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Hochschulen droht Kopierverbot

Bislang erlaubte Paragraf 52a des Urheberrechtsgesetzes elektronische Semesterapparate anzulegen. Ende des Jahres könnte die Regelung auslaufen - zur Freude der Verlage. Doch Studierende und Dozenten sorgen sich um die Zukunft der Qualität von Lernen und Lehren.

Von Lenore Lötsch |
    Robert Zepf, der Direktor der Rostocker Universitätsbibliothek, möchte nicht an das Jahresende denken. Das liegt nicht daran, dass der Mann ein Silvestermuffel ist, seine Abneigung ist rein beruflich. Wenn nicht schnell etwas passiert, droht zum 31. Dezember der Paragraf 52a des Urheberrechtsgesetzes auszulaufen. Der erlaubt bisher, dass es an Universitäten elektronische Semesterapparate gibt, bei denen Studierende und Forscher Zugriff haben auf Teile von urheberrechtlich geschützten Werken, also Lehrbuchtexten oder Fachartikeln.

    "Es ist sehr weit verbreitet und es gewinnt immer mehr an Bedeutung. Die Universitäten haben ganz viel Aufwand in die Erarbeitung dieser elektronischen Lehr- und Lernsysteme investiert, und wenn dieser Paragraf abgeschafft wird, wird ihnen die Arbeitsgrundlage entzogen. Das heißt, die zeitgemäße Form des Lehrens wird auf einmal illegal. Und das ist eine Sache, die wir mit großer Sorge sehen."
    Christian Sprang allerdings, der Justiziar des Deutschen Börsenvereins und damit Kämpfer für Verlagsinteressen, möchte den Paragrafen 52a lieber heute als morgen beerdigen.

    "Die öffentliche Hand möchte gerne Bildungsinhalte nutzen und am Sonntag hält sie die Reden, wie wichtig das ist, dass man möglichst gute Bildung hat und damit auch möglichst vernünftige Lehrbücher zum Beispiel. Und am Montag steht sie da, stülpt die Taschen nach außen und sagt: Wir haben leider kein Geld. Wir wollen jetzt mit einer Pauschalzahlung von wenigen Euro für sämtliche Inhalte einen Pauschalzugriff zum Superbilligtarif haben. Das kann nicht funktionieren."

    Seit 2003 gibt es den Paragrafen 52a: Er gilt sowohl an Schulen als auch an Hochschulen. Seit Jahren streitet sich die Kultusministerkonferenz mit den Vertretern der Rechteinhaber jedoch darüber, wie viel gezahlt werden soll. Und mittlerweile fürchten die Unibibliotheken, dass sie von Wissenschaftsverlagen verklagt werden, sagt Armin Talke von der Berliner Staatsbibliothek, denn die Regelung wird immer komplizierter:

    "Die letzte Gerichtsentscheidung dazu des Oberlandesgerichts Stuttgart lautet, dass diese Werke nur ausgedruckt werden dürfen und runtergeladen werden dürfen, das heißt, gespeichert werden dürfen, zu einem ganz geringen Prozentsatz, nämlich maximal drei Seiten. Und damit umzugehen, ist, glaube ich, für die Universitäten ganz schwierig."

    Das bestätigt auch Professor Peter Berger, der für sein Seminar zum Thema Bildungssoziologie an der Rostocker Universität einen elektronischen Semesterapparat zusammengestellt hat.

    "Das war mir bisher nicht so bewusst. Das ist eine neue Information. Das ist natürlich keine Lösung des Problems, weil drei Seiten oder nur Auszüge davon, das ist für alle Seiten nicht sinnvoll. Weil, was mach ich mit drei Seiten eines Aufsatzes, wenn der Studierende den ganzen Aufsatz lesen soll? Die Regelung müsste natürlich eine sein, die Rechtssicherheit schafft. Auch für uns als Lehrende, das wir wissen: Was dürfen wir? Was dürfen wir nicht! Im Moment wissen wirs nicht so genau, wir tun das, was wir für pädagogisch oder didaktisch sinnvoll halten."

    Das Urheberrecht und auch der Paragraf 52a - für viele Dozenten ist das eine Grauzone. Das Bundesjustizministerium möchte sich nicht zur derzeitigen Regelung äußern. Ein Sprecher verweist auf ein Verfahren am Bundesgerichtshof, das voraussichtlich im Frühsommer 2013 entschieden wird. Ende vergangener Woche gab es die Initiative der Regierungskoalition, den umstrittenen Paragrafen doch noch ein letztes Mal zu verlängern. Entschieden ist bisher nichts. Für Robert Zepf von der Rostocker Universitätsbibliothek ist das Urheberrecht eine der dringendsten Baustellen, und er vermisst die aktive Gestaltung durch die Politik.

    "Die Gefahr, die sich da ergibt, ist, dass die Zusammenarbeit zwischen Studierenden in informelle Räume verdrängt wird, also das die Dokumente, die sich nicht mehr im Lehr- und Lernsystem befinden, plötzlich auf Facebook oder in Google sich wiederfinden und das eine Entwicklung, die jeder, der an der akademischen Lehre interessiert ist, nicht gut finden kann."