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Hessens Kulturvermögen
3,8 Millionen Kunstobjekte inventarisiert

Der Wiesbadener Finanzminister Thomas Schäfer hat die Kunstschätze von Hessen inventarisieren lassen.

Von Ludger Fittkau |
    Es geht letztlich um Soll und Haben. Auch die Kunst wird im hessischen Staatshaushalt seit einigen Jahren auf zwei Konten verbucht, wie es die sogenannte Doppik verlangt. Das ist ein Buchführungsstil, der im Staatssäckel nicht nur wie bisher Zahlungseingänge und Ausgänge verzeichnet, sondern auch Schulden und Außenstände - aber auch Güter. Auch Kulturgüter und Kunstgegenstände. Einen Großteil der jetzt mit rund fünf Milliarden Euro Wert bezifferten Werke steuern die staatlichen Museen in Kassel bei, die Professor Bernd Küster leitet:
    "Im Nachhinein muss man sich wirklich bei den Landgrafen Hessens bedanken, dass überhaupt gesammelt worden ist auf einem so hohen Niveau. Sie haben also Weltkunst gesammelt zu ihrer Zeit. Etwa im 18. Jahrhundert kulminierte das, da wurden die großen Rembrandt- und Rubensbestände ans Haus geholt. Oder an die Residenz geholt, zunächst nur für eine repräsentative Sammlung, die aber dann sehr bald öffentlich zugänglich war."
    Bereits früher wurde in Hessen der Wert von Gemälden oder Skulpturen taxiert, aber nicht vollständig, wie Wirtschaftsprüfer anlässlich der Umstellung der staatlichen Buchhaltung auf Doppik monierten. Deshalb mussten in den vergangenen Jahren Kunstsachverständige des Landes in den Magazinen den Museen jede Scherbe umdrehen, um schließlich 3,8 Millionen Kunstobjekte zu inventarisieren. Bernd Küster:
    "Und wenn Sie allein die Stückzahlen der einzelnen Museen sich vor Augen halten, da sind immer Dunkelziffern. Es gibt Zu- und Abgänge. Es gibt Rückstellungen in der Geschichte, Restitutionen, die man leisten muss. Also der Kunstbestand eines Museums ist eigentlich immer in Bewegung."
    Nun ist Hessen das erste Flächenland in Deutschland, das über eine vollständige Inventurliste aller Kunstwerke verfügt, die sich in Landesbesitz befinden. Dabei ist nur ein Bruchteil der erfassten Objekte wirklich richtig wertvoll, so Harald Bott vom Hessischen Finanzministerium:
    "3,7 Millionen sind geringwertige Wirtschaftsgüter und nur 928 sind besonders werthaltig von diesen 3, 8 Millionen."
    Das Finanzministerium in Wiesbaden schweigt zur Frage, ob die milliardenschweren Kunstgegenstände in den Ausstellungsräumen und Magazinen der staatseigenen Museen nicht Begehrlichkeiten wecken wie in Nordrhein-Westfalen. Man weiß, dass die Kunstszene in Hessen Vorgänge wie den geplanten Verkauf der Warhols im Nachbarland mit großem Unbehagen sieht und möchte da auf keinen Fall Öl ins Feuer gießen.
    Zumal gut gepflegte und ansprechend präsentierte Kunstschätze die Eigenschaft haben können, weitere Kunst anzulocken und den Besitz des Landes noch zu vermehren. So geschehen etwa mit der Sammlung Simon Spierer, die nun nach gut sieben Jahren Umbauzeit des Landesmuseums Darmstadt wieder in Südhessen präsentiert wird. Spierers "Wald der Skulpturen" mit 40 Objekten von Brancusi über Giacometti bis Henry Moore gilt als die wertvollste Schenkung, die Hessen nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt.
    Simon Spierer, ein aus Triest stammender Kunstsammler jüdischer Herkunft, hatte die Sammlung zunächst seiner Geburtsstadt in Italien schenken wollen. Das scheiterte an der örtlichen Bürokratie, die es in Hessen nicht gab. Angetan vom war Spierer in Hessen auch davon, dass seine Skulpturen direkt neben dem bedeutenden "Block Beuys" sowie vielen Stücken der Darmstädter Sammlung des 19. und 20. Jahrhunderts beheimatet sein würden.
    Am Eingang zu den frisch renovierten Räumen der Sammlung Simon Spierer in Darmstadt hängt übrigens ein Warhol, auf dem der 2005 verstorbene schmale Mann mit seinen Hunden porträtiert ist. Auch dieses Bild gehört zur Schenkung. Nordrhein-Westfalen sollte das zu denken geben. Professor Bernd Küster formuliert es so:
    "Ein Grund für Schenkungen ist immer die Verlässlichkeit. Wenn ein Museum auch nur die Neigung hat, Kunst zu entäußern, ist das nicht der Hafen um Sammlungen aus privater Quelle zu bewahren."
    In Hessen verkauft man keine Warhols, sondern man lässt sie sich schenken und bewahrt sie gut neben dem Beuys-Block auf. Das ist die Habens-Seite der Kunst, die nichts mit Buchführung zu tun hat, sondern einfach nur mit dem richtigen, nämlich kunstverständigen Händchen der Regierenden.