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Großbritannien diskutiert über Strafmaß für jugendliche Plünderer

Die britischen Richter arbeiten zum Teil 30 Stunden ohne Pause. Nach den Krawallen und Plünderungen vor zwei Wochen müssen Jugendliche sogar wegen des Diebstahls von Kaugummi ins Gefängnis. Kritiker monieren: Die Justiz ignoriere ein grundlegendes Rechtsprinzip.

Von Jochen Spengler |
    Jordan Blackshaw ist 20 Jahre. Letzte Woche richtete er eine Facebook-Seite ein, mit der Überschrift: Smash down Northwich Town – macht Northwich kaputt. Er schlug vor, sich nachts vor McDonald's zu treffen. Doch als Blackshaw erschien, war dort niemand außer der Polizei, die ihn festnahm.

    Der Richter lobte die Polizei, warf dem jungen Mann eine üble Tat vor und verurteilte ihn zu vier Jahren Haft. Dieselbe Strafe verhängte er auch im Fall eines 22jährigen, der ebenfalls via Facebook, zu Plünderungen aufgefordert hatte.

    Urteile, die nach den Worten des Richters abschrecken sollen. Urteile, die aber in Großbritannien eine Debatte darüber ausgelöst haben, ob die Strafen, die in den Schnellverfahren verhängt werden, angemessen sind. Natürlich, sagen vor allem konservative Politiker. Kommunalminister Eric Pickles erinnert daran, wie sehr Menschen durch den Terror der Straße verängstigt wurden:

    "Die Menschen hatten Angst in ihren Wohnungen. Sie hatten Angst in den Straßen, in den sie einkaufen waren, in denen ihre Kinder spielten. Und dieser Terror gegen unsere normalen Mitbürger kann nicht toleriert werden."

    "Diese Strafen senden eine klare Botschaft aus, dass jeder der solchen Aufruhr organisieren will, Haftstrafen riskiert,"
    jubelt der Conservative Abgeordnete David Davis über die vier Jahre Haft.
    "Das ist total angemessen, die haben dasselbe Chaos gewollt wie in London, Manchester und anderen großen Städten und dafür müssen sie bezahlen – so wie viele andere zahlen mussten, indem sie ihre Wohnungen und Geschäfte verloren haben."

    Doch mehr und mehr Politiker und Anwälte warnen davor, einfach nur Rache nehmen zu wollen.

    Diese Strafen sind viel zu hoch und werden wahrscheinlich von der Berufungsinstanz korrigiert, sagt Kronanwalt John Cooper:

    "Wir haben Richtlinien für Bestrafung, Regeln die für effektive und faire Strafen sorgen. Wir können doch nicht in einer solchen Situation unser Regelbuch wegwerfen, wegen einer öffentlichen Grundstimmung."

    Die ist tatsächlich eindeutig. Letzten Umfragen zufolge befürwortet eine große Mehrheit der Briten harte Strafen. 1.300 Randalierer mussten bislang vor Gericht erscheinen, zwei von drei blieben in Haft. Doch der Liberaldemokrat Tom Brake warnt:

    "Ich bin nicht überzeugt, dass für geringfügige Vergehen, wie ein Kaugummi zu klauen oder eine Flasche Wasser, Haftstrafen geeignet sind. Modelle, bei denen Täter sich bei Opfern entschuldigen müssen, sind viel befriedigender für die Opfer und haben geringere Rückfallquoten."

    Der Anwalt und Strafrechtsreformer Andrew Neilson sagt:

    "Die Gerichte beginnen ein grundlegendes Prinzip des Rechts zu ignorieren: die Proportionalität, dass die Strafe verhältnismäßig sein muss zum Vergehen. Wir haben jetzt so eine Stimmung, auf die die Gerichte reagieren, aber sie gehen zu weit."

    Und er erinnert daran, dass die Law and Order Politik in der Vergangenheit nicht sonderlich erfolgreich war in Großbritannien.

    "Wir haben seit 15 Jahren tatsächlich immer strengere Strafen für Verbrechen. Die Anzahl der Häftlinge hat sich verdoppelt. Und doch haben wir letzte Woche die schlimmsten Unruhen seit Jahrzehnten gesehen. Das zeigt mir, dass unsere Strafpolitik nicht funktioniert."

    Wenn die Zeiten wieder ruhiger seien, müsse man über Alternativen nachdenken. Doch noch sind die Zeiten nicht so. 71 Prozent der Briten sind der Ansicht, Randalierer sollten jede staatliche Unterstützung verlieren – kein Tag vergeht, an dem führende Politiker nicht neue populistische Ankündigungen und meist unausgegorene Vorschläge machen: Hausarrest für Jugendliche in ganzen Stadtvierteln, Twitter- oder Facebook-Verbot, gemeinnützige Arbeit und orangefarbene Jacken für Randalierer, eine Opferkonferenz.

    Noch ist völlig unklar, was davon tatsächlich umgesetzt wird und wie den geschätzten 120.000 Problemfamilien wirklich geholfen werden soll.