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Harry Grodberg

Probe im Konzertsaal der Tschaikowskij-Halle. Harry Grodberg spielt mit sichtlicher Freude die Pastorale F Dur von Louis Lefebure-Welz. Wie bei einem Konzertpianisten der Flügel steht auch der Spieltisch der Orgel mitten auf der Bühne, gut fünf Meter entfernt von den Pfeifen an der Bühnen-Rückwand.

Ein Beitrag von Sabine Adler. | 27.12.2002
    Hier hat man die seltene Möglichkeit, die Orgel richtig zu beurteilen. Die Dramatik eines Organisten in der ganzen Welt ist, dass er praktisch die Orgel nicht richtig hört. Und das hat doch eine enorme Auswirkung auf die Qualität seines Könnens, weil der Klang inspiriert ihn nicht.

    Grodberg studiert sein Repertoire für das Weihnachtskonzert, das hauptsächlich, aber nicht nur, Choräle von Johannes Sebastian Bach enthält. Weihnachten ist lang in Russland, die Saison umfasst die katholische und evangelische Advents- und Weihnachtszeit und dauert bis zur russisch-orthodoxen am 7. Januar.

    Harry Grodberg ist einer der wenigen Organisten in Russland. Nach der Zerstörung der Kirchen durch die Kommunisten in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren die auch die Orgeln nur noch an einer Hand abzuzählen. Doch 1958 begann eine Orgelrenaissance, für Twer, Samara, Kaliningrad und anderen Städte wurden Orgeln in der DDR und damaligen Tschechoslowakei bestellt. Die Orgel etablierte sich als eigenständiges Konzertinstrument, losgelöst von Kirchen und Gottesdiensten. Für Harry Grodberg ein Glück, denn Kirchenorganist wollte er nie werden.

    Aus dem ganz einfachen Grund, dass ich hier genau so ein Solist sein kann wie ein Geiger, ein Klavierspieler, ein Dirigent und sogar zu der russischen Künstlerelite gehöre.

    Bis heute füllt Grodberg in Russland große Konzertsäle. In seinem Stammhaus, dem Tschaikowskij-Saal mit seinen 1600 Plätze sitzen die Zuhörer häufig sogar noch auf den Treppen. Bei seinen Konzerten in deutschen Kirchen spielt der erfolgsverwöhnte Künstler dagegen vor halbleeren Kirchen. Seiner Meinung nach lieben die Deutschen die Orgelmusik nicht sonderlich, weil die Kirche, die der Orgel anfangs zur Verbreitung verhalf, sie zugleich auf Gebrauchsmusik reduzierte. Kein wahrer Musiker könne sich damit zufrieden geben.

    Wenn er eine Begabung hat wird er lieber Pianist oder Dirigent, es lohnt sich nicht, denn er wird abhängig sein vom -Küster oder Kirchenvorsteher, das führt zu einer Niederung des Niveaus. Wenn keine Begabungen in die Branche reinkommen, dann senkt sich die Qualität. Es existiert auch kein Interesse, wenn keine begabte Leute da sind.

    Die Heimat des jüdischen deutschen Junge Grodberg an der Kurischen Nehrung war mit dem 2. Weltkrieg Teil der UdSSR geworden. Gefangen in Litauen im sowjetischen Reich, war er gezwungen, in Moskau seinen Kindertraum wahr zu machen, eine Musikerkarriere als Orgelsolist zu beginnen. Der berühmte Pianist Swjatoslaw Richter empfahl ihn der Moskauer Philharmonie, Grodberg musizierte von da an mit Mstislaw Rostropowitsch, Dmitri Schostakowitsch, Aram Chatschaturian, der sogar für Orgel komponierte.

    Das diese dritte Sinfonie je wieder eingespielt wird, bezweifelt Grodberg, zu viele Veranstalter scheuen den Aufwand. Doch spielen, da ist sich der 73jährige sicher, könnte er Chatschaturians "Sturm" immer noch so, dass auch der Komponist seine Freude daran hätte.

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