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Herdenwanderung
Die Erinnerung gibt den Wanderweg vor

Wie sich Vögel auf ihren Flugreisen orientieren, ist mittlerweile gut erforscht. Wie es hingegen Gnus oder Zebras schaffen, hunderte Kilometer immer zum selben Ziel zurückzulegen, war bisher kaum untersucht. Jetzt aber sind sich Frankfurter Biologen sicher: Der Schlüssel ist die Erinnerung.

Von Michael Stang | 23.06.2017
    Eine Gruppe Steppenzebras im Savannengras, aufgenommen am 06.04.2017.
    Zweimal im Jahr legen Zebras einen Wanderweg von bis zu 250 Kilometern zurück. (dpa/Matthias Tödt)
    "Die grundsätzliche Frage, die uns beschäftigt, ist: Wie orientieren sich Tiere in der Landschaft? Gerade, wenn Tiere Fernwandungen machen, die man ja auch vorausplanen muss in dem Sinne, wie passiert das? Welche Navigationsmechanismen benutzen sie?",
    sagt Thomas Müller vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt. Bei Vögeln ist diese Frage längst beantwortet, für Säugetiere hingegen gibt es bisher kaum handfeste Daten. Das wollte der Wissenschaftler zusammen mit seiner Kollegin Chloe Bracis ändern.
    "Wir haben uns die Daten von Zebras vorgenommen. Mithilfe dieser Wanderungsbewegungen wollten wir herausfinden, ob die Tiere mithilfe ihrer Erinnerung navigieren oder sie sich an der Landschaft orientieren."
    Eine 250 Kilometer lange Reise
    Zebras legen zweimal im Jahr jeweils zu Beginn und zum Ende der Regenzeit riesige Strecken zurück. Auf dem Weg vom Okavanga Delta wandern sie wochenlang Richtung Makgadikgadi, wo üppige Graslandschaften ausreichend Futter bieten. Doch wie treffen die Tiere Entscheidungen auf der 250 Kilometer langen Reise? "Deshalb haben wir Computersimulationen benutzt, wo wir Tieren erlaubt haben, verschiedene Informationen zu benutzen."
    Grundlage der Computersimulationen waren Daten von sieben Zebras, die mit GPS-Sendern ausgestattet worden waren und zwei Jahre lang stündlich die Position der Tiere registriert hatten. Für die Simulationen ließen die Forscher zwei Gruppen dieselbe Wegstrecke ablaufen. Eine Gruppe hatte nur die Erinnerung an vergangene Wanderungen beziehungsweise den Zielpunkt als Navigationsmittel zur Verfügung. Die andere Gruppe konnte sich nur anhand der Umgebung orientieren, dass sie sich also immer in grüner werdende Landschaften vortastete. Die Testläufe wurden 100-mal berechnet. Danach überprüften Müller und Bracis, welche der beiden Tiergruppen eher den Weg einschlugen, den die echten Zebras gewählt hatten.
    "Grundsätzlich war es so, dass die virtuellen Zebras im Computer, die nur die Wahrnehmung zur Verfügung hatten, die quasi nur die derzeitigen Umweltbedingungen beurteilen konnten, nicht das gemacht haben, was die echten Zebras von den GPS-tracking Daten gemacht haben, die sind woanders hingelaufen."
    Dank Vergangenheit ans Ziel
    Also muss die Vergangenheit eine Rolle gespielt haben. Demnach können sich die Tiere irgendwie an saisonale Veränderungen erinnern und wahrnehmen, dass diese regelmäßig passieren und Vorhersagen daraus ableiten, so Thomas Müller. Das ist offenbar der Fall und die Erinnerung an die Vergangenheit ist demnach der entscheidende Faktor für die Navigation. Die virtuellen Zebras mit dem Erinnerungsvermögen kamen viermal näher an das vorgegebene Ziel als die Computertiere, die sich nur an der Landschaft orientieren konnten. Die Tiere folgen also stur der alten Wanderroute und spulen praktisch immer dasselbe Programm ab.
    "Wir wissen nicht, wie es zu dieser Erinnerung kommt oder wie sie weitergegeben wird. Das kann genetisch bedingt sein wie bei Vögeln oder durch Lernen in der Gruppe. Spannend war hier auch, dass viele Jahre lang ein Zaun den Weg blockiert hat. Er stand dort länger als Zebras überhaupt leben. Dennoch wurde diese Information irgendwie weitergegeben. Von daher muss es mehr als individuelles Lernen und Erfahrung sammeln sein."
    Dramatische Folgen für die Wanderroute
    Wenn die Wanderstrecken maßgeblich von der Erinnerung vorgegeben werden, können Landschafts- und Klimaveränderungen schwerwiegende Folgen haben. Daher ist diese Studie nur ein erster Schritt, resümieren die beiden Forscher. Wenn bekannt ist, wie die großen Landsäugetiere wandern, könne man ihre Routen auch effizient schützen.