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Händel-Festspiele in Göttingen
Alte Arien wiederbelebt

Im Zentrum der 94. Händel-Festspiele in Göttingen stand die kaum bekannte Oper "Faramondo". Die Umsetzung und weitere Aufführungen belegen, dass erstklassige Barockoper auch mit kleinerem Budget und ohne große Namen gelingen kann.

Von Kirsten Liese | 11.06.2014
    Das Denkmal von Georg Friedrich Händel (1685-1759) in Halle (Saale), aufgenommen vor blauem Himmel am 01.03.2011. Der Komponist Georg Friedrich Händel wurde in der Saalestadt geboren.
    Das Denkmal des Komponisten Georg Friedrich Händel (1685-1759) in Halle (Saale). (picture-alliance / dpa-ZB / Jan Woitas)
    Die Göttinger Stadthalle bietet zwar ein bescheideneres Ambiente als die Londoner Westminster Abbey, wo Georg II. 1727 zu Händels Krönungszyklen zum König gekrönt wurde. Die feierlichen, schier überwältigenden Klänge aber ließen Raum und Zeit vergessen. Man bildete sich ein, den Monarchen zu sehen, wie er majestätisch zum Thron schreitet und die Insignien seiner künftigen Herrschaft über England und das deutsche Königshaus Hannover entgegennimmt. Eine festlichere Musik wurde zuvor nie geschrieben, sagt Tobias Wolff, der Intendant der Händel-Festspiele:
    "Er hat Psalmen genommen, die vorher schon von seinen Vorgängern vertont wurden und hat versucht, diese noch zu übertreffen, ihm gelingt das auch. Und diese Krönungsmusiken haben auch dazu beigetragen, dass Händel den Ruf erhalten hat, der ihn später zum britischen Nationalkomponisten gemacht hat."
    Mit ihren imposanten Großformationen von fünf- bis siebenstimmigen Chören und enormen Klangsteigerungen empfehlen sich Händels Krönungszyklen auch losgelöst vom Kontext der rituellen Handlungen, als deren Begleitmusik sie einst gedacht waren, für den Konzertsaal. In Göttingen erklingen jedoch keineswegs ausschließlich Werke von Händel. Schon immer bieten die Festspiele auch Raum für andere alte Meister, Uraufführungen und Auftragswerke.
    Zur kostbaren Entdeckung der 94. Festivalausgabe "Herrschaftszeiten!" wurde eine Trauermusik aus der Feder von Händels Zeitgenossen Johann Mattheson, den die meisten Originalklangexperten heute nur noch als Musiktheoretiker kennen. Matthesons Requiem für einen König ist streng genommen kein Requiem, sondern ein barockes Allegorienspiel mit einer merkwürdigen Aufführungsgeschichte. Es wurde beim Komponisten in Auftrag gegeben, dann aber zur geplanten Uraufführung kurzfristig abgesetzt: Georg I. sollte in aller Stille begraben werden. Bernhard Forck, der das Stück in Kooperation mit den Händel-Festspielen Halle einstudierte, erkannte beim Studium der Handschrift schnell die musikalischen Besonderheiten:
    "Es geht durch alle Tonarten und spielt mit den Affekten, mit den Charakteristika von Tonarten, es geht von extremen b-Tonarten bis fis-moll, es gibt ein Glockenspiel, das die Totenglocken andeuten soll, die Oboe wird mit der Sopranstimme zusammengemischt, wir haben eine wunderbare Arie 'Die betrübte Luft', die gefüllt ist von Klagen und Seufzern - also Mattheson sucht die Affekte und ganz neue Farben und das macht er brillant."
    Spiel von Leidenschaft erfüllt
    Im Zentrum der 94. Händel-Festspiele stand die kaum bekannte Oper "Faramondo". Händel schrieb sie 1738 unter großem Zeitdruck nach einem Schlaganfall, aber das merkt man ihr nicht an. Ihr einziger Schwachpunkt ist das komplizierte, etwas haarsträubende Libretto um einen König, der seinen Sohn rächen will, den der Titelheld Faramondo angeblich in der Schlacht getötet haben soll. Am Ende war der tote Krieger aber gar nicht sein Sohn, und so dürfen sich die Frauen und Männer aus den einst feindseligen Lagern versöhnlich in den Armen liegen. Einen nachvollziehbaren Grund für die späte Aufklärung des Irrtums gibt es nicht, all die Gefangennahmen, Entführungen und ehrenhaften Selbstaufopferungsangebote, von denen das Stück nur so wimmelt, hätten sich dann erübrigt. Die Partitur aber bezeichnet Tobias Wolff zu Recht als genial:
    "Es sind sehr packende Arien, sehr farbig, die meisten Arien sind rein mit Streichern begleitet, aber wenn man da mal zum Beispiel in die rhythmische Behandlung reinschaut, ist es unglaublich spannend zu sehen, wie er mit Punktierungen umgeht, wie er jede Arie doch auch mit dieser einfachen Instrumentierung zu einem ganz starken Charakter führt."
    Dazu ist in Göttingen auch das Spiel jedes Einzelnen von Leidenschaft erfüllt. Regisseur Paul Curran, der den "Faramondo" in einem modernen Spielcasino ansiedelt, hat sich viel einfallen lassen, um die Arien zu beleben. Leichte Anflüge von Ironie wirken mitunter herrlich erfrischend. Ein lästiger, schmieriger Verehrer wird kurzerhand zum begossenen Pudel, als seine wütende Angebetete ihren Sekt auf seinem Anzug entleert, doch tröstet ein Dessous den Fetischisten über die barsche Abfuhr hinweg. Laurence Cummings am Pult hat die denkbar herrlichsten Stimmen um sich versammelt. Aus dem Titelhelden Faramondo macht Emily Fons mit ihrem geschmeidigen, koloraturensicheren, schönen Mezzo eine perfekte Hosenrolle.
    Besser lässt sich eine Händeloper nicht aufführen. Sogar Barockdiva Cecilia Bartoli dürfte sich schwertun, diesen umjubelten "Faramondo" zu toppen. Zwar können sich die Göttinger Händel-Festspiele kein vergleichbares Staraufgebot leisten wie die Salzburger Pfingstfestspiele beim "Giulio Cesare" 2012, doch belegen sie einmal mehr, dass erstklassige Barockoper auch mit kleinerem Budget und ohne große Namen gelingen kann.