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Hemmschuh oder ethische Beschränkung

Forschungspolitik. – Deutschland besitzt restriktive Regeln für den Umgang mit embryonalen Stammzellen. Das Stammzellgesetz ist inzwischen, so klagen Forscher, zu einem Hemmschuh für die Wissenschaft gewesen. Eine Überarbeitung des Gesetzeswerks steht an, und in Berlin beginnt die politische Auseinandersetzung.

Von Jacqueline Boysen | 15.11.2007
    Ein liberales Denken scheint sich unter den deutschen Forschungspolitikern durchzusetzen: Zwei bisher vorliegende Gruppenanträge zu Änderung des Stammzellgesetzes befördern die Aufhebung von Restriktionen. Zur "Speerspitze" der Wissenschaft erklärt sich erneut die Bundestagsabgeordnete Ulrike Flach, FDP. Ihr Vorstoß zur Lockerung des Stammzellgesetzes soll der regenerativen Medizin in Deutschland einen neuen Impuls geben.

    "Die Forschungslandschaft hat sich so entwickelt, wie wir befürchtet haben, der Stichtag hat sich zur Forschungsbremse herausgestellt."

    Folglich möchte die FDP-Abgeordnete – unterstützt von einer Reihe von Parlamentariern aus der SPD – das im Jahr 2002 beschlossene Stammzellgesetz von einem entscheidenden Manko befreien: dem Stichtag. Um zu verhindern, dass embryonale Stammzellen zu Forschungszwecken eigens im Ausland generiert und in deutsche Labore importiert werden, hatte der Gesetzgeber damals nach langer Debatte eine Stichtagsreglung getroffen: Erlaubt ist ausschließlich der Import von embryonalen Stammzellen, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden. Flach:

    "International arbeiten nur wenige mit Zellen, die vor diesem Stichtag gewonnen wurden, das heißt die internationale Forschung hat Zellformationen, mit denen man besser arbeiten kann. Das zweite: Im Stammzellimportgesetz war ein Punkt, der hinderlich sein musste, es enthält eine Kriminalisierung der Forscher, die es ihnen noch nicht einmal ermöglicht, im Ausland mit anderen gemeinsam zu arbeiten und die Ergebnisse hier im Land zu verwerten. Da machen sie sich strafbar. Sie hängt wie ein Damoklesschwert über unserer Forschung."

    Auch die Abgeordnete Carola Reimann, SPD, selbst Biotechnologin, plädiert für Abschaffung dieser – ihrer Meinung nach forschungsfeindlichen – Strafbewährung:

    "Es gab ja verschiedene juristische Gutachten, auch von der DFG, aber es führt zu einer Verunsicherung in den Forscherteams, wir wollen aber internationale Teams, es geht auch gar nicht ohne, und deshalb glauben wir, dass der Paragraph abgeschafft gehört."

    Die Abschaffung des Stichtags aber – seit langem auch von der DFG gefordert – ist für sie nicht zwingend. Er solle nur verschoben werden. Carola Reimann hat zusammen mit einer Gruppe von Abgeordneten der SPD einen weniger radikalen Gesetzesentwurf als ihre Kollegin Flach vorgelegt – einen Kompromiss, mit dem sich jetzt auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan, CDU, anfreunden kann. Schavan:

    "Meine Vorstellung ist, dass wir diesen ethisch höchst bedenklichen Weg über embryonale Stammzelllinien nicht mehr brauchen. Das muss das Ziel der Forschungspolitik sein. Ich kann das aber nur erreichen, wenn ich die Kenntnis dessen zur Verfügung stelle, was jetzt aus der Stammzellforschung erwächst. Deshalb halte ich verantwortbar, den Stichtag zu verschieben, um wie es die EKD gesagt hat, Vergleichsstudien zuzulassen."

    Dass Annette Schavan als Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken hier die Evangelische Kirche bemüht, regt die orthodoxen Mitglieder der Unionsfraktion weniger auf als die Tatsache, dass sie den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben gedenkt. Die Verfechter der strengen Schutzmechanismen, die den heute gültigen Stichtag beibehalten wollen, sammeln bereits Unterschriften gegen die beiden vorliegenden Gruppenanträge derer, die für die Liberalisierung plädieren.