Donnerstag, 25. April 2024

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Hass im Netz
"Die Öffentlichkeit muss lernen, mit dem Hass umzugehen"

Kritik für den Facebook-Pranger der "Bild"-Zeitung. Lob für den Webmaster des Vulgär-Provokateurs Akif Pirincci. Und Zweifel an der gefühlten Übermacht des Hasses im Internet. Ein Rundumschlag zur aktuellen Debatte über fremdenfeindliche Hetze mit dem Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer im DLF.

Martin Emmer im Gespräch mit Brigitte Baetz | 25.10.2015
    Symboldbild - auf einer Computertaste steht Hass. Ein Finger drückt auf diese Taste. Darum herum sind Flammen zu sehen.
    Die Debatten um Hass im Internet spitzen sich zu (Imago / Christian Ode)
    Wenn man derzeit ins Internet schaut, kann man den Eindruck bekommen, überall werde gehetzt. Nur, das können längst nicht alle Menschen bestätigen. Einige bekommen davon gar nichts mit. Für Professor Martin Emmer von der Freien Universität Berlin ist das nicht überraschend. Es komme darauf an, in welchen Kreisen man sich bewege, sagte er im Deutschlandfunk. Rund 30 Millionen Deutsche nutzten Facebook pro Tag, die Hälfte davon täglich. Wenn man das in Relation setze etwa zu 175.000 Unterstützern der Pegida-Seiten, dann seien es weniger als ein Prozent, die sich so äußerten.
    Ein Grund für die unterschiedlichen Wahrnehmungen im Internet sind sogenannte "Filterblasen", in denen man sich nur noch mit Gleichgesinnten austauscht. So werden Facebook-Nutzer auf ihren Seiten Inhalte präsentiert, die nach Ansicht des US-Konzerns ihren Interessen entsprechen - Stichwort: Algorithmen. Martin Emmer erläuterte, wenn man sich dauernd mit einem Thema beschäftige, könne man somit den subjektiven Eindruck gewinnen, es gebe überall nur noch Hass-Äußerungen. Wenn man sich jedoch in anderen Freundeskreisen bewege und beispielsweise keine Pegida-Seiten gelikt habe, gebe es durchaus Leute, die Hass-Postings gar nicht wahrnähmen oder nur selten.
    Hass hat vielleicht gar nicht zugenommen
    Emmer zufolge hat der Hass im Vergleich zu früher möglicherweise gar nicht zugenommen. Was früher am Stammtisch gesagt wurde, werde nun durch das Netz sichtbar und könne mitgelesen werden. Das Netz mache es einem sehr leicht, sich selbst zu äußern. Vor Jahrzehnten hätte man dafür erst einmal "journalistische Selektionsstufen" überwinden müssen - sprich: Man musste erst einen Journalisten überzeugen, die eigene Meinung zu veröffentlichen.
    Der Wissenschaftler wies auch darauf hin, dass Kommunikation in sozialen Medien ganz anders ablaufe als in der Realität. Sie sei zum Beispiel sehr viel schneller. Es sei leicht, mal eben etwas zu liken oder zu teilen. So schlössen sich viele Menschen auch mal unbedacht einem Posting an – was sie vielleicht nicht getan hätten, wenn sie sich länger damit beschäftigt hätten. Außerdem sei es manchen gar nicht unbedingt klar, dass sie sich öffentlich äußerten und andere ihre Äußerungen mitlesen könnten.
    "Bild" macht nun Geschäft eben auf Basis von Empörungswellen
    Kritik übte Emmer am Facebook-Pranger der "Bild". Die Kommunikations-Kultur werde dadurch nicht gefördert, sagte er. Aber die "Bild"-Zeitung mache nun einmal ihr Geschäft auf der Basis von Empörungswellen. Emmer kritisierte ferner das Abschalten von Kommentarfunktionen unter Artikeln auf manchen Internetseiten von Verlagen und Sendeanstalten. Das sei nicht hilfreich, die Debatten verlagerten sich dadurch nur. Die Öffentlichkeit müsse lernen mit solchen Hass-Postings umzugehen.
    Die öffentliche Distanzierung des Webmasters von Akif Pirinicci nach dessen Skandal-Rede bei Pegida, hob Emmer indes als positives Beispiel hervor. Man sehe daran, wenn man gegen solche Äußerungen wie von Pirincci Stellung beziehe, gebe es auch dafür viel Zustimmung.
    Keine Plicht zu Klarnamen im Netz
    Derzeit wird auch viel über juristische Möglichkeiten im Kampf gegen das Verbreiten von Hass und Hetze diskutiert. Jüngst schlug SPD-Chef Sigmar Gabriel vor, Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften zu gründen. Emmer meinte, es sei zwar wichtig, die Strafrechtsgrenze zu beobachten. Aber die Probleme fingen früher an, nämlich mit dem Streuen von Vorurteilen und Gerüchten.
    Emmer warb dafür, sich mit Klarnamen an Diskussionen im Netz zu beteiligen: "Wer in der Öffentlichkeit, das Recht einfordert, gehört zu werden, der sollte das unter seinem eigenen Namen tun." Allerdings wandte sich der Kommunikationswissenschaftler gegen eine Klarnamen-Pflicht. In Anonymität lägen auch Chancen, da Menschen aus bestimmten Berufgruppen, sonst von den Diskussionen ausgeschlossen wären, da sie sich vielleicht nicht öffentlich äußern könnten.
    Das komplette Gespräch können Sie im Audio-Archiv nachhören.