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Historiker: Kameraüberwachung von Gedenkstätten ist "ein heikler Eingriff"

Der Schriftzug vom Eingangstor des Vernichtungslagers Auschwitz ist zwar wiedergefunden worden. Doch derlei Diebstähle ließen sich nicht verhindern, meint der Historiker Bertrand Perz. Eine vollständige Überwachung der Gedenkstätten durch Kameras sei heikel, weil dadurch die "Architektur des Überwachens" der Vernichtungslager wiederholt würde, sagte Perz, der im Vorstand des Simon-Wiesenthal-Zentrums ist.

Bertrand Perz im Gespräch mit Friedbert Meurer | 21.12.2009
    Friedbert Meurer: 1,5 Millionen Menschen sind zwischen 1940 und 1945 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet worden. Das ist eine Zahl, die man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann. Deswegen herrschte weltweite Empörung, als bekannt wurde, dass der Schriftzug, der über dem Eingang zum Lager prangt, gestohlen wurde. "Arbeit macht frei" lautet dieser zynische Satz. Ende letzter Woche hatten Unbekannte ihn in Auschwitz abmontiert, aber die polnische Polizei hat sehr schnell einen Fahndungserfolg erzielen können. Der Schriftzug befindet sich wieder in sicherer Obhut. In Wien begrüße ich nun Bertrand Perz, er ist Mitglied im Vorstand des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Das Zentrum erforscht Ursachen und Folgen des Holocaust. Guten Tag, Herr Perz.

    Bertrand Perz: Guten Tag!

    Meurer: Wie froh sind Sie, dass der Schriftzug "Arbeit macht frei" wieder da ist?

    Perz: Das ist natürlich sehr gut und sehr wichtig, dass diese Geschichte sehr schnell gelöst worden ist, denn man muss sich vorstellen: bei den Überlebenden und auch ihren Nachfahren löst das natürlich sozusagen sehr viel Unruhe aus und auch Bestürzung. Das ging natürlich auch darüber hinaus. Auch die Menschen, die sich damit beschäftigen, hat das, glaube ich, alle sehr getroffen. Mich hat das auch sehr betroffen gemacht. Aber dadurch, dass es so schnell aufgeklärt werden konnte, ist hier natürlich die Sache zumindest auf dieser Ebene wieder gelöst.

    Meurer: Warum ist gerade dieser Schriftzug von Auschwitz, "Arbeit macht frei", so wichtig für die Überlebenden des Holocaust?

    Perz: Man muss vielleicht ein bisschen weiter ausholen. Nach 1945 sind ja die Überreste der Konzentrationslager vielfach demontiert worden, verkauft worden, man hat die Dinge verwertet. Etwa Baracken waren ja nach dem Krieg vielfach gebraucht als Unterkünfte und für vielfältige andere Zwecke. Vieles hat man auch sozusagen zu Geld gemacht. Wir haben ja die Situation, dass bei vielen Lagern Spuren verschwunden sind. Wir haben gleichzeitig die Situation, dass schon vor Kriegsende die SS ja systematisch Spuren verwischt hat. Das, was sozusagen geblieben ist und heute auch in Gedenkstätten vorfindlich ist, das sind natürlich sehr, sehr wichtige Relikte aus dieser Zeit.

    Das Schild "Arbeit macht frei" in Auschwitz ist natürlich ganz besonders ein Symbol des Lagers und es ist mit dem Spruch selbst natürlich ein Symbol für die zynische Verwendung dieses Spruches, der ja nicht von der SS erfunden worden ist, sondern in einem ganz anderen Kontext entstanden ist und wo sozusagen suggeriert wird, es ginge um so etwas wie Erziehung im Lager, und es ging aber um Vernichtung und auch Vernichtung durch Arbeit.

    Hier ist sozusagen ein zentraler Spruch, der sich übrigens ja nicht nur in Auschwitz findet, sondern in vielen anderen Konzentrationslagern hat sich dieser Spruch auch befunden. Aber das ist gerade für Auschwitz natürlich das zentrale Symbol vielleicht, neben dem Eingangsportal zum Lager Auschwitz-Birkenau.

    Meurer: Gerade weil dieses Schild so wichtig war, hatte man sich gewundert: wie konnte das passieren. Gibt es zu wenig Geld? Wird zu wenig Geld bereitgestellt, um so etwas in Auschwitz zu verhindern?

    Perz: Die Problematik der Gedenkstätten ist eine kompliziertere. Sie müssen sich vorstellen: Gedenkstätten sind ständig damit konfrontiert: es gibt einerseits den neonazistischen Hintergrund und den rechtsextremistischen. Diese Gruppen sind meist auf Zerstörung aus, oder sie beschmieren etwas. Aber das Abmontieren ist da nicht das übliche. Das Problem ist: Wenn Sie heute eine Gedenkstätte komplett mit Kameras versehen, dann hat das ja auch eine ganz andere Konnotation. Diese Architektur des Überwachens wird sozusagen noch einmal wiederholt in einer Gedenkstätte, die dann auch überall Überwachungskameras, Bewegungsmelder und so etwas aufstellt. Das ist ein sehr heikler Eingriff.

    Meurer: Und wenn man stattdessen Personal hinstellt, wäre das auch nicht besser?

    Perz: Dann wäre das sicher besser. Aber Sie müssen sich vorstellen: natürlich bei dem Schild kann man sich fragen, warum ist das dort möglich gewesen. Das ist ja an sich eine relativ vergleichsweise, denke ich, gut bewachte Situation, so weit ich das kenne. Aber wenn Sie das Riesengelände von Auschwitz und Auschwitz-Birkenau im Gesamten sehen, dann ist es natürlich dort möglich, in der Nacht irgendwo etwas abzumontieren. Das können sie eigentlich nur mit hohem Personalaufwand machen und deswegen gehen ja Gedenkstätten dazu über, das mit technischen Dingen zu machen, und da trifft nun diese Problematik wieder zu, von der ich gerade gesprochen habe.

    Meurer: Nun hat die Polizei gesagt, es waren keine Neonazis. Das Motiv ist noch ein bisschen unklar, aber es heißt, es ging um Geld. Wer will so etwas kaufen wie diesen Schriftzug?

    Perz: Wenn man sich in den Internet-Foren umsieht, was hier alles angeboten wird, darüber herrscht, wenn man sich nicht damit beschäftigt, kaum Vorstellung. Das geht von nicht nur originalen, sondern auch gefälschten SS-Uniformen. Es gibt eigene Fälscherindustrien, die das auch nachmachen, weil so viele Originale oft gar nicht da sind. Aber auch die Originale, die man bekommt, sind enorm viel Geld wert.

    Aber wie weit die Fälschung geht, können Sie etwa daran sehen: Im Ghetto in Lodz gab es Ghetto-Geld, das wird heute nachgemacht, gefälscht. Es ist ganz mühsam festzustellen, nur an den Legierungen kann man sehen, dass das gefälscht ist. Das wird alles gemacht, weil man hier mit diesen Dingen sehr, sehr viel Geld verdienen kann auf einem Schwarzmarkt, der sehr groß ist und wo die Nachfrage nach solchen Dingen groß ist.

    Meurer: In welchen Ländern sitzen die Interessenten vor allen Dingen? In den USA, oder wo?

    Perz: Das könnte ich so allgemein nicht sagen. Ich denke, sie sitzen in vielen Ländern. In den USA gibt es da sicher einen sehr, sehr großen Markt. Das hängt auch damit zusammen: es gibt sehr viele Sammler, es gibt genügend Geld. Das ist ja alles nicht billig, solche Sammlungen anzulegen. Ich will das mal nicht unterstellen, viele erwerben diese Dinge ganz legal, aber dass es hier natürlich unter Umständen auch so wie am Kunstmarkt eine Szene gibt, die bereit ist, etwas aus dubioser Herkunft zu beziehen, das ist sicher gegeben.

    Meurer: Was schätzen Sie denn, wie viel Geld für diesen Schriftzug "Arbeit macht frei" bezahlt worden wäre von einem Sammler?

    Perz: Das kann man ganz schwer sagen. Ich würde sagen, das ist eigentlich vom Wert nicht einschätzbar, weil es einen so hohen symbolischen Wert hat. Es hat eigentlich keinen Marktpreis. Man kann davon ausgehen, dass bei den Personen, die es abmontiert haben - das sind ja sicher nicht die, die das dann letztlich verwerten; man kann vermuten, dass das eine Auftragsgeschichte ist, ohne das jetzt wirklich zu wissen -, wahrscheinlich nicht sehr viel Geld geblieben wäre, sondern erst im Weg über drei, vier Zwischenhändler bleibt dann letztlich sehr viel Geld über. Aber bei der Erstgruppe nehme ich gar nicht an, dass das so viel ist. Aber in Osteuropa ist bei einem ganz anderen Gehaltsniveau natürlich auch vieles zu verdienen.

    Meurer: Wie häufig kommen solche Diebstähle vor?

    Perz: In dieser Form ist mir das eigentlich nicht bekannt. Ich weiß, dass in Gedenkstätten immer abmontiert wird, gerade in KZ-Gedenkstätten, zum Teil aber nicht aus kriminellen Hintergründen, sondern quasi wie Souvenirjäger. Das reicht ja davon, ich nehme ein kleines Steinchen mit, einen Pflasterstein, bis dazu, ich montiere, was wir in Österreich zum Beispiel bei der Gedenkstätte Nordhausen haben, in der Gaskammer die Duschrosetten, die dort angebracht waren. Da sind sehr viele verschwunden, bis dann die Gedenkstättenleitung hergegangen ist und selbst alle abmontiert hat, damit nicht weiter die Original-Duschrosetten wegkommen. Mit diesen Dingen sind eigentlich alle Gedenkstätten konfrontiert und man versucht natürlich, hier durch Aufsicht und Kontrolle das im Zaum zu halten. Ein generelles Rezept gegen solche Entwendungen gibt es aber eigentlich nicht, wenn man nicht die totale Überwachung eines solchen Ortes haben möchte.

    Meurer: Der Schriftzug "Arbeit macht frei" von Auschwitz ist wieder da und von der Polizei in Polen sichergestellt. Ich sprach mit Bertrand Perz vom Simon-Wiesenthal-Zentrum in Wien. Schönen Dank, Herr Perz, und auf Wiederhören.

    Perz: Bitte schön. Auf Wiederhören