Donnerstag, 25. April 2024

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Hebammenhaftpflicht
CDU-Gesundheitspolitker: "Wir wollen das gerne lösen"

Stark gestiegene Haftpflichtkosten bedrohen die Existenz von Hebammen, da sie für die Risiken bei Hausgeburten haften müssen. Die Union wolle das ändern und das Schadensrecht im Gesundheitswesen reformieren, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Jens Spahn, im DLF.

Jens Spahn im Gespräch mit Dirk Müller | 26.02.2014
    Dirk Müller: Können Sie 5000 Euro im Jahr bezahlen als Versicherung, als Haftpflichtversicherung, und das als Hebamme, die im Durchschnitt weniger als zehn Euro die Stunde verdient? Hebammen müssen das aber und die meisten Versicherungen haben sich genau aus dieser Verantwortung, aus dieser Versicherungsleistung herausgezogen. So stehen die Hebammen, mindestens 3000 in Deutschland, die freiberuflich tätig sind, vor dem Aus.
    Wir reden über eine jährliche Haftpflicht-Police von über 5000 Euro und die Hebammen protestieren, demonstrieren, appellieren an die Politik, an die Krankenkassen, auch diese Woche wieder mit Aktionen in vielen Städten der Republik. Sie fordern eine politische Lösung, ehe ihr Beruf ausstirbt. Wie kann die Politik nun helfen? – Das wollen wir wissen von Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Guten Morgen!
    Jens Spahn: Schönen guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Spahn, die Union könnte doch vielleicht eine Patenschaft übernehmen?
    Stark gestiegene Schadenssummen
    Spahn: Die Union könnte eine Patenschaft übernehmen, das würde das Problem aber nicht grundsätzlich lösen. Das Problem sind tatsächlich die stark gestiegenen Schadenssummen, die die Gerichte zusprechen, wenn etwa ein Kind mit Behinderung auf die Welt kommt. Da wird hochgerechnet etwa der Verdienstausfall, was könnte das Kind aufs ganze Leben verdient haben, und natürlich auch die medizinischen Behandlungskosten, und dann geht es schnell in die vielen Millionen. Dadurch sind die Versicherungssummen, die Beiträge, die zu zahlen sind, so stark gestiegen und das Problem ist tatsächlich einfach auch durch keine Patenschaft zu lösen.
    Müller: Also eine Rechtsprechung, die nicht mehr angemessen ist?
    Die Anbieter gehen vom Markt
    Spahn: Wir müssen schauen, wo können wir am besten ansetzen. Es gibt die Debatte, können wir Schadenssummen nach oben hin begrenzen, die zugesprochen werden. Ich bin kein Jurist, aber es ist wohl für Deutschland sehr unsystematisch, so was zu machen, sehr schwierig, sehr unwahrscheinlich. Das zweite wäre, versicherungsrechtlich überhaupt erst mal Versicherer zu verpflichten, eine Haftpflicht anzubieten. Das Problem ist ja, dass die Anbieter alle vom Markt gehen. Im Moment haben wir nur noch einen, der überhaupt Hebammen versichert, und da sind die Beiträge sehr hoch. Und das dritte – und darüber, finde ich, müssen wir am ernsthaftesten nachdenken, weil das die beste Lösung mir zu sein scheint – wäre, dass man die Regressmöglichkeit von Krankenkassen und Rentenversicherungen nach oben hin begrenzt. Das heißt, die Krankenkasse geht auch gegen die Hebammen beziehungsweise ihre Versicherer vor, wenn es zu einem Schaden gekommen ist, und will die Behandlungskosten etwa für das behinderte Kind wieder haben. Wenn wir diese Summe begrenzen würden auf einen Betrag, ein, zwei Millionen Euro, dann würde zumindest ein Teil des Schadens dann von der Allgemeinheit getragen werden. Das scheint mir der rechtstechnisch einfachste Weg.
    Begrenzung als rechtstechnisch einfachster Weg
    Müller: Reden wir, Herr Spahn, noch einmal über die Versicherung. Sie haben das gerade auch angesprochen, wir haben es mehrfach erwähnt. Wir haben das jetzt noch einmal nachgelesen: 5100 Euro für diese Haftpflicht-Police im Jahr. Der Durchschnittsverdienst ist häufig unter zehn Euro in der Stunde. Für viele unvorstellbar, dass das überhaupt möglich ist. Ist eine solch hohe Summe, wenn sie jetzt nicht für die Finger von Rockmusikern beispielsweise gilt, was man bei Lloyds versichern kann für 100.000 – wir reden hier über 5000 Euro für Hebammen im Jahr -, ist das sittenwidrig?
    Spahn: Nein! Sie müssen sehen: Es gibt nur etwa 3000 Hebammen in Deutschland, die freiberuflich zuhause Geburtshilfe leisten. 3000! Wenn da in einem Schadensfall von etwa einer Million Schadensersatz jemandem zugesprochen wird, müssen Sie das nur durch 3000 teilen; das ist ja dann das Versichertenkollektiv. Dann muss jede einzelne schon 300 Euro nur für diese eine Million leisten. Und da es ja mehrere Gerichtsfälle und Verfahren gibt im Jahr, ist das Problem eigentlich, dass die Zahl der Hebammen so klein ist, dass angesichts der hohen Schadenssummen dann die Haftpflichtversicherung so hoch ist. Das ist einfache Mathematik!
    Müller: Das wird jetzt noch problematischer, weil immer mehr Hebammen aussteigen, weil sie sich das nicht leisten können.
    Spahn: Dadurch wird wieder die Zahl derjenigen, auf denen sich das umlegt, kleiner und dadurch steigen die Beiträge. Genau da liegt das Problem. Wir müssen jetzt – und ich versuche darzustellen: Das ist rechtlich eben nicht so einfach – eine Lösung finden, weil wir ja das Wahlrecht der Eltern, aber insbesondere der Mütter, wollen wir zuhause, wenn es gesundheitlich gut geht, die Geburt machen oder in einem Krankenhaus, dieses Wahlrecht wollen wir ja aufrecht erhalten, und deswegen soll es natürlich auch zuhause die Möglichkeit zur Geburtshilfe geben. Dafür müssen wir aber jetzt eine Lösung finden, damit die Hebammen überhaupt sagen, das können wir uns noch leisten.
    Hebammen müssen sich das leisten können
    Müller: Herr Spahn, wir haben ja vor einigen Jahren schon mal über die Problematik gesprochen, auch mit der gesamten Politik, auch mit Vertretern der Grünen, der Sozialdemokraten. Jetzt fragen sich viele, das ist seit Jahren bekannt, die Situation ist immer dramatischer geworden und noch immer hat die Politik keine Lösung. Woran liegt das?
    Spahn: Wir haben ja einen Teil gelöst. Es steht im SGB 5, im Sozialgesetzbuch Krankenversicherung drin, dass die steigenden Haftpflichtprämien auch zu refinanzieren sind von den Krankenkassen. Heißt also: Wenn die Haftpflichtprämien für die Hebammen steigen, müssen die Krankenkassen auch mehr zahlen für die Geburt zuhause. Das passiert auch. Die Krankenkassen zahlen deutlich mehr für die Geburt zuhause als etwa noch vor zwei Jahren, weil wir das Gesetz geändert haben. Wir haben nur das Problem jetzt an der anderen Seite: Was ist, wenn überhaupt kein Versicherer mehr da ist? Dann geht es doch gar nicht mehr um steigende Beiträge, sondern dann geht es doch darum, dass sie gar keinen mehr finden, der sie versichert, und das Problem ist tatsächlich rechtlich deutlich schwieriger zu lösen als die Frage, wie können wir höhere Vergütungen sicherstellen.
    Müller: Es ist offenbar, Herr Spahn, ja auch so, dass selbst angestellte Hebammen, also in Krankenhäusern fest angestellt mit klaren Dienstplänen, mit klarer Verantwortung und Zuständigkeit, dass diese sich auch häufig nachversichern müssen. Ist das denn alles zumutbar?
    Mit dem Schadensrecht auseinandersetzen
    Spahn: Das Problem ist tatsächlich: Bei den Hebammen ist es besonders zugespitzt. Wir haben das Problem bei Krankenhäusern insgesamt, Krankenhäuser mit Geburtshilfen, aber auch generell bei Krankenhäusern, dass die Schadenssummen, wenn es einen Behandlungsfehler gibt, die zugesprochen werden, immer weiter steigen. Da ändert sich auch die Rechtspraxis, der Rechtsprechung der Gerichte. Das was bei den Hebammen sehr zugespitzt passiert, sehr stark steigende Beiträge, weil sie sich auf so wenige Versicherte umlegen, passiert bei den Krankenhäusern insgesamt. Bei den Krankenhäusern sind die stark steigenden Haftpflichtprämien eine der größten und am meisten steigenden Ausgabenposten. Und deswegen ja, wir müssen uns grundsätzlich mit der Frage des Schadensrechts, der Schadenshaftpflicht im Gesundheitswesen auseinandersetzen, und zwar so, dass einerseits die Interessen der Geschädigten – es sind ja am Ende auch Menschen zu Schaden gekommen, eben diese Kinder oder andere, die behandelt wurden -, dass die eine angemessene Entschädigung bekommen, gleichzeitig wir aber noch in der Lage sind, sie zu versichern.
    Ich sage noch einmal: Wir wollen das gerne lösen, aber das ist rechtlich, weil Versicherungsfragen, rechtliche Fragen, Schadensersatzfragen und gesundheitspolitische Fragen eine Rolle spielen, schwieriger, als etwa nur eine Vergütung zu erhöhen.
    Müller: Dann sollten die werdenden Mütter noch ein bisschen warten mit ihrer Geburt?
    Spahn: Nein. Es ist ja noch ein Versicherer auf dem Markt. Ich sage noch einmal: Gestiegene Haftpflichtprämien werden auch von den Krankenkassen refinanziert. Gerade erst Ende letzten Jahres sind wieder enorm die Vergütungen gestiegen. Aber wir müssen uns in der Politik bemühen. Die Bundesregierung hat ja auch angekündigt, dass jetzt im Frühjahr das Ergebnis, ich denke, auch mit Handlungsvorschlägen des Dialogs mit den Hebammen – es wurde ja gesprochen in den letzten Monaten, intensiv mit den Hebammen-Verbänden -, dass das Ergebnis jetzt im Frühjahr kommt, und dann wollen wir das gesetzgeberisch umsetzen.
    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören.
    Spahn: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.