Donnerstag, 18. April 2024

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Harms: Gorleben nicht geeignet als Endlager

Nach dem Castor-Transport ins niedersächsische Gorleben hat die Grünen-Politikerin Rebecca Harms einen neuen Anlauf für die Suche nach einem atomaren Endlager gefordert. Gorleben sei seinerzeit aus politischen und nicht aus geologischen Gründen ausgewählt worden. Die Qualität des Salzstocks sei nicht ausreichend. Außerdem habe der Salzstock Kontakt zum Grundwasser, erläuterte Harms.

Rebecca Harms im Gespräch mit Gerd Breker | 11.11.2008
    Gerd Breker: Am Ende ging es aus wie immer. Der strahlende Abfall landete wie geplant in Gorleben. Doch es war nicht wie immer. Diesmal war der Zustrom und das Engagement der Atomkraftgegner besonders groß. Der Umfang war auffällig. Der Umgang zwischen Polizei und Protestlern wirkte vertraut. Teilweise kennt man sich ja auch schon über Jahre. Verhindert wird nur die Planmäßigkeit, aber nichts in der Sache. Dennoch, keine Frage: Die Diskussion über die Nutzung der Atomenergie ist wieder mitten in der Gesellschaft angekommen, wie der Abfall angekommen ist in Gorleben. Am Telefon in Lüchow-Dannenberg begrüße ich nun Rebecca Harms, Europa-Abgeordnete der Bündnis-Grünen. Guten Tag, Frau Harms.

    Rebecca Harms: Guten Tag!

    Breker: Frau Harms, würden Sie das ähnlich wie die Bürgerbewegungen auch interpretieren als eine Art Wiederbelebung, eine Auferstehung der Anti-AKW-Bewegung?

    Harms: Auf jeden Fall hat es jetzt für die Proteste, die in den letzten Jahren anlässlich der Castor-Transporte ja hier in der Region immer stattgefunden haben, doch sehr, sehr große engagierte Unterstützung aus der gesamten Bundesrepublik gegeben. Für mich war ganz augenfällig, dass diese Unterstützung auch politisiert war. Für mich war die wichtigste Rede, die ich auf der Kundgebung in Gorleben gehört habe, die Rede von Hartmut Meine, dem IG Metall Chef Niedersachsens.

    Breker: Warum?

    Harms: Weil Hartmut Meine in seiner Rede doch sehr deutlich gemacht hat, dass das Bündnis der Atomkraftgegner quer durch die Parteien, in denen sie sitzen, die Gewerkschaften, die diese Position teilen, die Kirche und auch Gruppen der Zivilgesellschaft seiner Meinung nach erneuert werden muss. Für mich war sein Aufruf, dieses Bündnis erneut zu beleben, eigentlich die erfreulichste Botschaft, weil ich die IG Metall im Grunde seit Heinz Brandt vor ungefähr 30 Jahren in dieser Rolle hier nicht mehr gehört hatte.

    Breker: Frau Harms, wir können ja durchaus auch daran erinnern, dass die Anti-Atomkraft-Bewegung eine der Gründungsmütter eigentlich der Grünen war. Gewinnt diese Bewegung auch innerhalb der Partei jetzt eine größere Bedeutung?

    Harms: Was für mich als Grüne hier in Lüchow-Dannenberg, als niedersächsische Grüne natürlich ganz, ganz wichtig ist, ist, dass nachdem ja die Partei, die Basis der Partei sich doch über Jahre hier immer engagiert hat, dass jetzt doch auch die gesamte Spitze gesagt hat, nur in der politischen Auseinandersetzung in den Parlamenten, so wie wir das in den letzten Jahren gesehen haben, kommen wir in der Debatte nicht weiter. Die Auseinandersetzung, der gesellschaftliche Druck, den wir dafür brauchen, den Atomausstieg zu verteidigen, da muss man doch auch wieder andere Wege gehen. Für mich war das sehr erfreulich, dass die Grünen sich hier wieder sozusagen den Platz gesucht hatten, den sie aufgegeben hatten.

    Breker: Das heißt, im kommenden Jahr wird die Anti-Atomkraft-Bewegung oder die Atomkraft überhaupt zu einem Wahlkampfthema? Das ist gar keine Frage mehr?

    Harms: Die Bundestagswahl wird meiner Meinung nach darüber entscheiden, ob das planmäßige Abschalten der Atomkraftwerke in Deutschland so weitergehen wird, wie das im Atomausstiegskonsens vereinbart wurde. Das ist nicht einfach durchzusetzen, weil große Teile des Parteienspektrums (CDU/CSU, FDP) bekennen sich ja zur Atomenergie, zur Laufzeitenverlängerung und zum Ausbau. Die anderen müssen sich zusammentun, müssen in dieser Frage zusammenstehen, damit der Ausstieg verteidigt werden kann. Darüber entscheidet die Bundestagswahl aus Gorlebener Sicht. Wir haben vor wenigen Tagen in Berlin ein Endlager-Symposium durchgeführt nach Einladung des Bundesumweltministeriums. Da wurde deutlich, dass in allen Nachbarländern der Bundesrepublik die Fehler, die in der Endlager-Vorbereitung in den 70er Jahren gemacht worden sind, korrigiert wurden. In allen anderen Ländern wird systematisch gesucht. Ob das in Deutschland endlich auch passiert, auch darüber wird die Bundestagswahl entscheiden.

    Breker: Sie haben die Endlager-Problematik angesprochen, Frau Harms. Die rot-grüne Bundesregierung hat ja die Untersuchung, inwieweit sich Gorleben als Endlager eignet, abgebrochen. Ist das verantwortlich?

    Harms: Die Untersuchung des Salzstocks Gorleben kann man meiner Meinung nach nicht als ergebnisoffene Untersuchung entscheiden. Gorleben wurde ausgewählt in Zeiten, in denen ein nukleares Entsorgungszentrum verwirklicht werden sollte. Das Endlager war ein Teil dieses Zentrums. Ob der Salzstock damals wirklich das wichtigste Kriterium war, die Qualität des Salzstockes für ein Endlager, daran machen viele Experten Fragezeichen. Politische Gründe, die Nähe zur Zonengrenze zum Beispiel, dass nur sehr, sehr wenige Leute in Lüchow-Dannenberg leben, dass die Bevölkerungsdichte so dünn ist, das waren die entscheidenden Argumente. Ich glaube, dass man tatsächlich, wenn man ein geeignetes Endlager haben will in Deutschland, dann ..

    Breker: Wir müssen es haben!

    Harms: Wir müssen es haben! Aber damit man die Verantwortung für einen solchen Standort übernehmen kann und sagen kann, nach bestem Wissen und Gewissen, das halten wir in der Politik und in der Wissenschaft dann für geeignet, damit man das sagen kann, muss man gestützt auf Kriterien, die transparent sein müssen auch für die Bevölkerung in Deutschland, gestützt auf solche Eignungskriterien eine vergleichende Untersuchung mehrerer Standorte machen. Der, der dann am besten diese Kriterien erfüllt, den sollte man zum Endlager machen und keinen anderen, bestimmt keinen Salzstock, den man aus politischen Gründen und nicht aus geologischen Gründen in den 70er Jahren bestimmt hat.

    Breker: Frau Harms, das ist ja alles schön und gut. Nur Faktum ist doch: in diesem Land wird gar nicht nach einem anderen Endlager gesucht.

    Harms: Sehen Sie, und darüber streiten wir ja seit vielen Jahren. Ich fand sehr gut, dass Sigmar Gabriel in einer Veranstaltung in Berlin ermöglicht hat, dass die deutsche Situation, nämlich die Blockade einer echten Suche, im Kontrast zum Vorgehen in der Schweiz, in Schweden, in England, sogar in Frankreich gesehen wurde. Da kann man nur sagen, unter diesen Aspekten, wird wirklich transparent nachvollziehbar gesucht oder nicht, schneidet Deutschland ganz schlecht ab.

    Breker: Also versagt die Politik?

    Harms: Wir sind, was diese Verfahren angeht, in der wissenschaftlichen Debatte und in der faktischen Frage, suchen wir wirklich, einfach im internationalen Vergleich abgehängt.

    Breker: Das heißt, die Politik versagt?

    Harms: Die Politik hat in dieser Frage seit 1977 jede Gelegenheit verpasst, sich zu korrigieren. Es hat in Gorleben schlechte Untersuchungsergebnisse zur Qualität des Salzstocks gegeben. Der Salzstock hat Kontakt zum Grundwasser. Die wichtigste natürliche Barriere, das Deckgebirge, ist nicht besonders entwickelt. Diese Erkenntnisse hätten schon dazu führen müssen, dass man andere Standorte mindestens mit in die Erkundung nimmt. Wir hatten einen Einsturz des ersten Schachtes aus Gründen, die auch mit der Nichteignung oder Eignung des Salzstockes zu tun haben, ganz früh in der Erkundungsphase. Das hätte man nutzen können, um sich zu korrigieren. Wir haben die Empfehlung eines Arbeitskreises Endlager auf dem Tisch zu einem guten qualifizierten Suchverfahren. Dieser Arbeitskreis war aus, was Atomenergie angeht, Pro-Kontra-Leuten zusammengesetzt. Es waren sogar mehr Atomkraftbefürworter beteiligt als Gegner. Diese Empfehlungen müsste man umsetzen. Man hat es unter Rot-Grün nicht geschafft, aber ich halte es immer noch für richtig. Da wo der AK-End aufgehört hat mit seinen Empfehlungen für eine Suche, muss die Politik wieder ansetzen und muss ein solches Verfahren verwirklichen.

    Breker: Dann sind wir mal gespannt. - Im Deutschlandfunk war das Rebecca Harms, Europa-Abgeordnete der Bündnis-Grünen. Vielen Dank und Grüße nach Lüchow-Dannenberg.