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Herausforderung Stammzellforschung

Seit im Mai US-Forscher einen lebensfähigen menschlichen Embryo geklont haben, ist die Debatte um die Stammzellforschung wieder in vollem Gang. Es geht um Menschsein und Menschenwürde und ganz konkret um die Frage, unter welchen Bedingungen mit menschlichen Embryonen geforscht und gearbeitet werden darf? Zeitgleich mit den US-Versuchen haben sich bei uns die deutschen Stammzellforscher zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, auch um die Kommunikation mit der Öffentlichkeit aktiver zu führen. Dabei stehen auch hier die ethischen Fragen im Vordergrund, etwa nach den Folgen der menschlichen Klonversuche in den USA.

Von Peter Leusch | 01.08.2013
    Im Mai haben amerikanische Stammzellforscher in Oregon zum ersten Mal einen lebensfähigen menschlichen Embryo geklont - nach jener Methode, mit der 1997 das Schaf Dolly geschaffen wurde:

    Oliver Brüstle: "Man hat eine zuvor entfernte menschliche Eizelle genommen und in diese Eizelle einen menschlichen Zellenkern implantiert. Wenn diese Eizelle aktiviert wird, beginnt sie sich zu teilen in mehrere Zellen. Es entsteht zunächst dieses Maulbeerstadium und im Anschluss daran das Keimbläschenstadium oder im Fachjargon Plastozyste. Diese Plastozyste beinhaltet in ihrem Inneren die sogenannte innere Zellmasse. Die besteht aus Zellen, die noch alle Gewebe des menschlichen Organismus aufbauen können. Man kann diese Zellen in Kultur nehmen. Dafür muss natürlich dieses Keimbläschen zerstört werden und dann entstehen sogenannte embryonale Stammzelllinien, das heißt, embryonale Stammzellen sind kein Naturprodukt, die gibt es im normalen Embryo nicht, sondern das Ergebnis der Inkulturnahme dieser Zellmasse aus wenige Tage alten menschlichen Embryonen."

    Allerdings endet hier die Parallele zum Klonschaf Dolly, erklärt der Stammzellforscher Oliver Brüstle, Direktor des Instituts für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn, denn die US-Forscher haben den Prozess abgebrochen und den Embryo nicht in eine Gebärmutter implantiert. Es kam also nicht zum reproduktiven Klonen eines Menschen, sondern blieb beim sogenannten therapeutischen Klonen zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen. In Deutschland freilich hätte dieses Experiment aufgrund des strengen Embryonenschutzgesetzes gar nicht stattfinden dürfen. Der Philosoph Dieter Sturma, er leitet das Bonner Kompetenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften, argwöhnt, dass man durch solche Experimente, bei denen sich Fehlversuche häufen, in Teufelsküche gerät:

    "Das ist etwas, was ethisch natürlich nicht akzeptabel ist, dass wir im Bereich der Humanexperimente plötzlich ankommen, wo wir dann mit einer Vielzahl von - ich sage es ganz offen - Monstern zu rechnen haben, und von daher bin ich schon der Meinung, dass man ein waches Auge darauf haben sollte, dass das reproduktive Klonen nicht in irgendeiner Art und Weise als unbedenklich herausgestellt wird. Ich glaube aber nicht, dass das ansteht, dass ernsthafte Versuche gemacht werden, reproduktives Klonen auf eine seriöse Weise auf den Weg zu bringen."

    Zwar ist in fast allen Ländern das so regenerative Klonen eines Menschen verboten, aber eine internationale Regelung auf UN-Ebene gibt es noch nicht. Für den Bonner Stammzellforscher Oliver Brüstle stellt das regenerative Klonen ein absolutes Tabu dar:

    "Für mich gibt es da ganz klare Grenzen, und vielleicht sind solche Befunde auch Anlass, um über internationale Grenzen nachzudenken, eben ein internationales Verbot des reproduktiven Klonens, aber auch bleibende Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Das sind für mich Tabuzonen, Tabuzonen, die, denke ich, von allen seriösen Wissenschaftlern in diesem Bereich auch anerkannt sind."

    Eine internationale Ächtung des reproduktiven Klonens ist überfällig. Aber auch beim therapeutischen Klonen stellen die unterschiedlichen Regelungen innerhalb Europas ein ungelöstes ethisches Problem dar. Darf man mit menschlichen Embryonen in einem frühen Stadium arbeiten und wenn ja, bis zu welcher zeitlichen Grenze? Brüstle:

    "Es ist beispielsweise so, dass in Großbritannien Embryonen innerhalb der ersten 14 Tage, das heißt vor dem Zeitpunkt, zu dem sie sich normalerweise auch fest einnisten würden und eine Schwangerschaft einträte unter Lebendbedingungen, an solchen Embryonen experimentell gearbeitet werden darf, ja zum Teil auch die Herstellung solcher frühen Keime möglich ist. In anderen Ländern, allen voraus Deutschland, ist es durch eine restriktive Gesetzgebung ausgeschlossen. Also auch hier wäre es wünschenswert, mittelfristig eine Harmonisierung herbeizuführen."

    Zwar ist das Gebot, menschliches Leben zu schützen, unstrittig, schwierig wird es aber, ein Kriterium zu bestimmen, wann der Schutz gilt. Eine Sache nämlich ist es, den biologischen Prozess zu analysieren, in dem menschliches Leben entsteht, eine andere Sache jedoch, ethisch-rechtlich den Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem dieses beginnende Leben einen personalen Status erreicht und deshalb absoluten Schutz genießt, erläutert Dieter Sturma:

    "Die normative Feststellung machen wir extern. Das können Sie an einem biologischen Prozess nicht ablesen. Und es gibt eine ganze Reihe von Vorschlägen, es gibt den brachialsten Vorschlag, der sagt mit dem Andocken des männlichen Samens an die weibliche Eizelle ist schon der ganze Prozess der Person in Gang gesetzt, da haben wir es schon mit einer vollwertigen Person zu tun. Das finden viele unplausibel, dann kann man immer weiter nach hinten rücken, Nidation wäre ein Punkt. Oder auch Achsbildung, also wenn man das erste Mal so etwas wie unten und oben unterscheiden kann, oder vielleicht sogar noch später, dass man dann auf die neuralen Entwicklungen schaut. Also das ist sehr schwierig, es ist nicht möglich, aus Seinszuständen, das heißt, aus biologischen Prozessen, normative Vorgaben abzuleiten. Das müssen wir entscheiden."

    Das heißt, eine moderne pluralistische Gesellschaft kann diese Frage weder an die Wissenschaft noch an traditionelle Autoritäten wie Kirche oder Obrigkeit zur Entscheidung abgeben, sie muss diese Fragen verantwortungsvoll diskutieren, zu einer Meinungsbildung kommen und einer gesetzlichen Regelung, mit der die Mehrheit einverstanden ist. Bisher hat sich der strenge Embryonenschutz bewährt. Und die amerikanischen Versuche geben keinen Anlass zur Revision. Aber das ganze Feld der Stammzellforschung entwickelt sich rasant weiter, vor allem in den ethisch weniger problematischen Bereich der Arbeit mit induzierten pluripotenten Stammzellen, also Körperzellen Erwachsener, die zu Alleskönnern rückprogrammiert werden.

    Und es trifft sich gut, dass zeitgleich mit den Experimenten in Oregon in Deutschland der Aufbau eines deutschen Stammzellnetzwerks begonnen hat. Oliver Brüstle ist der Gründungspräsident:

    "Wir haben im Netzwerk Vertreter aus ganz Deutschland aus vielen Bundesländern, viele Institutionen, die im Bereich der Stammzellforschung aktiv sind, schon jetzt in der Gründungsphase und erhoffen uns einen sehr breiten Mitgliederstamm, den wir in den nächsten Monaten aufbauen wollen. Dieses Stammzellennetzwerk wird Fachgruppen beinhalten, die sich einzelnen Themen schwerpunktmäßig widmen, und zweitens Fachgruppen strategischer Natur. Dort wollen wir auch hineinwirken in die Gesellschaft, wo dieses Gebiet ja auch sehr kontrovers in Teilen jedenfalls diskutiert wird. Da geht es auch um die Frage, welche Stammzellentherapien stehen denn heute überhaupt zur Verfügung, wem kann man trauen, was ist mit diesen ungeprüften Therapien, die immer wieder angeboten werden. Dort möchten wir über das Netzwerk eine Struktur etablieren, die auch die Öffentlichkeit, die auch Patienten beraten kann."

    Auf Landesebene existieren bereits solche Zusammenschlüsse. Seit zehn Jahren gibt es in Nordrhein-Westfalen das sogenannte Kompetenznetzwerk Stammzellforschung NRW, mit einem sehr speziellen Aufbau. Es wird, so Dieter Sturma, von zwei Säulen getragen:

    "Das eine ist der medizinisch-naturwissenschaftliche Bereich, wo beispielsweise auch solche Koryphäen wie Herr Schöler oder Herr Brüstle dabei sind, und auf der anderen Seite gibt es eben den Bereich der ethisch-rechtlichen und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen, und die arbeiten parallel und haben einen gemeinsamen Vorstand. Das hat zur Folge, dass hier die ethischen Diskussionen und die naturwissenschaftlichen Diskussionen schon in einem sehr frühen Stadium aufeinander zugeführt werden können."

    Eine solche zweite Säule mit Wissenschaftlern aus Philosophie, Recht- und Sozialwissenschaft ist bis jetzt im bundesweiten Netzwerk nicht eingeplant. Sie wäre aber wünschenswert, zumal das Deutsche Stammzellnetzwerk ebenso wie sein NRW-Pendant die Öffentlichkeit einbinden und insbesondere die Schulen erreichen will. Dieter Sturma:

    "Das Kompetenznetzwerk in Nordrhein-Westfalen macht Veranstaltungen für Schulen. Wir bieten die an, werden da auch stark nachgefragt. Wir machen sie regelmäßig, also diese Diskussion in der Schule zu führen, ist sicherlich eine gute Idee. Ohnehin muss man sagen, dass in Deutschland es doch eine breite Öffentlichkeit dazu gibt. Im Vergleich zu beispielsweise Japan, was ähnliche gesetzliche Regelungen hat, ist das ein himmelweiter Unterschied. Dort wird das eher direktiv erlassen und dort gibt es nicht diese Diskussion, die wir kennen. Da sind wir sicherlich Vorreiter. Das ist sehr gut, weil hier ein öffentlicher Diskurs die Politik immer begleitet."
    Professor Oliver Brüstle vom Institut für rekonstruktive Neurobiologie in Bonn.
    Professor Oliver Brüstle vom Institut für rekonstruktive Neurobiologie in Bonn. (Michael Lange)