja schon abgeräumt hat, fast ein bisschen erwartbar war. In dieser Jury wurde sehr stark darum gerungen, was auch wirklich hoch interessant ist, was macht überhaupt Fernsehqualität im Fiktionalen aus. Da hatten wir wirklich ganz spannende Debatten, gerade auch zwischen erfahrenen Jury-Mitgliedern und solchen, darf ich mal sagen, jüngeren auch mit anderen Sehgewohnheiten. Also da war selbst die Rede davon, so stark der Wille nach Innovation, wo man gesagt hat, sollen wir nicht einfach weniger auszeichnen, um das deutlich zu machen. Aber uni sono wurde dann gesagt, nein, es ist aber auch viel Qualität dabei, was ja auch richtig ist. Aber es ist eine Debatte, die wir sicherlich in den nächsten Monaten und auch im nächsten Jahr fortsetzen werden.
    Schäfer-Noske: Sie haben "Im Schmerz geboren" angesprochen. Das ist ja ein Film, der spielt auch sehr viel mit Zitaten, mit Shakespeare, mit Filmen, mit Opern. Das setzt doch einen gebildeten Zuschauer voraus. Gibt es denn da auch einen Trend zu solchen anspruchsvollen Filmen?
    Gerlach: Ich werde mich mal zu der steilen These hinreißen lassen, dass das kein Film nur fürs Bildungsbürgertum ist. Sondern gerade Shakespeare-Zitate sind universell verständlich, weil sie die Tragödien, aber auch die Schönheiten des Lebens beleuchten. Es ist zu verstehen. Anleihen ans Kino, Quentin Tarantino auch, dann auch der Wechsel mit diesen Brüchen tatsächlich, dass man auch Standbilder hat. Für mich keine Zielgruppe, wo man sagt, da sind nur Bildungsbürger angesprochen, die das dann auch noch alles interpretieren können.
    Schäfer-Noske: Sie sind jetzt seit einem Jahr im Amt. Wohin bewegt sich denn der Grimme-Preis in Zukunft? Sind da Veränderungen geplant?
    Gerlach: Wir sind sicherlich an einem Punkt, wo es wieder Zeit ist, die Statuten und die Kategorien näher anzuschauen, ja, und wir werden dort auch etwas verändern. Wir sind im Grunde schon im Arbeitsprozess. Wir werden mit Jury-Mitgliedern, aber auch mit Produzenten, mit der Branche sprechen. Wir haben da einiges im Blick, was wir uns auf jeden Fall anschauen werden.
    Schäfer-Noske: Können Sie da schon Beispiele nennen? Wird es vielleicht eine neue Kategorie geben?
    Gerlach: Was mir wichtig erscheint in der Debatte ist, über die Frage transmediales Erzählen zu sprechen. Das heißt, im Moment sind die Statuten so ausgerichtet, dass es wirklich eine Ausstrahlung im Fernsehen geben muss. Wenn wir aber über den sogenannten Jugendkanal sprechen, oder vielleicht die Verschränkung, wir sprachen auch von crossmedialen Produktionen wie jetzt "Mr Dicks", wollen wir da die Debatte öffnen und auch die Kategorien aus meiner Sicht, also die Möglichkeiten, dass nicht der technische Verbreitungsweg, also das Fernsehen das entscheidende Kriterium ist, sondern das Werkstück.
    Das Zweite ist: Wir werden uns die Unterhaltung ansehen. Das ist die Kategorie zurzeit, die am wenigsten Preise vergeben darf. Alle dürfen fünf vergeben, die Unterhaltung nur zwei. Ich denke, da sollten wir drüber diskutieren, ob wir von Grimme nicht auch stärker da hinschauen und den Unterhaltungsbereich, der ja ein ganz, ganz wichtiger ist auch bei diesem Medium, stärken.
    Und ein dritter Punkt, der mir sehr wichtig ist, sind die Kinder- und Jugendangebote. Im Moment ist es der Sonderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen Kultur. Dahinter verbirgt sich das Angebot für Kinder und jüngere Menschen. Wir haben dieses Jahr wirklich sehr Hochwertiges dabei, ein sehr experimentelles "Ab 18! - 10 Wochen Sommer!" wird auch ausgezeichnet in diesem Jahr. Und hier stellt sich doch wirklich konkret die Frage, ob wir daraus nicht eine Kategorie machen sollten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.