Montag, 29. April 2024

Archiv


Hermann Weber: Damals, als ich Wunderlich hieß. Vom Parteihochschüler zum kritischen Sozialisten.

Der Mannheimer Politikwissenschaftler Hermann Weber, meine Damen und Herren, dürfte für die Stammhörer unseres Senders ein alter Bekannter sein. Als Verfasser vieler Standardwerke zur Geschichte der DDR ist sein Expertenwissen besonders in unseren zeithistorischen Sendungen immer wieder gefragt - zumal Weber von 1947 bis 1949 als Student der Parteihochschule "Karl Marx" in Klein-Machnow die Stalinisierung der SED selbst miterlebt hat. 1949 wurde Weber von der FDJ zur "Westarbeit" in die Bundesrepublik geschickt - aber schon kurz darauf vom damaligen FDJ-Chef Erich Honecker geschasst. 1954 wurden er und seine Frau aus der westdeutschen KPD ausgeschlossen, und schon 1955 trat Hermann Weber der SPD bei. Nun hat er unter dem Titel "Damals, als ich Wunderlich hieß" so etwas wie seine Memoiren vorgelegt - damit zugleich aber auch eine wissenschaftlich wertvolle Studie insbesondere über die Frühzeit der SED.

Karl Wilhelm Fricke | 25.03.2002
    Die Absichten Hermann Webers und die Absichten der europäischen Reaktion, die Absichten, wie sie Hitler einst auch zu verwirklichen versuchte, sind die gleichen. Damit ist Weber nicht nur als Feind der Sowjetunion, als Feind der Kommunistischen Partei, als Feind jeden Fortschritts entlarvt, er ist auch entlarvt als bewusstes Werkzeug der Kriegstreiber. Weber ist in einer Mitgliederversammlung der Ortsgruppe Mannheim-Sandhofen einstimmig aus der KPD ausgeschlossen worden.

    Ein Zitat aus dem KPD-Blatt "Badisches Volksecho" vom 22. September 1954. Hermann Weber gibt das unsägliche Verdikt als Faksimile in seinem jüngsten Buch wieder. Bis zum Parteiausschluss galt er als zuverlässiger Genosse, den die KPD für so förderungswürdig hielt, dass sie den damals 19-Jährigen 1947 zum Studium an die Parteihochschule "Karl Marx" in Liebenwalde/Kreis Oranienburg delegierte. Hier in diesem Elite-Internat der SED, das im Februar 1948 nach Kleinmachnow im Kreis Potsdam umgesetzt wurde, absolvierte Hermann Weber den ersten Zwei-Jahres-Kurs zur Ausbildung ideologisch gestählter Parteikader, den die SED in der Nachkriegszeit eingerichtet hatte. Von den insgesamt 79 Parteihochschülern seines Lehrganges kamen sieben aus dem Westen, aus Mannheim außer Hermann Weber noch Herbert Mies, beide damals Freunde und Genossen der KPD, die sich später für politisch gegensätzliche Lager entschieden. Während Mies Partei-Karriere machte, zuletzt als langjähriger DKP-Chef, und heute vor den Scherben einer gescheiterten Politik steht, wurde Hermann Weber als Universitätsprofessor in Mannheim zum Nestor der deutschen Kommunismus-Forschung. Der Titel seines druckfrischen Buches Damals, als ich Wunderlich hieß erklärt sich aus dem Decknamen "Wunderlich", den die SED ihm aus konspirativen Gründen oktroyiert hatte. Grundthema seiner Erinnerungen ist der Wandel vom Parteihochschüler zum kritischen Sozialisten. Seine Intention charakterisiert der Autor selber so:

    Mir kam es darauf an, den Versuch zu machen, wie der Historiker gewissermaßen als auch Zeitzeuge beides unter ein Dach bringt, also als Zeitzeuge erlebt zu haben, wie die Spaltung Deutschlands, die Stalinisierung der SED, deren Übergang zur Diktatur, der Kalte Krieg ... wie man das erlebt hat als Zeitzeuge, wie man es natürlich inzwischen sehr gut kennt als Historiker. Ich dachte mir, wenn man beides mal vereinbaren kann, dann ist es eben auch ein zeitgeschichtliches Buch und nicht nur einfach Erinnerung.

    Webers Memoiren sind mithin eingebunden in den zeithistorischen Kontext. Im Umbruch der Parteihochschule "Karl Marx" zur Kaderschmiede spiegelt sich die Formierung der SED zur stalinistischen Partei neuen Typus wider - ihre Denaturierung jenseits aller Hoffnungen auf eine sozialistische Massenpartei mit demokratischen Prinzipien, die sie bei ihrer Entstehung 1946 aus der Vereinigung von KPD und SPD zu werden versprach. Weber schildert diesen Umschmelzungsprozess faktenreich, akribisch und ohne persönliche Ressentiments: Ein Historiker in eigener Sache.

    Es kam mir darauf an, weder eine Abrechnungsschrift zu schreiben noch eben eine Rechtfertigung, weil beides schien mir nicht am Platze und auch nicht nötig, sondern so objektiv wie möglich meine Erinnerungen zu befragen, natürlich auch andere Zeitzeugen an mich heranzuziehen und eben anhand der Akten, die wir nun erfreulicherweise haben, ein Bild der Situation zu geben.

    Konkret zeichnet der Autor seine politische Sozialisation nach. Jahrgang 1928, in einem proletarischen Elternhaus herangewachsen, der Vater Metallarbeiter, aktiver Kommunist, von den Nazis verfolgt und ins Gefängnis geworfen, wird Hermann Weber mit 17 selber Genosse der KPD. Durchdrungen von antifaschistischer Gesinnung, aber auch fasziniert vom revolutionären Nimbus der Partei, steigt er zum kommunistischen Jugendfunktionär auf. 1946 besucht er einen Vier-Wochen-Kurs an der FDJ-Schulungsstätte Bogensee bei Berlin. Im Juni des gleichen Jahres zählt er zu den Delegierten des I. Parlaments der FDJ, wo er Erich Honecker erlebt, den Vorsitzenden der Freien Deutschen Jugend. Folgerichtig wird er im Jahr darauf für ein Studium an der Parteihochschule der SED für würdig befunden. Nach dem Examen wird er Chefredakteur des "Jungen Deutschland", der Zeitung der Freien Deutschen Jugend in Westdeutschland, um freilich schon nach kurzer Zeit zum Kulturredakteur herabgestuft zu werden. Intellektuell unabhängig und längst kritisch eingestellt, hatte er zu eigenständig agiert. Wenn es nicht schon in dieser Situation zum Bruch mit der KPD kam, so infolge eines fatalen Intermezzos. Nach dem Verbot der FDJ in Westdeutschland wurde Weber im März 1953 für sieben Monate wegen Verdachts auf illegale Tätigkeit in Untersuchungshaft genommen. An seinem 25. Geburtstag saß er in Essen im Gefängnis. Nicht zuletzt vor diesem biographischen Hintergrund wohl hatte Hermann Weber beim Abfassen seines Buches primär den jungen Leser im Sinn:

    Ich dachte vor allem an jüngere Leser, weil es einem ja selber früher so gegangen ist. Das sind ferne, ferne Zeiten, aber es sind Probleme da entstanden, die sich ein ganz junger Mensch - wenn ich an die Situation der Ernährung usw. denke - sich gar nicht mehr vorstellen kann, aber die doch wichtig ist, was die politische Situation, was den Ausgangspunkt - die Jahre eben nach 45 waren ja prägend für die späteren Jahrzehnte deutscher Politik und speziell auch der SED-Diktatur -, dass man dies eben jungen Lesern näher bringen will, und auch da dachte ich, wenn man dann eben so persönliche Geschichten 'reinbringt, was ein bisschen auflockert und spannend ist, mit der Dokumentation kommt das vielleicht besser an, als wenn man eine rein wissenschaftliche Untersuchung vorlegt.

    Die Schulungsakademie als Internat der Partei-Elite - den Alltag in Liebenwalde und Kleinmachnow macht Webers Buch anschaulich. Die Kursanten - so wurden die Parteistudenten nach sowjetischen Vorbild genannt - lebten gemeinsam in Drei-Bett-Zimmern, sie wurden verpflegt, gut verpflegt sogar, was in der Not der Nachkriegszeit viel bedeutete, sie konnten materiell sorglos lernen. Die Parteihochschule gliederte sich in Fakultäten für Philosophie, Geschichte, Ökonomie und Grundsatzfragen. Außer den Professoren und Dozenten des Lehrkörpers mit ihren ständigen Vorlesungen und Seminaren erschienen unregelmäßig Spitzenfunktionäre der SED zu Gastvorlesungen -Pieck, Ulbricht, Grotewohl, Ackermann, Oelßner, Hager - ihnen allen, die später in der Politbürokratie der SED hohe Funktionen ausübten, ist Hermann Weber begegnet. Zudem traf er hier auf seine spätere Ehefrau, auf Gerda Röder aus Perleberg, auch sie war Kursantin an der Kaderschmiede, wo sie Geschichte studierte. Einer ihrer Dozenten sollte ihr besonders unvergesslich bleiben:

    Den engsten Kontakt bekam ich zu Wolfgang Leonhard, der in der Geschichtsfakultät inzwischen mein Klassenlehrer war und bei dem es immer besonders munter zuging. Er war zugleich der jüngste unter den Lehrkräften, und er hat uns nicht nur wegen seiner Herkunft und Erziehung imponiert. Vielmehr hat er es uns Anfängern mit seiner in der Sowjetunion verinnerlichten Methode auch ziemlich leicht gemacht 'mitzukommen', wenn er erstens, zweitens (oft bis fünftens) -"Kern- oder besser 'Merk'sätze aufzählte.

    Wolfgang Leonhard, 1945 als Mitglied der legendären Gruppe Ulbricht aus sowjetischer Emigration nach Deutschland heimgekehrt, blieb allen Kursanten unvergesslich, denn am 12. März 1949 verließ der hoffnungsträchtige Genosse illegal die Parteihochschule. Eine Demonstration gegen den Stalinismus. Über Jugoslawien flüchtete er nach Westdeutschland. Hier erschien sechs Jahre später sein Bestseller Die Revolution entlässt ihre Kinder. In Kleinmachnow allerdings beschwor sein Weggang Denunziantentum und Diffamierung herauf. Stalinistische Wachsamkeit war fortan gefragt. Auszug aus einer bei Weber zitierten Resolution von Lehrern und Kursanten:

    Wie berechtigt die Mahnung zur Wachsamkeit war, kam noch er-schreckender dadurch zum Ausdruck, dass ein Lehrer der Parteihochschule, Wolfgang Leonhard, als niederträchtiger, trotzkistischer Agent der imperialistischen Reaktion an der Parteihochschule sein Unwesen treiben konnte.

    In einer solchen Atmosphäre der Verdächtigung und der Unduldsamkeit mussten Skepsis und Zweifel auch bei Hermann Weber und Gerda Röder bis zum Bruch mit der Partei heranreifen. 1954 wurden sie von der KPD verstoßen. Den einleitend zitierten Schmäh-Artikel druckte das "Badische Volksecho" unter der Schlagzeile: "Legt den Agenten das Handwerk". Auf die Frage, ob ihn die deutschen Kommunisten auch heute noch als Verräter diffamieren, antwortet der Autor gelassen:

    Ich bin mir da nicht so ganz klar. Inzwischen haben ja doch einige wohl etwas gelernt aus dem Zusammenbruch des Kommunismus. Die werden sicher nicht so weit gehen wie ich, wenn ich sage, das war einmal der Traum dieser Bewegung für eine bessere Welt, und dann wurde es zum Alptraum - für mich jedenfalls - des barbarischen Stalinismus. Aber mancher wird doch gesehen haben, dass das, was er sich früher mal vorstellte, eben nicht gekommen ist, und hat vielleicht dann auch eine andere Einstellung. Aber das ist schwer zu sagen. In Einzelfällen merkt man das. Ich hatte jetzt in Potsdam das Buch vorgestellt, und da tauchte jemand auf, den ich Jahrzehnte nicht gesehen habe, und der hat sich veranlasst gesehen, eben dieser Verrätertheorie entgegen zu treten.

    Jede andere Haltung wäre grotesk, um nicht zu sagen: lächerlich, denn selten hat die Geschichte einem Historiker so recht gegeben wie Hermann Weber. Sein Buch, mit Sorgfalt ediert, legt Zeugnis davon ab.

    Karl Wilhelm Fricke über: Hermann Weber: Damals, als ich Wunderlich hieß. Vom Parteihochschüler zum kritischen Sozialisten. Aufbau Verlag Berlin, 445 Seiten zum Preis von Euro 25,--.