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Hasserfüllte Leserbriefe

Bei Hate-Poetry-Lesungen tragen Journalisten ihre schlimmsten Zuschriften vor. Das Spektrum der Leserbriefe reicht von homoerotisch angehauchten Ausfällen bis zur offenen Morddrohung. Ziel der Journalisten ist den Rassismus im medialen Alltag zu thematisieren – und über die Briefe zu lachen.

Von Lukas Grasberger |
    Wenn Deutschlands Leser an Journalisten mit Migrationshintergrund schreiben, klingt das zuweilen so:

    "Liebe Meli Kiyak, Sie sprechen mir oft aus der Seele. Sind Sie – genau wie ich – immer mal wieder in psychiatrischer Behandlung?"

    Gediegener formuliert sind die beleidigenden Briefe, die Özlem Topcu von der "Zeit" erhält.

    "Wenn Ihnen nicht noch mehr Leser davonlaufen sollen, dann schicken Sie am besten Ihren geistigen Gastarbeiter schnellstens nach Hause"

    Auf den sprichwörtlichen Säbel statt Florett und spitzer Feder setzt ein Leserkommentar bei der "taz".

    "Schön, dass Sie zwischen zwei Ehrenmorden noch Zeit finden, eine Kolumne zu schreiben."

    In den meisten Redaktionen wandern hasserfüllte wie rassistische Leserbriefe postwendend in den Papierkorb. Der Berliner Journalistin Ebru Tasdemir platzte angesichts des immer wiederkehrenden Rassismus der Kragen. Zuerst machte sie eine solche Hassmail auf Facebook öffentlich. Schnell entspann sich die Idee zu einem noch offensiveren Umgang, erzählt Tasdemir: Der Hass, der Journalisten mit ausländischen Wurzeln in Briefen, Mails und Kommentaren entgegenschlägt, musste auf die Bühne.

    "Die Sachen schlummern schon in den Schubladen, und man ist meistens mit diesem Mist alleine. Du liest den alleine an deinem Laptop und denkst dir so. Nein! Nicht schon wieder. Auf jeden Fall dachte ich: Wollen wir das nicht mal öffentlich machen? Das so rausposaunen in die Welt? Das ist eine Möglichkeit, damit umgehen zu können. Für uns ist es eine Form der Katharsis. Lachen befreit, in diesem Moment befreit es, es befreit uns und es baut so zusagen einen Schutz um uns herum auf. Sobald wir lachen, stehen wir über den Dingen."

    Bei der Hate-Poetry-Lesung im Berliner Maxim-Gorki-Theater tragen vier Journalisten ihre schlimmsten Zuschriften vor. Es ist die bereits vierte Veranstaltung in diesem Jahr – und die Initiatorin Tasdemir haben keine Sorgen, dass ihnen das Material bald ausgehen könnte.

    "Seit Sarrazin glauben sehr viele Leute, dass sie das jetzt sagen dürfen, weil Sarrazin das ja auch gemacht hat. Die schreiben Briefe mit vollem Namen und Adresse. Das ist eine ganz andere Qualität. Das ist schon gruselig!"

    Das Spektrum der Zuschriften reicht von homoerotisch angehauchten Ausfällen bis zur offenen Morddrohung - die Özlem Topcu von der "Zeit" bekommen hat.

    "Und Sie selbst, Özlem Topcu, sind auch nur ein Teil jener moralisch, sittlich und charakterlich vor sich hinfaulenden linksburgeoisen Klasse, die alles, was Deutsch ist, seit Jahrzehnten in den Dreck zieht. Der Tag der Abrechnung wird eine lange Nacht der langen Messer."

    Bei den Veranstaltungen gehe darum, gemeinsam den Teufel auszutreiben, sagt Yassin Musharbash von der "Zeit". Manchmal lacht er den Grusel gemeinsam mit seinen Kollegen auf der Bühne auch einfach weg.

    "Özlem, wart mal ganz kurz, ich habe da einen Reiseführer "Istanbul" für dich, viele Türken kennen sich da gar nicht mehr so gut aus, wenn ihr dann nach Hause verschickt werdet."

    Die vier Journalisten scheinen mindestens so viel Spaß zu haben wie die rund 200 Zuschauer. Auch in Augsburg und Stuttgart wird mittlerweile aus Leserbriefen gelesen – allerdings von Redakteuren ohne Migrationshintergrund. Ebru Tasdemir fehlt dabei die zusätzliche Ebene: Man müsse jede Chance nutzen, Rassismus im medialen Alltag zu thematisieren.

    "Ich kenne wenige Kollegen, die von ihren Redaktionen den Rückhalt bekommen und die sagen: Ich stehe hinter dir. Es geht um Rassismus. Aber diese Debatte ist in den Redaktionen noch nicht angekommen. Und Hate Poetry ist vielleicht ein Anlass."