Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Hände statt Greifer

Technik. - Eine Stecknadel greifen oder eine Wasserflasche aufschrauben, einen Papierflieger falten oder eine Bohrmaschine bedienen: Die motorischen Fähigkeiten unserer Hände kann man nicht hoch genug bewerten. Deshalb arbeiten Entwickler von Robotern daran, auch den Maschinen fünffingrige Hände zu geben. Doch das ist kompliziert: sowohl die Hardware als auch die Software können noch bei weitem nicht mit den Fähigkeiten einer Menschenhand mithalten – dennoch gibt es jetzt erste kommerzielle Produkte.

Von Thomas Reintjes | 27.07.2012
    Eine der neuesten Roboterhände kommt von dem deutschen Unternehmen Schunk. Tomas Berg von der schwedischen Tochter des Unternehmens stellte sie kürzlich auf einer Konferenz vor:

    "Es ist eine Fünf-Finger-Hand mit neun Antrieben. Sie soll genauso schnell reagieren wie eine normale Hand, sie soll normale Gesten ausführen können: etwa Daumen hoch, Daumen runter. In jeglicher Hinsicht soll sie einer menschlichen Hand gleichen."

    40.000 Euro soll ein Exemplar dieser Hand kosten – Berg möchte sie gerne Unternehmen für ihre Industrieroboter anbieten. Einen Markt dafür gebe es aber noch nicht. Der müsse erst geschaffen werden. Bergs Verkaufsargument:

    "Die Industrie verlangt nach mehr Flexibilität. Ich komme aus dem Geschäft mit Greifern. Wenn sich die Geometrie oder das Gewicht des Objekts ändert, das man hochheben möchte, dann muss man manchmal den Greifer durch einen anderen ersetzen. Die Industrie will flexiblere Greifer – man nutzt einen, und dabei bleibt man."

    Flexibler als ein Greifer mögen die modernsten Roboterhände sein – so vielseitig einsetzbar wie eine Menschenhand sind sie noch lange nicht.

    Exzellenzcluster Cognitive Interaction Technology an der Universität Bielefeld. Von der Decke des Labors ragen zwei Roboterhände an Armen herab und bewegen Objekte auf einem Tisch hin und her.

    "Große Objekte, schwere Objekte hält man mit einem Kraftgriff, wo alle Finger das Objekt möglichst stark an die Handfläche anpressen, kleine Objekte kann ich mit den Fingerspitzen greifen und habe dann noch die Möglichkeit das Objekt in der Hand zu bewegen. Und ganz kleine Objekte, wie einen Stecknadelkopf, den greife ich mit Daumen und Zeigefinger, als Pinzettengriff."

    Diese drei Grifftypen haben Robert Haschke und seine Kollegen ausgemacht und den Roboterhänden beigebracht. Vorbild ist dabei immer der Mensch, weil Roboter sich eines Tages in einer für Menschen gemachten Umgebung bewegen sollen. Aus Bewegungsstudien von Sportwissenschaftlern erfahren die Ingenieure und Naturwissenschaftler, wie Menschen ihre Hände in bestimmten Situationen einsetzen. Die Bielefelder laden aber auch selbst Menschen in ihr Labor ein und zeichnen deren Bewegungen auf. Finger-, Hand- und Armbewegungen werden zusammen mit Kopf- und Augenbewegungen erfasst, wenn die Versuchspersonen ein Objekt greifen, umdrehen oder balancieren.

    "Dann können wir zusammen mit Bewegungswissenschaftlern herausfinden, wie solche Bewegungen möglicherweise aus Teilen zusammensetzbar sind, wie solche Teile und auf welchen Abstraktionsebenen im Gedächtnis gespeichert sind, wie wir neue Bewegungsfähigkeiten abspeichern und wie wir dann abgespeicherte Bewegungsfähigkeiten durch Lernen immer weiter vervollkommnen. Und dieses Bild ist jetzt noch sehr fragmentarisch, aber es hilft uns bereits grob, bestimmte Dinge mit dem Roboter besser tun zu können, als wenn wir jetzt rein spekulativ und heuristisch vorgehen müssten","

    sagt Helge Ritter, Leiter der Arbeitsgruppe. Die in Einzelteile zerlegten Bewegungsabläufe speichern die Forscher in einer Datenbank, einer Art Bewegungs-Alphabet. Daraus sollen sich Roboterhände bedienen können, um die Komponenten wieder zu möglichst natürlich erscheinenden Bewegungen zusammenzusetzen. Dazu gehört aber noch mehr: Das Greifen ist eine gigantische Koordinationsaufgabe. Viele Sensordaten des Roboters müssen dafür ausgewertet werden. Helge Ritter:

    ""Die Wahrnehmung der Gelenkwinkelstellungen über Sensoren in den Gelenken und dann der Tastsinn, die Sensoren in den Fingerspitzen. Und das ganze ist dann noch zu verbinden mit der Wahrnehmung durch das Sehsystem, die Hand-Auge-Koordination. Zuallerletzt spielt auch noch der Schall eine wichtige Rolle. Etwa wenn Sie eine Tasse absetzen, gibt Ihnen das Absetzgeräusch eine klare Rückmeldung: Jetzt ist der Kontakt zustande gekommen. Das sieht man eigentlich gar nicht gut. Man fühlt es ein Stück weit, aber der Klang ist zeitlich am klarsten."

    Sie wollen nicht nur ein technisches Gerät bauen, das gut Greifen kann, sagen die Bielefelder Forscher, sondern sie wollen auch verstehen, wie die menschliche Hand funktioniert.

    Hinweis: Zum Thema menschenähnliche Roboter sendet der Deutschlandfunk am Sonntag, 29.07., 16:30 Uhr, in der Sendung Wissenschaft im Brennpunkt das Feature Mensch-Maschinen.