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Größere Unterschiede als gedacht

Genetik. - Deutschlands Beitrag zum menschlichen Genom war das Chromosom 23. Es ist nach den Geschlechtschromosomen X und Y das kleinste Stück des Erbgutes und enthält nur 231 Gene. Mit der Sequenz kann man nach den genetischen Wurzeln des Menschen suchen, wenn man eine Vergleichsmöglichkeit hat. Die hat ein Deutsch-Asiatisches Team aus 45 Forschern geliefert. In der heutigen Ausgabe der Zeitschrift "Nature" vergleichen sie das menschliche Chromosom 23 mit seinem Gegenstück im Schimpansen und zwar nicht wie bislang nur in groben Zügen sondern genetischen Buchstaben für genetischen Buchstaben.

Von Volkart Wildermuth |
    Die Unterschiede zwischen Schimpansen und Menschen sind nicht zu übersehen, dabei sind sich die beiden Arten Homo sapiens und Pan troglodytes ausgesprochen ähnlich, zumindest wenn man ihr Erbgut vergleicht. Als Ende 2003 eine erste grobe Karte des Schimpansengenoms vorgestellt wurde, lautete die wichtigste Botschaft, zu knapp 99 Prozent sind Schimpansen- und Menschen-DNA gleich. An diese Aussage knüpfte sich die Hoffnung, es könnte einige wenige, dafür aber bedeutende Unterscheide geben, die erklären, was aus einem zugegeben intelligenten Affen einen Menschen macht, der auf zwei Beinen geht und sich problemlos mit seinesgleichen auch über komplizierteste Sachverhalte austauschen kann. Doch diese Hoffnung auf eine einfache Lösung des Problems Mensch auf der Ebene der DNA macht die detaillierte Analyse eines Schimpansen Chromosoms zunichte. Denn das deutsch-asiatische Team von Marie-Laure Yaspo vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin hat festgestellt, dass es neben den bekannten Veränderungen einzelner genetischer Buchstaben auch größere Unterschiede gibt.

    Die Genome sind sehr ähnlich, aber es gibt viele sogenannte Insertionen und Deletionen, damit meine ich Lücken oder Stückchen, die im Genom rausgesprungen sind. Zum Beispiel gibt es sechs Gene im Menschen, die sind im Schimpansen nicht da. und es gibt vier Gene im Schimpansen, die sind im Menschen nicht da, und auch 15 Gene, die stark geändert sind, so dass die Proteinstruktur sich stark geändert hat. Das war nicht erwartet worden. Natürlich ist das meiste Genom sehr, sehr ähnlich, aber es gibt wirklich Stellen, die sehr unterschiedlich sind. Und vielleicht sind diese Stellen die ersten Punkte, an denen man in Zukunft die Ursache für den biologischen, medizinischen und physiologischen Unterschied zwischen Mensch und Schimpansen untersucht.

    Auch wenn das Erbgut auf den ersten Blick ähnlich aussieht, weisen doch 83 Prozent der untersuchten Gene Veränderungen auf. Offenbar lässt sich der große Sprung nach vorne, den der Mensch hinter sich hat, nicht mit einigen wenigen Mutationen erklären. Die Forscher schätzen, dass sie von den insgesamt 33,3 Millionen genetischen Buchstaben des kleinsten Chromosoms nach den Geschlechtschromosomen X und Y, 99,9983 Prozent richtig entziffern konnten. Das ist eine in der Genomforschung selten erreichte Genauigkeit, für die ein großer Aufwand an Zeit, Arbeit und Material notwendig war. Doch die Anstrengung hat sich gelohnt, denn ohne sie, könnten die Wissenschaftler sich nicht sicher sein, wo genau die vielen Unterschiede zwischen Mensch und Schimpanse liegen. Diese Unterschiede betreffen nicht nur die Struktur der Gene, die Erbanlagen werden von den beiden Arten auch unterschiedlich eingesetzt, wie Ines Hellmann vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig bei Genen der Immunabwehr, wie die Interferonen, bei Entwicklungsgenen und Erbinformationen des Nervensystems festgestellt hat.

    Man kann prinzipiell sagen, dass grob geschätzt 20 Prozent der Gene eine unterschiedliche Nutzung in Leber und Gehirn zeigen. Eine unterschiedliche Nutzung heißt, dass unterschiedliche Mengen an Protein in den Geweben produziert werden, wenn wir eben drei Schimpansen und drei Menschen vergleichen. Und was es genau bedeutet, funktionell gesehen, das können wir auch noch nicht sagen, denn viele dieser Unterschiede mögen auch wiederum neutral sein. Für einige der Interferone wissen wir nicht, ob das eine physiologische Relevanz hat, wir sind nur Genomforscher, das ist eine Sache für Leute die Ahnung von den Genen haben.

    Und auch bei der Aktivierung der Gene zeigt sich, es werden nicht nur einige wenige Gene anders eingesetzt, sondern viele. Und diese Unterschiede konzentrieren sich nicht auf bestimmte Gruppen von Erbanlagen, etwa auf die Gene des Nervensystems, sondern betreffen alle Erbinformationen. Die Wissenschaftler haben also ein hartes Stück Arbeit vor sich, doch, so Marie-Laure Yaspo, jetzt wissen sie wenigstens, woran sie sind:
    Ich denke, wir wissen jetzt ein bisschen mehr, wo wir hinschauen und untersuchen müssen, wir wissen genauer, auf welcher Ebene die Unterschiede sind. Vorher glaubten wir, das waren 99%e. Jetzt wissen wir schon, dass die Proteine stark verändert sind. Das sind die ersten Stellen, um zu schauen, was der Unterschied zwischen Schimpanse und Mensch ist. Das unterscheidet sich wirklich viel mehr und viel stärker als vorher gedacht.

    Statt willkürlich, diese oder jenes Gen zu untersuchen, können die Forscher jetzt systematisch das Gesamtbild aller Unterschiede zwischen der DNA von Mensch und Schimpanse untersuchen. Allerdings vorerst nur auf diesem einen Chromosom. Ob irgend ein Land genügend Geld für die Detail-Analyse des Rests des Schimpansen-Erbgutes zur Verfügung stellen wird, steht noch in den Sternen. Die jetzt vorgelegte Arbeit zeigt aber, dass es genau auf die vielen Details ankommt, wenn man die genetischen Wurzeln des Ausnahmetieres Mensch verstehen will.