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Herzlichkeit, Freundschaft und Gewalt

Nie zuvor haben so viele Studenten beim Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD ein individuelles Stipendium beantragt, um aus eigener Initiative an Universitäten Brasiliens Auslandserfahrung zu sammeln. Nun lud der DAAD rund zwei Dutzend dieser Stipendiaten sowie deren Betreuer zum ersten Erfahrungsaustausch nach Sao Paulo ein. Debattiert wurde dabei auch über die vielen auftretenden Probleme.

Von Klaus Hart | 21.11.2007
    Über zweitausend deutsche Studenten gehen jährlich nach Lateinamerika, etwa siebenhundert davon nach Brasilien. Tendenz deutlich steigend. Sie forschen dort über Lianen und Jaguare, belegen Kurse in Maschinenbau, Mathematik, Marketing oder Informatik. Alle haben teils sehr mühselig herausgefunden, von welcher Universität und welchen herausragenden Professoren sie am meisten profitieren könnten. Denn immer noch betreiben brasilianische Lehranstalten keine gezielte Werbung, läuft es vielfach über Mund-zu-Mund-Propaganda, wie die DAAD-Direktorin für Brasilien, Gabriele Althoff, erläutert:

    "Es gibt einfach hervorragende Kurse hier, die auch internationales Niveau haben, und im Ausland weiß es keiner, außer denjenigen, die mal dagewesen sind. Und langsam wächst hier auch son Bewusstsein, auch das bekannter zu machen. Wir können darauf hinwirken, dass die brasilianischen Universitäten noch offener werden, mehr Betreuung zur Verfügung stellen. Die beste Universität von Brasilien ist ohne Zweifel die Universität von Sao Paulo - aber es ist ein bürokratischer Moloch, bis sie da so weit sind, dass sie jemanden haben, der ihnen hilft, das dauert halt ne zeitlang - in Argentinien ist es übrigens genauso."

    Von jenen, die zum Erfahrungsaustausch nach Sao Paulo kamen, hat keiner den Schritt nach Brasilien bereut. Ihre Betreuer zeigen sich von nahezu perfekten Portugiesischkenntnissen ebenso überrascht wie von hoher Motivation und Studiendisziplin. Eine Spontanumfrage unter den Stipendiaten weist auf Widersprüchliches und auf Anpassungsprobleme hin, die viel Flexibilität erfordern:

    ":"Also der wichtigste Tipp ist einfach, durchhalten, immer dranbleiben. In Brasilien ist es so, die sagen dir alle, es ist unmöglich, und am Ende findet sich immer ein Weg...Die Brasilianer sind gewöhnt, alles auf den letzten Drücker zu erledigen - das ist der Deutsche an sich nicht gewöhnt. Der geht strukturiert und schneller vor. Also das ist ne Geduldsprobe als Deutscher...Die ganzen Behörden, das ist echt ne Sache - ich hätte gedacht, dass es in Deutschland viel schlimmer ist mit den Behörden...Man muss sich eventuell darauf einstellen, dass die Kurse vor Ort anders sind, als sie angekündigt wurden. Dass man flexibel rangeht, dass man sich vor Ort vielleicht umorientieren muss, seinen Studienplan eventuell neu organisieren muss.""

    Professor Jaime Frejlich von der Universität in Campinas bei Sao Paulo beobachtet:

    "Von den deutschen Studenten lernen wir hier viel über Forschungsmethoden in Deutschland, dieser Austausch ist für uns sehr interessant. Ich sehe, dass man in Deutschland unter Professoren und Studenten weit weniger kommuniziert als in Brasilien. Manche deutsche Studenten wirken hier isoliert. Brasilien ist ein Land mit extrem hoher Gewaltrate - doch andererseits trifft man auf sehr viel Herzlichkeit und Freundschaft."

    Rebecca Popp lernte in Rio de Janeiro mit absurden Sozialkontrasten und Gewalt umzugehen.

    ":"Es gibt eben die krasse positive Seite und die krasse negative Seite - absolute Extreme. Ich höre auch Schüsse, wo ich wohne. Es gehört zur Stadt dazu. Ja, es ist ein ganz anderes Leben, auf jeden Fall.""

    Staatssekretär Frieder Meyer-Kramer aus dem Bundesbildungsministerium nennt "außerordentlich positiv", dass sich immer mehr deutsche Studenten ganz bewußt für Brasilien entscheiden.

    "Das Kennenlernen der Kultur, auch das ist eine ganz wichtige Fähigkeit für die Zukunft unserer Studenten. Aber auch Studenten, die ganz klar sagen, wir kamen aus fachlichen Gründen her, weil es einfach hier ein gutes, interessantes wissenschaftliches Umfeld gibt. Und es gibt Studenten, die kommen hierher einfach aus Neugierde für eine andere Kultur, für ein anderes Land. Und das hat mir sehr gefallen. Ich glaube, das sind wichtige Triebkräfte, die unsere jungen Menschen in Deutschland in die Welt treiben. Und ich glaube, so etwas kann auch für Deutschland nur gut sein."