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Kulturschaffende in Rumänien
"Die Regierung fürchtet die Künstler"

Am 1. Januar dieses Jahres hat Rumänien die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Eigentlich müssten die rumänischen Kulturschaffenden, die oft Europa-freundlich sind, jubeln. Tun sie aber nicht, denn, so sagt die Schriftstellerin Dana Grigorcea: "Rumänien ist überhaupt nicht darauf vorbereitet."

Von Katrin Hillgruber | 06.01.2019
    Demonstranten mit Plakat des Vorsitzenden der PSD, Liviu Dragnea: Gegen ihn wird wegen Veruntreuung von EU-Geldern ermittelt, er ist vorbestraft und wurde kürzlich wegen Beihilfe zum Amtsmissbrauch in erster Instanz verurteilt.
    Nicht nur Künstler protestieren in Rumänien gegen den mehrfach vorbestraften Parteichef Liviu Dragnea. (Deutschlandradio / Srdjan Govedarica)
    Rumäniens bekanntester zeitgenössischer Schriftsteller Mircea Cărtărescu ist ein flammender Europäer. Entsprechend positiv bewertet er den Beitritt seines Landes zur Europäischen Union im Januar 2007:
    "Ich denke, der Tag, an dem Rumänien in die EU eingetreten ist, obwohl es noch lange nicht ausreichend darauf vorbereitet war, ist mindestens so wichtig wie der Nationalfeiertag."
    Im Grunde müssten Mircea Cărtărescu und mit ihm alle EU-freundlichen Rumänen darüber jubeln, dass ihr Land am 1. Januar den Ratsvorsitz in Brüssel übernommen hat. Paradoxerweise ist genau das Gegenteil der Fall, was an der vermeintlich sozialdemokratischen Regierung des mehrfach vorbestraften Parteichefs Liviu Dragnea liegt. Die rumänisch-schweizerische Autorin Dana Grigorcea beteiligt sich an der außerparlamentarischen Oppositionsbewegung Rezist, auf Deutsch etwa "widerstehe". Sie spricht aus, was viele Kulturschaffende derzeit denken:
    "Ich fürchte mich vor dieser EU-Präsidentschaft Rumäniens, weil Rumänien überhaupt nicht darauf vorbereitet ist. Wer verfolgt hat, was in Rumänien in diesen letzten Jahren passiert ist, der weiß das, dass eben diese Strukturen, die Diskussionskultur noch nicht ausgereift ist. Es wird eine sehr schwierige Zeit sein. Im Kulturbereich sind derzeit nur Seilschaften, also man versucht, Künstler, die der Regierung nicht genehm sind oder die sich zu politischen Themen äußern und kritisch äußern, nicht zu berücksichtigen."
    Der in die USA emigrierte Schriftsteller Norman Manea hält seine Landsleute für ein begabtes Volk, besonders für die Kunst, weniger für die Politik, da sei es furchtbar. Das ist nicht zuletzt dem Erlebnis von fünfhundert Jahren Türkenherrschaft und der wohl grausamsten Diktatur im Osteuropa des 20. Jahrhunderts geschuldet. Die rumänische Literatur zeichnet ein sympathischer Hang zum Metaphysischen aus. Dieser vertrage sich jedoch schlecht mit schnöder Büroarbeit, meint Maneas Übersetzer Georg Aescht, der aus Siebenbürgen stammt.
    "In Rumänien gibt es den fatalen Hiatus zwischen der bestehenden und immer weiter wachsenden und blühenden Qualität einerseits und einer andererseits abgrundtiefen Verachtung für alles, was organisatorisch und mit unmittelbarer Arbeit am Schreibtisch zu tun hat. Kultur ist immer noch das Höhere, und wenn es dann ans Eingemachte geht, dann ist das nicht mehr unsere Wellenlänge, das ist nicht mehr unser Niveau. Und entsprechend entsteht nichts Halbes und nichts Ganzes."
    Diese Einschätzung wurde im letzten Jahr durch den rumänischen Gastlandauftritt bei der Leipziger Buchmesse bestätigt: Während der Planung wechselte fünfmal der Kulturminister. Der aktuelle Amtsinhaber reiste gar nicht erst an. Dana Grigorcea:
    "Da kam nur dieser lächerliche Außenminister und hat eine Rede gehalten, die unwillentlich Werbung gemacht hat für die neue Übersetzung Caragiales ins Deutsche, also die war im Stil dieses berühmten rumänischen Dramatikers, der die Hohlheit der politischen Diskurse kritisiert hat. Sein Diskurs hatte nichts mit der Kultur zu tun, er hat keinen einzigen Schriftsteller beim Namen genannt. Und das ist auch die Haltung der rumänischen Regierung, den Schriftstellern, den Schauspielern gegenüber: Man fürchtet sie und findet es besser, sie einfach totzuschweigen. "
    Derartige Vorstöße ins Leere kennt auch der international renommierte Schauspieler Marcel Iureş. Seit zwanzig Jahren betreibt er in Bukarest das unabhängige Kellertheater ACT, eine wichtige Plattform für den Nachwuchs. Auf die Frage nach einer staatlichen Filmförderung winkt Iureş lachend ab.
    "In diesem Bereich nichts zu sagen zu haben und nichts zu organisieren, kommt fast schon einem Verbrechen gleich. Denn das Kino ist das große Auge jeder Nation, wie das Fernsehen. Es könnte ein Mikroskop sein oder eine Waffe. Ich sage die ganze Zeit: Lasst uns darüber reden. Sie als Kulturminister oder Minister der rumänischen Filmindustrie - es ist verwirrend, niemand weiß genau, wer zuständig ist -, jedenfalls als der, der damit befasst ist: Wofür genau bringen wir Geld auf? Gibt es da einen Plan? Brauchen Sie eine Botschaft? Lassen Sie es mich wissen. Aber darüber muss geredet werden, von Angesicht zu Angesicht, Herrgott noch mal. Wir können nicht weiter nur kritisieren und uns gegenseitig anschreien, ohne dass irgendetwas geschieht, das ist doch sinnlos. Lasst uns also miteinander sprechen. Aber sie finden keine Zeit für ein Gespräch."
    Die Kultur in Rumänien leidet unter mangelnder Förderung und Nichtbeachtung. Die gegenwärtige Regierung widmet sich lieber der Aushöhlung der Justiz. Zumindest geschieht dies nun im Scheinwerferlicht der europäischen Öffentlichkeit.